Als vor ein paar Jahren Natural Horsemanship aufkam, traf diese neue Methode die Reiterwelt wie eine Offenbarung. Sie galt als absolut gewaltfrei. Bilder von Pferden, die per Fingerzeig rückwärtsgingen oder sich ohne Sattel und Zaumzeug reiten liessen, zementierten das Bild einer Vertrauensbeziehung, die auf gegenseitigem Respekt beruht. Plötzlich schienen Mädchenträume wahr zu werden: Echte Freundschaft mit dem Pferd war in greifbarer Nähe.

Doch wer genau hinschaut, merkt schnell: Von freiwilliger Mitarbeit seitens des Pferdes kann keine Rede sein. Die Szene selbst spricht vom Prinzip «pressure and release» (Druck und Nachlassen von Druck): Damit das Pferd ein gewünschtes Verhalten zeigt, setzt der Reiter einen unangenehmen Reiz ein, den er so lange verstärkt, bis das Pferd darauf reagiert. Dann wird der Druck sofort aufgehoben. Die Belohnung besteht also darin, dass etwas Unangenehmes aufhört. In der Verhaltensbiologie wird dieses Lernprinzip negative Verstärkung genannt.

Wenn Pferde Vorteile aus etwas ziehen können, steigert das ihre Motivation
Pferde haben dem Horsemanship viel zu verdanken. Tausende von Menschen lernten ihre Tiere besser kennen: Sie begannen auf Mimik und Körpersprache ihres Pferdes zu achten und entwickelten ein Verständnis für dessen Reaktionen. Sie verstanden, dass scheinbarer Ungehorsam das Ergebnis von missverständlicher Kommunikation sein könnte und dass Fehler immer zuerst bei sich selbst zu suchen sind. Ihre Sprache gegenüber den Pferden wurde klarer. 

Doch wer sein Pferd tatsächlich frei von Zwang trainieren möchte, muss weitersuchen. Er muss einen Weg finden, es zur Arbeit zu motivieren. Das funktioniert nur, wenn es einen Vorteil aus dem Training ziehen kann. Manche Pferdetrainer sagen, richtige Gymnastizierung helfe dem Pferd, ein besseres Körpergefühl zu erlangen. Andere verbinden Arbeit und Spiel und betonen so den Spassfaktor. Wieder andere setzen auf Streicheleinheiten und Stimmlob. Auch Futter wird als Belohnung verabreicht. 

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  So sieht ein herkömmlicher Klicker aus.

Auf dem Prinzip der positiven Verstärker beruht ­Klickertraining: Zunächst wird dem Pferd klargemacht, dass einem bestimmten Laut eine Belohnung folgt. Viele verwenden dafür ein kleines Instrument, den Klicker. Wer die Hände frei haben möchte, kann auch selbst einen Laut erzeugen. Damit das Pferd die Verbindung zwischen Klick und Belohnung erkennt, klickt man zunächst in kurzen Abständen und lässt jedem Klick ein Leckerli folgen. Sobald das Pferd versteht, dass der Klick wie ein Versprechen funktioniert, kann das Training beginnen.

Trotz Lernerfolgen gibt es zahlreiche kritische Stimmen zum Klickertraining
Indem man jede Annäherung an ein gewünschtes Verhalten mit einem Klick einfängt, kann man nicht nur problematisches Verhalten in den Griff bekommen, sondern dem Pferd selbst komplexeste Bewegungsabläufe beibringen. Erfunden wurde die Methode für das Training mit Delfinen, die aufgrund der Entfernung zum Trainer nicht sofort belohnt werden können. Da ein Tier jedoch nur eine unmittelbare Reaktion auf ein Verhalten mit diesem verknüpfen kann, ist es notwendig, ein Überbrückungssignal einzusetzen.

Inzwischen ist das Klickertraining auch in der Hundeerziehung verbreitet. Unter Pferdefans jedoch kaum. Das bestätigt Pferdetrainerin und Reitlehrerin Stéphanie Hostettler aus Ottikon bei Kemptthal ZH: «Ich habe eine einzige Schülerin, deren Pferd wir mithilfe des Klickers trainieren.» Sie selbst arbeitet zwar ebenfalls mit positiver Verstärkung, verzichtet aber bei ihrem eigenen Pferd auf den Klicker. «Ich mag das Stimmlob lieber, weil mein Pferd mir ruhig anhören soll, wenn ich mich besonders freue», sagt sie. 

Ob mit Stimmlob oder Klick – wichtig sei, den richtigen Moment für das Feedback präzise zu treffen, was mit alleinigem Belohnen nicht immer möglich sei, erklärt Hostettler, die ihr Studium an der Universität Zürich mit einem Master in Verhaltensbiologie abgeschlossen hat. Wie entscheidend diese Präzision für den Trainingserfolg ist, lässt sich am Beispiel eines Hundes zeigen, der das Kommando «Sitz» lernt. Belohnt der Mensch die korrekte Ausführung ohne Überbrückungssignal, verstärkt er vielleicht unfreiwillig ein unerwünschtes Verhalten. Wenn nämlich der Hund in freudiger Erwartung aufsteht, während der Mensch in seiner Tasche nach Leckerli kramt, dann glaubt er anschliessend, für das Aufstehen belohnt geworden zu sein. 

Trotz belegbarer Lernerfolge durch Klickertraining, wird auch immer wieder Kritik an der Methode laut. In Internetforen wird Klickertrainern vorgeworfen, ihre Tiere zu bestechen. Viele bezweifeln, dass ein Pferd auch dann mitarbeitet, wenn die Leckerliauswurfmaschine mal leer ist, und glauben, Klickerpferde würden zu Bettelmonstern erzogen. «Das sehe ich anders», sagt Hostettler. Statt von Bestechung möchte sie eher von Lohn sprechen, den das Pferd erhalte, nachdem es eine Leistung vollbracht habe. 

Dass Pferde nur dann mitarbeiten, wenn der Leckerlibeutel in Sichtweite ist, kann sie ebenso wenig bestätigen: «Um dem Pferd etwas Neues beizubringen, ist Futter eine gute Hilfe. Aber mit der Zeit ersetzt man es durch Stimmlob oder Streicheln. Und das hat man ja immer dabei.» Bei der Arbeit mit Klicker sei es zudem wichtig, die Anforderungen für einen Klick schrittweise zu erhöhen. Möchte man etwa dem Pferd beibringen, unangebunden stehen zu bleiben, entfernt man sich zunächst nur wenige Schritte. Nach und nach steigert man die Entfernung, und irgendwann klickt man das Stehenbleiben nur noch, wenn man sich ausser Sichtweite begibt. 

Anders als beim Horsemanship fehlen beim Klickern bekannte Vorbilder 
Tatsächlich machen Reiter, die mit Klicker zu arbeiten beginnen, die Erfahrung, dass sich das Bettelverhalten vorübergehend verstärkt. Dagegen gibt es jedoch ein einfaches Mittel: «Wer Betteln konsequent ignoriert und Futter aus der Hand ausschliesslich als Belohnung einsetzt, wird sogar ein besonders höfliches Pferd haben», sagt die Pferdetrainerin. 

Doch warum konnte sich das Training mit positiver Verstärkung bisher nicht durchsetzen? «Viele denken noch immer, ein so grosses Tier müsse man doch im Griff haben. Die Arbeit mit Druck und negativer Verstärkung ist diesbezüglich greifbarer, weil der Mensch die eigene Dominanz direkt erlebt», erklärt Hostettler. Es sei jedoch ein Fehler, Autorität mit Machtausübung gleichzusetzen. «Die Autorität einer Leitstute legitimiert sich durch ihre Erfahrung und ihr Wissen um die besten Weidegründe, diejenige eines Leithengstes durch seine Fähigkeit, die Herde zu beschützen.» Sie vermutet ausserdem, dass der Begriff «Pferdeflüsterer» und der gleichnamige Film zum Hype beigetragen haben. Im Gegensatz zum Horsemanship würden beim Klickern Figuren fehlen, die die Methode authentisch verkörpern.

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DVD-Tipp


Viviane Theby, Nina Steigerwald: «Pferde-Clickertraining für Einsteiger. Erziehen und gymnastizieren», 120 Minuten, Verlag: Müller Rüschlikon, ISBN: 978-3-937322-31-5, ca. Fr. 35.–