Frau Hug, letzte Woche wandte sich Pro Natura an die Medien, mit dem Hinweis, dass der Bevölkerung viele Naturschutzgebiete in der Schweiz unbekannt sind («Tierwelt online» berichtete). Wie gehen Sie vor, damit dem Projekt in Eglisau nicht dasselbe Schicksal beschert ist?
Die Information der Bevölkerung ist wichtig. Deshalb machen wir auch Medienarbeit. In Eglisau zum Beispiel werden wir Informationstafeln aufstellen, um den Menschen das Gebiet näher zu bringen.   

Was ist das Besondere an diesem Grundstück, das Pro Natura im Frühling des letzten Jahres erworben hat? 
Dass auf einem gut vier Hektar grossen Grundstück ein neues Naturschutzgebiet entstehen kann, ist für den dicht besiedelten Kanton Zürich eine aussergewöhnliche Chance. Dank unseren Aufwertungsmassnahmen finden künftig seltene und bedrohte Arten in Magerwiesen einen attraktiven Lebensraum. Dafür muss der nährstoffreiche Oberboden entfernt werden. Auch die Geländeauffüllungen, welche unter anderem beim Bau des Tanklagers angelegt wurden, wollen wir entfernen.

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Das erstaunt. Man würde meinen, diese Art von Humus sei willkommen.
Es kommt immer darauf an, aus welcher Perspektive man das Thema betrachtet. Für die landwirtschaftliche Produktion sind nährstoffreiche Böden gut. Durch die Brille des Naturschutzes betrachtet hingegen wünscht man sich einen nährstoffarmen Boden.  

Weshalb ist eine solche Krume aus Ihrer Sicht so wertvoll? 
Weil viele seltene heimische Pflanzen auf nährstoffarme Bedingungen angewiesen sind. In der Schweiz finden sie immer weniger Platz. Denn durch intensive Düngeaktivitäten sowie Stickstoffzufuhr aus der Luft werden unsere Böden immer nährstoffreicher. Für das Naturschutzgebiet in Eglisau bedeutet das, dass wir diese Erdschichten abtragen müssen. Dadurch kommt der sogenannte C-Horizont zum Vorschein, der Rohboden. Diesen werden wir mit Schnittgut von artenreichen Wiesen aus der Region begrünen.  

Welche Arten sollen sich im neuen Naturschutzgebiet in Eglisau ansiedeln? 
Einerseits hoffen wir darauf, dass hier einmal verschiedene Orchideen wachsen. Aber auch kleinere, unscheinbare Pflanzen sollen einen Lebensraum erhalten – Salbei, Orgeno, die Kartäusernelke und die Margerite, nur um einige zu nennen.  

Was geschieht mit dem nährstoffhaltigen Humus, den Sie abtragen? 
Geplant ist, dass wir ihn der Landwirtschaft in der Umgebung zuführen. Das führt zu einer Aufwertung der Ackerböden. Allerdings müssen wir auch dafür zuerst ein Baugesuch einreichen, da es sich um eine Terrainveränderung ausserhalb der Bauzone handelt.  

Inwiefern ist das Erdreich von Schadstoffen und Öl belastet? 
Im Rahmen der Rekultivierung des Tanklagers hat man Proben genommen. Dabei stellte sich heraus, dass nur kleine Bereiche belastet sind. Dank der Massnahmen sind diese heute aber weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig. 

Könnte man ölbelastete Gebiete grundsätzlich einfach mit einer Humus-Schicht bedecken und diese bepflanzen, während sich die Schadstoffe im Untergrund irgendwann zersetzen? 
So einfach ist das nicht. Das hängt ganz von den Substanzen und der jeweiligen Konzentrationen ab, die sich im Boden befinden. 

Überlassen Sie die Natur in Eglisau sich selbst, sobald das Material an der Oberfläche abgetragen ist? 
Leider gibt es im nahen Umfeld des Grundstücks keine artenreichen Wiesen, von welchen die Pflanzenarten von selbst einwandern können. Deshalb arbeiten wir mit Direktbegrünungen. Den südlichen Bereich, der direkt vom Tanklager betroffen war, haben wir bereits 2019 begrünt. Dank Schnittgut aus der Region sind die Pflanzen und deren Zusammensetzung bereits an die Bedingungen der Umgebung angepasst. Zusätzlich werden wir Samen von sehr seltenen und bedrohten Pflanzenarten gezielt einsäen. 

Welche Auswirkungen haben die Renaturierungs-Massnahmen auf die Tierwelt? 
Auch sie soll profitieren. Vorgesehen ist ja auch die Renaturierung des Baches, der durch das Gebiet fliesst. Ausserdem schaffen wir einen temporären Teich, der im Winter trockengelegt werden kann und der für verschiedene Amphibienarten wie Bergmolch, Erdkröte oder Grasfrosch geeignet ist. Auch der Laubfrosch ist in der Gegend bereits zuhause, er wird sich ebenfalls wohl fühlen. Hinzu kommen zahlreiche Käfer, Spinnen, Heuschrecken und Schmetterlinge, für welche die Magerwiesen idealen Lebensraum bieten.  

Wie lange dauert es, bis sich auf dem Gebiet des ehemaligen Tanklagers ein stabiles neues Ökosystem gebildet hat? 
Das ist eine schwere Frage. In der Natur geht nicht alles so schnell. Zwei bis drei Jahre wird es schon dauern, bis sich die Magerwiese entwickelt hat. Dabei spielt das Wetter und dessen weitere Entwicklung eine grosse Rolle. Der trockene Frühling, wie wir ihn hatten, war nicht ideal. Viele Pflanzen sind vertrocknet. Ich hoffe, dass die restlichen Samen, die wir ausgebracht haben, nun von der nassen Witterung profitieren können. 

Wir hatten Anfangs darüber gesprochen, wie wenige Menschen über die Naturschutzgebiete in der Schweiz Bescheid wissen. Sind Besucher im Naturschutzgebiet dereinst willkommen? Dadurch könnten sie es kennen lernen.  
Durchaus. Und es ist uns bewusst, dass der Ort inmitten eines Naherholungsgebietes liegt. Die Wege entlang des Rheins sind viel begangen, die Umgebung ist wichtig für die Menschen. Um sie für das neue Naturschutzgebiet zu sensibilisieren, ist neben den eingangs erwähnten Infotafeln auch ein Trampelpfad vorgesehen. Er erlaubt, das Gebiet zu durchqueren und bietet zudem einen guten Einblick in das neue Schutzgebiet. Es ist auch denkbar, dass wir später einmal Führungen anbieten.  

Wie sieht der weitere Fahrplan des Projekts aus? 
Zuerst reichen wir nun das Baugesuch ein. Die Behandlungsfrist dauert rund drei Monate. Währenddessen werden wir mit der Ausschreibung der Bauarbeiten beginnen. Sie richtet sich an Unternehmen, welche die Massnahmen umsetzen können. Wenn alles klappt, wollen wir im September mit den Arbeiten beginnen. Die Bauarbeiten auf dem Grundstück werden rund zehn Wochen in Anspruch nehmen. 

Weitere Infos gibt es hier.