Seit Beginn der Grünen Revolution in den 1960er-Jahren wird die Erde in eine riesenhafte Agrarindustrieanlage verwandelt. Hochertragssorten verdrängen die traditionellen Sorten; schätzungsweise 75 Prozent aller Nutzpflanzen sind inzwischen verloren gegangen. Und die Auswahl wird immer kleiner. Zehn Nutzpflanzenarten liefern heute fast 90 Prozent der Weltproduktion. Drei Firmen (Monsanto, DuPont und Syngenta) beherrschen über die Hälfte des kommerziellen Saatgutmarktes. Die Top 3 sind auch im Pestizidmarkt führend.

«Wir sind den Grosskonzernen ausgeliefert», sagt der Saatgut-Experte Hans Häberli von der Bigler Samen AG. «Sie entscheiden, ob ein Land beliefert wird und mit was. Diesem Diktat muss sich ein kleiner Markt wie die Schweiz fügen.» Das weckt Erinnerungen an den ehemaligen US-Aussenminister Henry Kissinger, der sagte: «Wer die Nahrungsmittel kontrolliert, kontrolliert die Menschen.»

Weiter wie bisher ist keine Option
Zwar verbesserte die Grüne Revolution ab den 1960er-Jahren die Ernährungssituation vieler Menschen; aber noch immer sind über 800 Millionen in Entwicklungsländern unter­ernährt (während auf der Nordhalbkugel 1,5 Milliarden übergewichtig sind). Zudem verwüstet die industrielle Landwirtschaft unseren Planeten. Gemäss einer Studie aus England gibt es in Europa 421 Millionen Vögel weniger als vor 30 Jahren, wobei der grösste Rückgang die offene Agrarlandschaft betrifft. Monokulturen und Gifte statt Flora und Fauna. Ausgelaugte Böden und Pestizide.

«Weiter wie bisher ist keine Option», lautet das Fazit des Weltagrarberichts der UNO und Weltbank aus dem Jahr 2008. Über 500 Wissenschaftler kommen darin zum Schluss, dass ein Paradigmenwechsel nötig ist: von der industriellen hin zu einer bäuerlichen Landwirtschaft. Wenn Kleinbauern Zugang zu Land, Saatgut, Wasser, Geld und Handwerkszeug haben, produzieren sie laut dem Bericht deutlich höhere Erträge pro Hektar als die Industrielandwirte. Und dies bei bis zu 100-mal weniger Energieeinsatz. «Kleinbäuerliche Strukturen sind die wichtigsten Garanten und die grösste Hoffnung einer sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung von künftig neun Milliarden Menschen», heisst es in dem Bericht, den 60 Länder unterschrieben haben, darunter auch die Schweiz. 

Darin wird auch das Konzept der Ernährungssouveränität beschrieben. Sie sei für die grosse Mehrheit der heute Hungernden der entscheidende Schritt aus der Armutsfalle. Die Idee der Ernährungssouveränität ist nicht zu verwechseln mit Ernährungssicherheit. Letztere nimmt kaum auf den sozialen und den ökologischen Kontext Rücksicht, sondern legt den Fokus vorwiegend auf eine ausreichende Produktion von sicheren Lebensmitteln. Wer über Boden, Wasser und Saatgut verfügt, ist dabei nebensächlich.

Keine Exportsubventionen mehr
Entwickelt wurde das Konzept der Ernährungssouveränität von der weltweit grössten Bauernorganisation, La Via Campesina – als Antwort auf die WTO-Politik des globalen Agrar-Freihandels. Ernährungssouveränität geht vom Vorrang der regionalen und nationalen Selbstversorgung aus. Entscheidend ist, dass ein Land sich vor Billigimporten schützen darf, etwa durch Zölle, sich gleichzeitig aber verpflichtet, keine Exporte durch staatliche Beihilfen zu verbilligen. Heute subventionieren die Industrieländer ihre Landwirtschaft mit etwa einer Milliarde US-Dollar pro Tag (!) und zerstören so die Existenzen von Millionen Menschen in den Ländern des Südens.

Letzteres mache Ernährungssouveränität zu einem global solidarischen Instrument, sagt der Ethiker Thomas Gröbly (siehe Interview). «Es wäre ein starkes Zeichen, wenn die Schweiz das Konzept der Ernährungssouveränität umsetzen würde.» Denn seit Kurzem steht fest, dass das Stimmvolk darüber befinden muss, ob unser Land das Prinzip der Ernährungssouveränität in der Verfassung verankert. Die entsprechende, von der Bauerngewerkschaft Uniterre lancierte Volks­initiative wurde von rund 130 000 Personen unterschrieben und wird am 30. März eingereicht.

Mehr Bauern und Bäuerinnen?
Doch im Grunde steht die Initiative völlig quer in der agrarpolitischen Landschaft. Während der Bund ein Freihandelsabkommen mit der EU anstrebt und statt Mengensteuerung den «freien Markt» propagiert, verlangen die Initianten, Zölle auf die Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln zu erheben und die Einfuhrmenge zu regulieren. Andererseits sollen Subventionen für die Ausfuhr verboten werden. Das gehe, meint der Ökonom Mathias Binswanger. «Zölle und Handelsbeschränkungen zum Schutz der Landwirtschaft sind grundsätzlich gerechtfertigt, da der Freihandel in den meisten Ländern weder Wohlstand noch Lebensqualität erhöht.»

Auch die geforderte «Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen» widerspricht völlig dem Zeitgeist. Seit 1994 sind 45 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe verschwunden und die Anzahl in der Landwirtschaft tätigen Menschen hat sich von 253 000 auf 159 000 im Jahr 2014 verringert, während die Grösse des durchschnittlichen Betriebes steigt. Der Schweizerische Bauernverband und das Bundesamt für Landwirtschaft finden, dass «zukunftsgerichtete» Betriebe weiter wachsen sollen.

Das Begehren wird es also schwer haben. Trotz prominenter Unterstützung. Hans Rudolf Herren etwa, Träger des Alternativen Nobelpreises, sagt: «Die Initiative ist ein Schritt zur Umsetzung des dringend notwendigen Kurswechsels hin zu einer ökologisch und sozial förderlichen Landwirtschaft.» 

Bauern oder Konzerne? Die Diskussion um die Zukunft unserer Lebensmittelversorgung ist eröffnet. 

Literaturtipps:
– Mathias Binswanger: «Globalisierung und Landwirtschaft. Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel», 2008, ca. Fr. 15.–

– Fausta Borsani, Thomas Gröbly (Hg.): «Zwischen Fairtrade und Profit», 2015, ca. Fr. 40.–
– Weltagrarberichts-Broschüre und Bericht kostenlos als PDF unter: www.weltagrarbericht.de.