Brust raus! Schenkel ans Pferd! Hände ruhig! Die Kommandos, beim Reittraining, betreffen diverse Körperteile – nur nicht die Augen. Dabei beeinflusst der Blick den Sitz des Reiters wesentlich und dadurch auch seine Kontrolle über die Bewegungsrichtung des Pferdes. Beim Menschen sind die Augen nach vorne gerichtet. Wir benutzen beide Augen, um ein Objekt anzusehen. Dadurch haben wir aber auch ein wesentlich kleineres Blickfeld als das Pferd, das durch seine für ein Fluchttier typische seitliche Anordnung der Augen über eine fast komplette Rundumsicht verfügt. 

Um sehen zu können, was rechts und links von uns geschieht oder in welche Richtung wir reiten wollen, drehen wir oft und meistens unbewusst unseren Kopf. Diese Bewegungen werden – wie alle anderen im Sattel auch – vom sensiblen Lebewesen Pferd sofort registriert und ausgewertet. 

Schaut der Reiter nach rechts, weil er nach rechts reiten will, aktiviert er damit den Drehsitz und in seinem Körper spielt sich eine fein eingespielte Kettenreaktion ab: Mit den Augen und dem Blick geht der Kopf leicht nach rechts, die Muskeln richten sich in Bewegungsrichtung aus, Schultern, Mittelposition und Becken des Reiters folgen, das Gewicht im Sattel verlagert sich – und im Idealfall folgt das Pferd, das sich unter dem Reiter ausbalanciert, willig, und der Richtungswechsel gelingt harmonisch.

Fehleranfälliges System
Dieses System ist jedoch empfänglich für Störungen. Blickt der Reiter zu weit nach innen, knickt er in der Hüfte ein – und gibt damit die gegenteilige Gewichtshilfe: Er belastet den äusseren Gesässknochen, das Pferd folgt und driftet über die äussere Schulter nach aussen. Eine plötzliche starke Kopfdrehung des Reiters kann das Pferd für einen kurzen Moment aus dem Gleichgewicht und damit aus dem Takt bringen. 

Auch permanent auf den Hals oder das Genick seines Pferdes zu starren, ist keine gute Idee. Blickt der Reiter ständig nach unten, beugt er Hals und Rücken vor und kann das Brustbein nicht mehr anheben. Gleichgewicht, die Geschmeidigkeit des Sitzes und die Kontrolle gehen verloren. Durch die gebückte Oberkörperhaltung sitzt der Reiter «gegen das Pferd» und bremst dessen Bewegungsfluss. Im schlimmsten Fall gewöhnt sich der hinunterschauende Reiter einen Spaltsitz an: Er klammert mit den Oberschenkeln, anstatt sich locker auf seinen Gesässknochen auszubalancieren. 

Sanfte und harte Augen
Wer nun aber krampfhaft versucht, seinen Kopf in der richtigen Position zu halten, macht genauso viel falsch. Durch die starre Kopfhaltung verkrampft sich die gesamte Schulterpartie, der Reiter kann sich weder aufrichten noch mit der Bewegung mitschwingen und wird auf dem Pferderücken hin und her geworfen. 

Der Kopf des Reiters sollte frei getragen und gut ausbalanciert über der flexibel mit der Bewegung des Pferdes mitschwingenden Wirbelsäule «schweben». Die aufrechte Kopfhaltung ist das Ziel, wenn der Reiterlehrer fordert «Kinn hoch!». Den meisten Reitern hilft dabei auch das Bild vom eigenen Nacken, der den Kragen des Hemdes oder T-Shirts berühren sollte. Der Blick geht dabei weder links noch rechts am Hals vorbei, sondern zwischen den Pferdeohren hindurch in die gewünschte Bewegungsrichtung.

Dabei ist der Blick nicht gleich Blick. Der Reiter kann seinen Blick locker und frei schweifen lassen oder ihn angespannt und fokussiert auf ein bestimmtes Objekt richten. Beide Blickarten haben Auswirkungen auf die Muskulatur und den Körper und dadurch wiederum auf das Pferd. Obwohl sie das gleiche bezeichnen, finden sich in der Fachliteratur dafür verschiedene Begriffe. So spricht Sally Swift, die Begründerin des «Centered Riding», also des Reitens aus der Körpermitte, von «sanften» und «harten» Augen, während der französische Springreit-Weltmeister und erfolgreiche Trainer Michel Robert in seinen Büchern zwischen dem «Panoramablick» und dem «Fokusblick» unterscheidet. 

Beim sanften Panoramablick sind die Augen weit geöffnet, sie schweifen über die Pferdeohren hinaus und blicken weich und weit in den Raum. Der Reiter nimmt dadurch auch die Objekte und Geschehnisse am Rand des Blickfelds wahr. Dieser sanfte Blick ist nicht anstrengend, und mit den Augen entspannen sich Muskulatur und Körper des Reiters. Das Gleiche wird das Pferd unter dem Sattel tun und gelassen, leicht und frei vorwärtsschreiten. 

Der sanfte Rundumblick hat auch ein paar praktische Vorteile: Der Reiter ist vorausschauend unterwegs. Sind mehrere Paare in der Reitbahn oder auf dem Abreiteplatz, hilft der Panoramablick bei der räumlichen Orientierung, man kann anderen Reitern bei Bedarf ausweichen und kommt sich weniger in die Quere. Beim Reiten im Gelände erkennt der Reiter, was in der Umgebung vor sich geht und kann frühzeitig sich nähernden Fussgängern oder Velofahrern Platz machen.

Der starre oder «harte» Blick hingegen  schränkt das Gesichtsfeld ein, weil er sich auf ein Hindernis oder sonst einen Gegenstand konzentriert. Vielen unsicheren oder ängstlichen Reitern stockt beim Starren unbewusst der Atem oder sie halten ihn ganz an, die Muskulatur verspannt sich und der Kontakt zum Pferd geht verloren. Mit der Fokussierung auf ein bestimmtes Objekt lenkt der Reiter das Pferd automatisch dorthin. Das kann gut und gewollt sein, etwa beim Springen in einem Hindernisparcours. 

Wechseln zwischen den Blicken
Stolpert das Pferd aber beim Ausritt immer wieder über die gleiche Wurzel, dann vermutlich nur deswegen, weil ihm der Reiter mit seinem starren Blick falsche Signale vermittelt und es dorthin lenkt. Bei Pferden, die an bestimmten Stellen oder bei vermeintlich gefährlichen Gegenständen zum Scheuen neigen, kann der Reiter die brenzlige Situation entschärfen, indem er bewusst in die entgegengesetzte Richtung blickt. Das Pferd registriert, dass sein Reiter woanders hinsieht und das besagte Objekt nicht als bedrohlich wahrnimmt. Es wird diese Haltung übernehmen und sich schnell beruhigen. 

Erfahrene Reiter und erfolgreiche Pferdesportler wechseln ständig und meist unbewusst zwischen weichem Panoramablick und fokussiertem Tunnelblick. Beim Einreiten ins Dressur-Viereck, in den Spring- oder den Gymkhana-Platz lassen sie den Blick eine oder zwei Minuten weit und weich schweifen und signalisieren dem Pferd damit, dass alles in Ordnung ist, sie alles im Blick und damit im Griff haben. Während der Aufgabe wechselt der Reiter dann zwischen einem fokussierten Blick und weichen, entspannenden Augen – je nachdem, was gebraucht wird.