Ein steifer Nacken vom langen Sitzen am Schreibtisch oder ein schmerzender Rücken und müde Beine von stehenden Tätigkeiten: Wer nach einem anstrengenden Arbeitstag in den Stall kommt und sich auf die Reitstunde oder den entspannenden Ausritt freut, schleppt oft einige körperliche Wehwehchen mit sich. Das wäre kein Problem, würde man sich jetzt zum Trainieren auf ein Velo oder ein anderes Fitnessgerät setzen. 

Das sensible Lebewesen Pferd hingegen spürt sofort, wie sein Mensch drauf ist. Ist man mental und körperlich gestresst, nimmt es diesen Zustand sofort wahr – und wird in Alarmbereitschaft versetzt. Reagiert das Pferd beim Ausritt nicht wie erwartet, ärgert sich der Reiter – und ist im schlimmsten Fall noch verspannter und genervter als vorher. Um diesen Teufelskreis  erst gar nicht entstehen zu lassen, hilft es, seinen Arbeitsalltag an der Stalltür abzugeben, den Fokus ganz auf das Pferd zu richten und sich nicht nur mental, sondern auch körperlich auf die Stunden mit dem Ross einzustimmen. 

Hohe koordinative Anforderungen
Dem Kopf hilft ein Trick aus dem Mentaltraining. Sagen oder denken Sie bewusst «Stopp!», wenn sich berufliche oder alltägliche Sorgen in Ihre Gedanken schleichen. Jetzt gehört die Zeit ausschliesslich Ihnen und Ihrem Pferd. Ihren Körper bereiten Sie mit einigen Aufwärm- und Lockerungsübungen auf das Reiten vor. In praktisch allen Sportarten ist es üblich, sich mit einem Aufwärmprogramm auf anstehende körperliche Leistungen vorzubereiten – nur im Pferdesport ist man diesbezüglich zurückhaltend. Zu Unrecht: Reiten verlangt vom Körper zwar weder Schnell- noch Maximalkraft, stellt dafür hohe Anforderungen an die Konzentration, Kondition und vor allem an die koordinativen Fähigkeiten in den Bereichen Gleichgewicht, Rhythmus und Reaktion.

Ein fitter Reiter mit gut trainierten und aufgewärmten, auf die Leistung vorbereiteten Muskel-, Band- und Sehnenstrukturen ist körperlich besser in der Lage, auf die Bewegungen des Pferdes einzugehen, mitzuschwingen und seine Gewichts-, Bein- und Zügelhilfen fein zu koordinieren. Ein trainierter, aufgewärmter Reiter ist also auch ein besserer Reiter. Das dankt ihm nicht nur das Pferd, sondern auch der eigene Körper: Wer sich vor dem Reiten aufwärmt, verringert das Verletzungsrisiko.  Muskeln, Sehnen und Bänder auf Betriebstemperatur sind belastbarer, beweglicher und damit auch weniger anfällig für Zerrungen, Verstauchungen und Überdehnungen. Und eine gute trainierte Muskulatur stützt den Körper und schützt auch auf lange Sicht vor Verschleiss- und Abnützungserscheinungen.

Training mit Stallarbeit verbinden
Ist der Stall nicht zu weit weg, kann man sein Aufwärmprogramm bereits auf dem Weg zum Pferd beginnen, indem man zu Fuss geht oder das Velo nimmt. Wer sein Pferd vor dem Reiten von der Weide holen muss, kann den Rückweg durch einige Zusatzschlaufen verlängern und dabei im flotten Tempo neben dem Pferd hergehen, das dadurch schon etwas aufgewärmt wird. Bereits zehn Minuten reichen aus, um die Körpertemperatur zu erhöhen, die Muskeln anzuwärmen und den Kreislauf sowie die Bildung von «schmierender» Flüssigkeit in den Gelenken anzuregen. 

Danach kann die Intensität der Bewegungen gesteigert werden durch kleine Trabeinlagen mit dem Pferd, die Knie kann man beim Gehen abwechselnd höher ziehen (Skippings) oder die Absätze zum Gesäss ziehen (Anfersen). Auch für kleine Hüpfer und Sprünge – mit oder ohne Pferd an der Hand – ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Wer mag, bezieht die Stangen, Cavalettis oder kleine Hindernisse auf dem Reitplatz mit ein und absolviert so seinen eigenen kleinen Fitness-Parcours. 

Im Anschluss folgen einfache Gymnastik- und Dehnungsübungen, wie man sie aus dem Sport- oder Turnunterricht kennt. Viele davon lassen sich leicht bei den Stallarbeiten und dem Putzen des Pferdes einbauen: Auf den Zehenspitzen gehen und dabei die Arme abwechslungsweise so hoch wie möglich zu strecken wärmt die Rücken- und Rumpfmuskulatur auf. Die Schultern lässt man von vorne nach hinten kreisen und umgekehrt, erst die rechte, dann die linke oder auch beide Schultern gleichzeitig. Den Kopf dehnt man sanft zur linken und zur rechten Seite und versucht jede Position 20 Sekunden zu halten, dann zieht man das Kinn an die Brust, hält die Position für einige Sekunden, das Gleiche mit dem in den Nacken gelegten Kopf. 

Mit den Armen kreist man vor- und rückwärts, einzeln und gemeinsam, macht zur Kräftigung ein paar Liegestütz im Stehen an der Stallwand oder hebt den Sattel ein paar Mal hoch über den Kopf. Richtig ausgeführte Kniebeugen trainieren neben Bein-, Rumpf- und Rückenmuskeln auch die Beweglichkeit in den Sprunggelenken, Knien und der Hüfte. Die Oberschenkel erreicht man mit Ausfallschritten: Nach vorne dehnen sie die vordere Muskulatur und, wenn man dabei die Hüfte gut vorschiebt, auch den Hüftstrecker.

Übungen bewusst ausführen
Der Ausfallschritt zur Seite dehnt die inneren Oberschenkelmuskeln. Zum Dehnen der Waden stellt man sich mit den Fussballen auf eine Treppenstufe oder die Aufstiegshilfe und lässt den Absatz langsam nach unten sinken, bis man ein leichtes Ziehen in den Muskeln spürt, die Position 15 bis 20 Sekunden halten, dann das Bein wechseln.

Sämtliche Übungen sollte man langsam und bewusst ausführen. Einige lassen sich unauffällig durchführen, andere werden anfangs wohl die Aufmerksamkeit der Mitreiter auf sich ziehen – doch spätestens wenn diese sehen, wie Sie elastischer und lockerer im Sattel sitzen und mit ihrem Pferd harmonieren, werden Sie bei Ihren Aufwärmübungen Gesellschaft bekommen!