Einhändiges Reiten hat lange Tradition: Ritter, Soldaten und Cowboys brauchten eine freie Hand, um mit ihr fechten, schiessen oder arbeiten zu können. Die Skythen, die legendären Reiternomaden aus der eurasischen Steppe, ritten mit Pfeil und Bogen sogar freihändig. Logisch, dass in der Working Equitation, die aus den traditionellen Arbeitsreitweisen Südeuropas entstanden ist, schwere Prüfungen komplett einhändig geritten werden müssen. Auch Freizeit- oder Dressurreiter sollten die Zügel regelmässig in einer Hand halten, um ein Handpferd mitnehmen oder ein Weidetor vom Sattel aus öffnen zu können. 

«Im Dressurtraining ist es ausserdem eine Möglichkeit, weniger über Zügelhilfen und mehr über den Sitz mit dem Pferd zu kommunizieren», sagt Julia Thut, Trainerin für klassisch-barocke Reiterei und Stuntfrau. Und es ist ein guter Test: Wie sicher steht mein Pferd an den Hilfen? Einhändiges Reiten schule einerseits den Reiter, seine Lektionen exakt zu planen und differenzierter mit Gewichts- und Schenkelhilfen einzuwirken, andererseits schule es das Pferd, feiner auf die Hilfen zu reagieren, erklärt Thut, die in Untereggen SG einen Ausbildungsstall betreibt.

Ratgeber «Mit einer Hand»
In ihrem Ratgeber «Mit einer Hand» beschreibt Thut ausführlich, wie die Umstellung aufs einhändige Reiten gelingen kann, mit Tipps für leichte bis schwere Lektionen.

[EXT 1]

 

Vier Zügel sind anspruchsvoller 
Voraussetzung für das einhändige Reiten sind ein durchlässiges, also ausgebildetes Pferd und ein feinfühliger, gut ausbalancierter Reiter, im Idealfall hilft ein erfahrener Ausbilder. Wer mit zwei Zügeln reitet, nimmt sie so in die linke Hand, dass der linke Zügel unterhalb des kleinen Fingers verläuft, der rechte zwischen kleinem Finger und Ringfinger. Beide Zügel kommen oben zwischen Daumen und Zeigefinger aus der Faust heraus. Vier Zügel erfordern etwas mehr Übung: Der linke Trensen- oder Kappzaumzügel läuft unter dem kleinen Finger der linken Hand, zwischen kleinem Finger und Ringfinger wird der linke Kandarenzügel platziert. 

Zwischen Ring- und Mittelfinger liegt der rechte Kandarenzügel, zwischen Mittel- und Zeigefinger der rechte Trensenzügel. Traditionell werden die Zügel in der linken Hand geführt. Linkshänder, die zum Beispiel Rinder einfangen wollen, nehmen die Zügel aber besser in die rechte Hand. Im Training ist es sinnvoll, ab und an zu wechseln.

Die Faust wird aufrecht und weich geschlossen über dem Widerrist getragen. «Drehen Sie den Daumen dabei leicht nach aus­sen, damit sich die Muskelkette vom Daumen bis zum Schulterblatt entspannt», empfiehlt Thut. So könne man leichter das Brustbein anheben und die Schultern zurücknehmen. «Zum Wenden nach rechts verschieben Sie Ihre Hand leicht nach rechts und drehen Ihre Hand so ein, dass Sie Ihre Fingernägel sehen können.» Dadurch wirke der linke Zügel verwahrend tief, während der rechte seitwärtsweisend höher einwirke, sagt die Expertin.

Sitzfehler zeigen sich viel deutlicher
Bei der Linkswendung wandert die Hand leicht nach links und dreht sich so, dass man auf die Uhr schauen könnte. Während das einhändige Reiten die Hilfengebung prinzipiell nicht verändert, verlangt sie doch besonders klare Sitzhilfen, mit denen neben der Gewichtsverlagerung auch Atmung, Körperspannung, Becken- und Schulterbewegungen gemeint sind. 

Das Ziel der klassischen Reiterei ist es, dass das Pferd im Laufe seiner Ausbildung auf diese kaum sichtbaren Hilfen immer reagiert, bis Schenkel, Zügel, Gerte und Stimme nur noch als Unterstützung eingesetzt werden. «Hier ist das einhändige Reiten von grossem Nutzen: Sitzfehler zeigen sich beim einhändigen Reiten viel deutlicher, weil sie nicht in letzter Sekunde durch Handeinwirkung korrigiert werden können», so Thut.