Kunststoffe sind grossartige Materialien. Sie sind leicht und billig. Es gibt sie hart, weich, dehnbar oder starr, hitze- oder kältebeständig, bunt oder durchsichtig. Sie kommen daher als hauchdünne Lebensmittelfolien oder als schier unzerstörbare Eiskratzer. Und genau das ist das Problem mit dem Plastik, wie Kunststoffe umgangssprachlich heissen: Er besteht ewig. Regenwürmer, Milben, Bakterien und Pilze, die jegliches organisches Material früher oder später zersetzen, kommen gegen das Supermaterial nicht an. Wird ein Plastiksack weggeworfen, zerfetzen ihn zwar Wind und Wetter in immer kleinere Teilchen – aber dieser winzige Mikro- und Nanoplastik wird kaum je vollständig abgebaut.

So haben sich in den letzten Jahrzehnten Unmengen von Plastikabfällen in der Umwelt angesammelt. Bekannt sind die kilometerweiten Müllteppiche in den Ozeanen. Doch betroffen ist auch die Schweiz. Jedes Jahr wird hierzulande ungefähr eine Million Tonnen Plastik verbraucht, das sind 125 Kilogramm pro Kopf. Zwar gibt es bei uns – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – keine Plastikdeponien mehr, die Abfälle werden entweder rezykliert oder in die Kehrichtverbrennungsanlage gebracht und dort verwertet. «Mit dieser korrekten Entsorgung belasten Plastikabfälle die Umwelt nicht», sagt Marco Buletti, Leiter der Sektion Siedlungsabfälle beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). 

Die nicht so saubere Schweiz
Trotzdem landen erstaunlich grosse Mengen in Bächen, Flüssen, Seen oder Böden. Das zeigt exemplarisch der Swiss Litter Report, den der Verein «Stop Plastic Pollution Schweiz» letztes Jahr gemeinsam mit dem WWF Schweiz publiziert hat («Tierwelt Online» berichtete). Er liefert erstmals schweizweite Zahlen dazu, wie viel Plastikabfälle sich an Ufern von Flüssen und Seen anhäufen. 

Für den Report sammelten mehr als 100 Freiwillige von April 2017 bis März 2018 jeden Monat Abfallgegenstände an 112 verschiedenen Strandabschnitten. Insgesamt fanden sie fast 100 000 Objekte. Zu zwei Dritteln bestanden sie aus Plastik, wobei über die Hälfte davon Zigarettenstummel waren. «Das ist besonders gefährlich», sagt Gabriele Kull, die Präsidentin von «Stop Plastic Pollution Schweiz». «Denn Zigarettenstummel enthalten sowohl einen biologisch nicht abbaubaren Kunststoff als auch hochgiftige Schadstoffe in hohen Konzentrationen.» Häufig weggeworfene Gegenstände waren zudem Flaschendeckel, Verpackungen von Chips oder Süssigkeiten, Plastikbesteck, Folien oder Aufreisslaschen von Aludosen. 

Die Art der Funde ist nicht überraschend, ebenso wenig, dass in der Nähe von Städten mehr liegen gelassen wird als in ländlichen Gebieten. «Aber wir haben jeden Monat wieder neue Gegenstände gefunden, der Abfall kumuliert sich», sagt Kull. Die Mengen würden in der Bandbreite von vergleichbaren Studien in Deutschland, Frankreich oder Italien liegen. «Die Schweiz», so Kull, «wird ihrem Ruf als besonders sauberes Land nicht gerecht.»

Pneupartikel im Genfersee
Der Plastik in der Umwelt stammt allerdings nur zum Teil von gedankenlosen Menschen, die ihn weggeworfen oder liegen gelassen haben. Ein grosses Problem sei der Abrieb, die sogenannte Abrasion, sagt Marco Buletti vom Bafu. Überall, wo Plastik-Materialien mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt sind, zersetzen sie sich mit der Zeit in kleine und kleinste Teilchen: Autopneus durch Abrieb,  Farben (etwa von Strassensignalisationen) und Agrar- oder Baufolien durch Verwitterung oder synthetische Textilien durch Waschen.

So kommt eine kurz vor Weihnachten publizierte Untersuchung zum Schluss, dass im Genfersee jedes Jahr rund 50 Tonnen Plastik­abfälle landen («Tierwelt Online» berichtete). Fast zwei Drittel davon, so die Berechnungen, stammen vom Reifen­abrieb des motorisierten Verkehrs. Schon eine vom Bafu in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2014 hatte in Schweizer Seen grosse Mengen von Mikroplastik entdeckt, wie Teilchen von weniger als einem halben Zentimeter Durchmesser genannt werden. Der Genfersee und der Lago Maggiore im Tessin sind demnach besonders stark verschmutzt. Viel sauberer zu sein scheinen Boden-, Neuenburger-, Brienzer- und Zürichsee.

Zwar dürften Seen hierzulande die wichtigsten Sammelbecken für Plastikteilchen sein. Doch Untersuchungen zeigen immer deutlicher, dass Kunststoffabfälle überall zu finden sind. Im Rhein fanden Wissenschaftler der Universität Basel Konzentrationen von Mikroplastik, die zu den weltweit höchsten in Flüssen gehören, wobei die Belastung im deutschen Ruhrgebiet grösser ist als in der Schweiz. Und Forscher der Universität Bern haben kürzlich Auenböden in Schweizer Naturschutzgebieten auf Plastikteilchen untersucht. In neun von zehn Böden wurden sie fündig – selbst in abgelegenen Bergregionen.

Allerdings ist über das effektive Ausmass der Verschmutzung, über die Quellen und über die Auswirkungen noch vieles unbekannt. Das Bafu habe dazu verschiedene Studien am Laufen, sagt Marco Buletti. «Ein Hauptfokus liegt darauf, welche Quellen in welchem Mass zur Belastung der Umwelt beitragen.» Habe man die Daten- und Wissensdefizite einmal behoben, sei das Ziel, «geeignete und griffige Massnahmen» zu definieren.

Wie diese aussehen könnten, lässt das Bundesamt vorläufig offen. In einer Stellungnahme zu einer Motion der Umweltkommission des Nationalrates hat der Bundesrat allerdings im November klargemacht, dass es – aufgrund der grossen Bedeutung von Abrieben oder Zigarettenstummeln – nicht reichen wird, die Verwendung von Plastikverpackungen und Einwegkunststoffen zu reduzieren. Das Problem müsse umfassend angegangen werden – über neue Innovationen, ökologischere Designs oder indem Produzenten stärker in die Verantwortung gezogen würden.

Der Konsument ist am Hebel
Wichtig sei aber auch das Konsumverhalten, sagt Marco Buletti. Und hier scheint sich einiges zu tun. Als die Detailhändler vor ungefähr zwei Jahren eine Gebühr von fünf  Rappen auf Plastiksäckli erhoben, hatte das enorme Auswirkungen: Die Nachfrage sank innert eines Jahres um 84 Prozent. Zwar bringe das von der Tonnage her nur eine bescheidene Einsparung an Plastikmüll, sagt Buletti. «Aber der Sensibilisierungseffekt ist von grösster Bedeutung.»

Denn aufgeklärte Konsumenten können ihrerseits dafür sorgen, dass die Plastikberge nicht ins Unermessliche wachsen. «Der Konsument sitzt am Hebel», sagt Gabriele Kull, «mit seiner Nachfrage bestimmt er, was hergestellt wird und was nicht.» Viele Plastikprodukte würden uns nämlich im Grunde gar nichts bringen. «Im Restaurant sage ich zum Beispiel immer ausdrücklich, dass ich kein Röhrchen ins Getränk will», sagt Kull, «denn das brauche ich ja nun wirklich nicht, um zu trinken.»