Ausflüge ins Grüne sind ein Vergnügen für Pferd und Reiter: Beide geniessen den Streifzug durch die Landschaft, können dabei entspannen und den Kopf «durchlüften». Ein Ausritt kann aber viel mehr, als nur Relax-Programm sein: Wer keinen Reitplatz in der Nähe, ein junges Pferd unter dem Sattel oder einfach genug vom Gedränge und Staub in der düsteren Halle hat und Abwechslung sucht, dem bietet die Natur unerschöpfliche Trainingsmöglichkeiten.

Im Gelände können gegenseitiges Vertrauen, Durchlässigkeit, Trittsicherheit, Aufmerksamkeit, Gleichgewicht, Muskelaufbau und Kondition gefördert werden. Und das mit einem Pferd, das motivierter – und dank des besseren Vorwärtstriebs im Gelände auch fleissiger – mitarbeitet. Sind Pferd und Reiter nicht mehr stur auf die Reitbahnpunkte fixiert, löst sich nicht selten der «Knopf» und Lektionen, an denen man sich schon lange die Zähne ausbeisst, gelingen im Freien spielerisch. Der Schwierigkeitsgrad der Übungen wird je nach Ausbildungsstand von Pferd und Reiter angepasst und richtet sich auch danach, ob man ein Turnierpferd fit für den Parcours oder das Viereck machen oder ein Freizeitpferd gesund und leistungsfähig erhalten will. Mit ein bisschen Fantasie lässt sich ein abwechslungsreicher, individueller Trainingsplan gestalten.

Die richtige Haltung ist ein Faktor für die Gesundheit
Denn ob auf dem Reitplatz oder im Gelände: Ein bisschen Dressur muss sein – darin sind sich heute die meisten Reiter unabhängig von Reitweise und Ambitionen einig – und die Fachleute sowieso: «Durch das regelmässige Gymnastizieren sind Pferde erst in der Lage, ihre Reiter zu tragen ohne dabei gesundheitlichen Schaden zu nehmen», sagt die Reitlehrerin und Ausbildnerin Annelies Zangger aus Stürzikon ZH. Gymnastizieren bedeutet, die Muskeln systematisch durchbilden. Pferde sind nicht zum Tragen geboren und erst die dressurmässig korrekte Haltung ermöglicht es ihnen, mit den Hinterbeinen vermehrt unterzutreten, den Rücken aufzuwölben und den Reiter auf dieser «Bogenkonstruktion» unbeschadet zu tragen.

Im Gelände, zum Beispiel auf einem schönen langen Waldweg, kann man mit dieser Haltung des Pferdes spielen und sie innerhalb einer Gangart variieren: Die Zügel einmal ein bisschen kürzer nehmen und durch treibende Hilfen mehr Untertritt durch die Hinterbeine verlangen, dann wieder die Zügel länger lassen und eine Vorwärts-abwärts-Dehnung ermöglichen. Diese Übung hilft, die Oberlinie des Pferdes zu lockern und zu gymnastizieren. Darauf achten, dass das Pferd nicht schneller wird, wenn man ihm die Zügel länger lässt. Gut gearbeitete und ausreichend bemuskelte Pferde dürfen zur Erholung immer wieder einmal am hingegebenen Zügel schreiten.

Neben der Haltung des Pferdes sollte der Reiter auch auf seine eigene achten. Zwar dient ein Ausritt auch der Entspannung, doch ist das noch kein Grund, schwer wie ein «Kartoffelsack» auf dem Pferd zu sitzen und es in seinem Gleichgewicht zu stören.   

Tempiwechsel und Geländeformationen als Krafttraining für das Pferd ausnutzen
Neben der Haltung kann man beim Ausreiten bei entsprechender Bodenbeschaffenheit auch das Tempo innerhalb einer Gangart öfter wechseln: Erst im Schritt, dann im Trab und später auch im Galopp die Tritte respektive die Sprünge verlängern und wieder verkürzen ist ein gutes Krafttraining für das Pferd. Durch die Tempiwechsel verbessert sich die Mobilität der Hinterhand und des Rückens sowie der Schenkelgehorsam und die Aufmerksamkeit des Pferdes. Auf ebenen Wegen oder auf einer flachen Wiese lässt sich diese Übung auch über längere Strecken ausführen, vorausgesetzt Takt und Tempo sind unter Kontrolle und das Pferd wird nicht eilig. Verstärkungen lassen sich bergauf noch effizienter trainieren: In Steigungen entwickelt das Pferd von sich aus mehr Schubkraft aus der Hinterhand, wodurch es ihm meist leichter fällt, die Tritte zu verlängern. Oft senkt es dabei von sich aus Kopf und Hals, was den Rücken lockert und gut für die Dehnung ist.

Viele Regionen der Schweiz sind gesegnet mit hügeligem Gelände, das sich ausgezeichnet für die dressurmässige Arbeit nutzen lässt. Nicht nur das Bergaufklettern ist eine gute Übung. «Im Schritt bergab reiten fördert die Versammlung: Um im Gleichgewicht zu bleiben, muss das Pferd seine Hinterbeine unter den Körper schieben, was sowohl gut für den Rücken als auch für die Hinterhand ist», sagt Zangger. Dabei sollte man unbedingt darauf achten, dass das Pferd gerade gerichtet bleibt, also Vor- und Hinterhand eine Spur bilden. Kletterpartien in steilerem Gelände sind ausgezeichnet, um «Kondition zu büffeln», die Leistungskapazität von Herz und Lunge zu verbessern und Muskeln aufzubauen. Aber Achtung: Klettern ist für das Pferd sehr anstrengend und darf nicht übertrieben werden.

Ein abgeerntetes Feld eignet sich gut als Dressurplatz, wenn der Bauer es erlaubt
Beim Training an Hängen, aber auch beim Reiten auf unebenem Boden lernt das Pferd sich besser auszubalancieren, verbessert seine Trittsicherheit, Konzentrationsfähigkeit und kräftigt Sehnen und Bänder. In den meisten Gegenden darf man heute allerdings nicht mehr quer durch den Wald und das Unterholz reiten, um das Pferd über kleine Baumstämme und Äste steigen zu lassen. Wo das noch erlaubt ist, kann man Wendungen, Achten oder «Slalom» um Bäume reiten. Diese Übungen mit dem ständigen Wechsel von Stellung und Biegung machen mehr Spass als die Schlangenlinien in der Halle und haben den gleichen gymnastizierenden Effekt.

Neben Bäumen kann man auch Heu- oder Siloballen auf einem abgeernteten Feld nutzen – doch überall, wo man auf Kulturland reitet, muss man erst den Bauern fragen. In vielen Fällen hat der aber nichts dagegen, wenn man bei trockener Witterung ein Feld oder eine gemähte Wiese als Dressurplatz nutzt. Dann kann man Volten in allen drei Gangarten und in allen Grössen reiten und dabei das Verkleinern und Vergrössern üben – wichtig: das Pferd dabei gut um das innere Bein biegen und mit dem äusseren Zügel führen.  

Exaktheit und Punktgenauigkeit kann man auch im Gelände trainieren: Ganze Parade zum Halten beim dritten Zaunpfahl, ein Übergang vom Schritt in den Trab beim nächsten Haselstrauch. Überhaupt finden sich in der Natur jede Menge «Hilfsmittel», die sich für Dressurübungen nutzen lassen: Wegkreuzungen zum Reiten von sauberen Viertelvolten oder Vorhandwendungen, die Breite des Waldweges für Schenkelweichen und Seitengänge, der begrenzende Zaun für ein Schultervor. Stört dabei ein Jogger, der um die Ecke biegt die Konzentration, oder erschreckt sich das Pferd wegen des Regenschirms eines Spaziergängers, hat selbst das einen Trainingseffekt: Der Reiter, der im Gelände schwierige Situationen meistert, gewinnt an Selbstvertrauen und das Pferd wird mit zunehmender Erfahrung gelassener und es wird sich mehr auf seinen Reiter statt auf den Fluchtrieb verlassen.