Pflanzen nehmen ihre Umwelt wahr. Daran besteht kein Zweifel. Das Beispiel der Sonnenblume, die ihren Kopf der Sonne nachdreht, kennt wahrscheinlich jeder. Oder dasjenige der Venusfliegenfalle, die ihre tödlichen Klappen schliesst, wenn ein Insekt auf ihr landet. Es gibt aber noch unzählige weitere, für uns weniger sichtbare Bereiche, in denen Pflanzen ihre Umgebung evaluieren und entsprechend darauf reagieren. Anfangen tut dies bei den Wurzeln, die sich den besten Weg durch die Erde suchen. In der ganzen Pflanze werden ständig Licht, Wasser und Nährstoffe gemessen und die verfügbaren Ressourcen in den Teil der Pflanze umgeleitet, in dem sie am meisten benötigt werden. Laufend sondern die Gewächse flüchtige chemische Stoffe ab, mit denen sie anderen Pflanzen ihre Anwesenheit signalisieren und sie auch vor Gefahren wie Insektenbefall warnen können. Beim Analysieren dieser Stoffe können Pflanzen zwischen sich selbst und anderen unterscheiden. Ausserdem kommunizieren sie unterirdisch miteinander über ein mit den Wurzeln verbundenes Fadengeflecht von Pilzen. 

Kurz, Pflanzen haben jede Menge fein eingestellter Sensoren, mit denen sie feinste Veränderungen in ihrer Umwelt wahrnehmen können. Das müssen sie auch, wenn sie als an der immer gleichen Stelle im Boden verwurzelte Organismen bestehen wollen. Bei schlechten Bedingungen können sie schliesslich nicht einfach davonlaufen. 

Wenn Pflanzen all diese Fähigkeiten haben, kamen Forscher vor einigen Jahren zum Schluss, haben sie auch ein Bewusstsein. Und damit einher gehen Gefühle und Intelligenz. 2006 entstand aus diesen Überlegungen die neue Disziplin der Pflanzen-Neurobiologie, dessen Vertreter erster Stunde diese erstmals so im Fachmagazin «Trends in Plant Science» propagierten. 

Was ist Bewusstsein?
Ob Pflanzen ein Bewusstsein haben, so sind sich Forscher einig, komme wohl letzten Endes auf die Definition von «Bewusstsein» an. Solche Definitionen gibt es in der Wissenschaft so einige. Pflanzen-Neurobiologen halten es dabei einfach und setzen Bewusstsein gleich der Wahrnehmung der Aussenwelt – und die Reaktion darauf gleich intelligentem Handeln. Bei dieser Definition ist es natürlich klar, dass man Pflanzen ein Bewusstsein und Intelligenz zusprechen muss.  

Ihre Gegner führen ins Feld, dass es für Bewusstsein weit mehr brauche. Bewusstsein sei ein multidimensionales Zusammenspiel aus einer räumlichen und zeitlichen sensorischen «Kartierung», einer emotionalen Kartierung und einer Komponente aus Erinnerungen und Erfahrungen, die zusammen mentale Bilder erzeugen. Laut eines umfassenden neuen Buches der Neurologen und Psychiater Todd Feinberg und Jon Mallat sind unter dieser Definition nur Wirbeltiere inklusive Fische, Gliederfüsser, also beispielsweise Insekten und Krabben, sowie Kopffüsser wie Tintenfische zu Bewusstsein fähig. Andere Tiere wie Korallen, Seesterne, Schnecken oder Würmer jedoch nicht.

Bewusstsein ist also etwas, dass die Wissenschaft nach wie vor nicht erklären kann. Und wenn man sich schon bei Lebewesen mit Gehirn schwertut, Bewusstsein zu definieren, wie kann man dann ausschliessen, dass Pflanzen nicht auch eins haben? 

Nur gibt es damit schon mal ein naheliegendes Problem: Die Neurobiologie erforscht das Nervensystem und das Gehirn. Pflanzen besitzen weder das eine noch das andere.

Davon lassen sich die Pflanzen-Neurobiologen aber nicht beirren. Pflanzen seien den Tieren in vielen Dingen ähnlicher, als man denkt, sagen sie. So leiten sie zum Beispiel Signale als elektrische Impulse weiter, wie dies auch tierische Nervensysteme tun. Viele tierische Neurotransmitter – chemische Botenstoffe, die Signale auf Nervenzellen übertragen – kommen in Pflanzen ebenfalls vor, auch wenn ihre Rolle noch zu grossen Teilen ungeklärt ist. Es gibt auch in Pflanzen ein System, das Signale durch den Organismus leitet. Herauszufinden, wie das funktioniert, ist Aufgabe der Pflanzen-Neurobiologie. 

Nur langsame Tiere
«Pflanzen sind nichts anderes als sehr langsame Tiere», schrieb einst der amerikanische Forscher Jack C. Schulz, Professor für Pflanzenwissenschaft an der Universität Missouri. Sie nehmen nicht nur wahr, sondern treffen auch bewusst Entscheidungen, können lernen und zeigen bestimmte Verhaltensweisen, so der Tenor der Pflanzen-Neurobiologen. Sogar bereits Charles Darwin stiess in dasselbe Horn, indem er 1880 in «The Power of Movement in Plants» schrieb: «Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Spitze der Wurzel, so ausgestattet mit der Macht, die Bewegungen der anliegenden Teile zu dirigieren, sich verhält wie das Gehirn eines der niederen Tiere». 

In einer aufsehenerregenden Studie zeigte die in Australien forschende, italienische Pflanzen-Neurobiologin Monica Gagliano 2016, dass Pflanzen lernen können, sich an eine Lichtquelle zu erinnern und auch wenn diese ausgeschaltet wird, in die gleiche Richtung weiterwachsen. Die Fähigkeit zum Erlernen von Assoziationen, so argumentiert Gagliano, basiere auf einem inneren System aus Gefühlen, Erfahrungen und Sinneseindrücken und bedient sich damit einer Definition aus der (Human-)Psychologie. Daraus folgert sie, dass auch Pflanzen einen Verstand und Gefühle haben müssen.  

Gehirn nicht nötig
Wem diese Begründung nun etwas gar löchrig vorkommt, der ist nicht alleine. Im Juli 2019 veröffentlichte übte eine Gruppe von Pflanzenbiologen um Lincoln Taiz, Professor emeritus der University of Santa California in Santa Cruz ebenfalls in «Trends in Plant Science» massive Kritik an Gagliano und ihren Pflanzen-Neurobiologie-Kollegen. Selbst wenn Pflanzen sich erinnern können, folge daraus in keinster Weise, dass sie auch Gefühle haben. 

Pflanzen-Neurobiologen liessen die Tatsache, dass Pflanzen und Tiere grundverschiedene Lebewesen sind, völlig ausser Acht. Die immense Komplexität der Gehirne der Tiere, die ihrer Meinung nach die Hauptvoraussetzungen für ein Bewusstsein seien, werde unter den Teppich gekehrt.  

Überhaupt hätten Pflanzen es nie nötig gehabt, ein Gehirn zu entwickeln. Ein Gehirn braucht nämlich sehr viel Energie, um es am Laufen zu halten. In der Evolutionsgeschichte der Tiere sei es in der Folge von Räuber-Beute-Interaktionen entstanden, wo ein Tier schlauer als das andere sein musste, um nicht gefressen zu werden, beziehungsweise um an sein Zmittag zu kommen. Ein Wesen, das sich von Licht ernährt, so schreibt Taiz, habe es absolut nicht nötig, Energie an ein Gehirn oder ein Bewusstsein zu verschwenden. «Die grösste Gefahr der Vermenschlichung der Pflanzen ist, dass sie die Objektivität des Forschers untergräbt», sagt Taiz in einer Medienmitteilung seiner früheren Uni. 

Für Taiz und seine Kollegen sind die erstaunlichen Dinge, die Pflanzen so können, einfach eine Abfolge von genetisch programmierten Prozessen, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben und «fundamental anders sind als Bewusstsein oder Wissen». Trotzdem seien Pflanzen bewundernswert und verdienten Respekt und Schutz. «Es ist doch schon genug, dass Pflanzen Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser in die komplexen Kohlenstoffverbindungen umwandeln, die das ganze Leben auf der Erde überhaupt ermöglichen. Wir sollten nicht auch noch verlangen, dass sie sich bewusst sind, dass sie das tun.»