Wer sein Pferd aus der Box holt, sattelt und dann gleich im Galopp losprescht, der riskiert gesundheitliche Schäden. Die sofortige hohe Belastung kann beim Pferd Zerrungen oder gar Risse in den Muskeln, Sehnen und Bändern sowie eine Schädigung der Gelenke bewirken. Wie ein Sportler, der sich vor einem Lauftraining oder einem Fussballspiel aufwärmt, muss auch das Pferd sorgfältig auf die anstehenden Aufgaben vorbereitet werden.

Durch lösende Arbeit verschwinden Verspannungen und die Körpersteife, die durch das lange Stehen im Stall oder auf der Weide entstehen. Die Körpertemperatur wird erhöht, der Stoffwechsel kommt in Schwung, Muskeln, Sehnen und Bänder werden durchblutet, gelockert und geschmeidig gemacht. Auch die Gelenke sind erst nach einiger Zeit der Bewegung ausreichend mit Gelenkflüssigkeit «geschmiert» und erreichen ihre volle Elastizität.

In den ersten 10 bis 15 Minuten sollte nur Schritt geritten werden
Wie lange diese Aufwärmphase dauert und wie man sie am besten gestaltet, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Bei kalten Temperaturen ist ein längeres Aufwärmen nötig als im Sommer. Ein älteres Pferd muss noch ausgiebiger aufgewärmt werden als ein jüngeres und auch ein grosses, schweres Warmblutpferd braucht ein intensiveres Warm-up als ein kleines, drahtiges Pony, bei dem im Vergleich weniger Muskelmasse in Schwung gebracht werden muss. Und für den ersten Galopp auf einem Ausritt gestaltet sich das Aufwärmen anders als vor dem Einsatz bei einem Springturnier.

Was aber grundsätzlich unverändert bleibt, sind die ersten 10 bis 15 Minuten, in denen entweder am hingegebenen oder am langen Zügel im Schritt geritten werden sollte, ohne dass der Reiter dabei grossen Einfluss auf sein Pferd nimmt. Es sollte aber trotzdem fleissig voranschreiten und nicht bummeln. Ist das Pferd geschoren oder hat es nur wenig Winterfell, lassen viele Reiter in dieser Aufwärmphase gerne noch eine Decke auf dem Pferderücken liegen.

Anstatt in der Reithalle im Kreis zu reiten, kann die Schrittrunde auch ins Gelände verlegt werden. Dabei kann das Pferd sich nicht nur körperlich, sondern auch mental entspannen und auf die bevorstehende Arbeit einstellen. Man muss sich dazu übrigens nicht unbedingt in den Sattel setzen, sondern kann das Pferd auch an der Hand führen. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass sich dabei der Reiter selbst ebenfalls aufwärmt. In grossen Sportställen werden Pferde zum Aufwärmen in die Führmaschine gestellt, womit die Reiter, die mehrere Pferde bewegen müssen, Zeit sparen. Nicht empfehlenswert ist es hingegen, das Pferd in der Halle oder auf einem Platz frei laufen zu lassen oder «herumzujagen» – bei einem unkontrollierten Durchstarten und Losbuckeln ist die Verletzungsgefahr zu gross.

Ein zu ruhiges Tempo ist nicht sinnvoll
Sind Pferd und Reiter nach dem Schrittreiten sowohl vom Körper als auch vom Kopf her entspannt, ist das die beste Voraussetzung für die weitere Lösungsphase, die je nach Pferd noch einmal 10 bis 20 Minuten dauert. Patentrezepte für den Weg zur Losgelassenheit gibt es nicht, er ist von Pferd zu Pferd verschieden. Wer unsicher ist, was für ihn und sein Pferd das Beste ist, der sollte einen erfahrenen Reitlehrer oder Trainer um Rat fragen. Wichtig ist jedoch, die Lösungsphase nicht immer nach dem gleichen Muster abzuspulen, sondern Abwechslung in das tägliche Training zu bringen.   

In der Regel beginnt man mit Leicht-Trab in einem ruhigen Arbeitstempo auf beiden Händen mit häufigen Wechseln, also mal links-, dann wieder rechtsherum. Im Gelände erst geradeaus, in der Halle über die ganze Bahn, aber auch auf grossen gebogenen Linien wie Volten und Achten. Für engere Wendungen ist es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh, weshalb auch die Ecken der Reitbahn abgerundet werden dürfen. Das Pferd soll fleissig, aber nicht eilig und in leichter Anlehnung vorwärtstraben.

Ein zu ruhiges Tempo ist allerdings auch nicht sinnvoll, weil Pferde dabei gerne mal zum «Schlurfen» verleitet werden und die Hinterhand nicht zum Untertreten angeregt wird. Häufige Übergänge, erst Schritt–Trab und Trab–Schritt, später auch Trab–Galopp und Galopp–Trab eignen sich gut zum Lösen. Der Rücken des Pferdes entspannt sich durch den häufigen Wechsel zwischen Trab und Galopp besonders gut, der Reiter kommt dadurch besser zum Sitzen und kann feiner einwirken. Auch bei der Galopparbeit sind ein frisches Arbeitstempo und zunächst grosse Linien zu wählen. Der Reiter kann sein Pferd entlasten, indem er bei den ersten Galopps in den leichten Sitz respektive in den Jagdsitz geht. Auch Seitwärtsgänge im Schritt zählen zu den lösenden Übungen: Schenkelweichen, zum Beispiel Viereck verkleinern und vergrössern, Schultervor oder das Übertretenlassen auf der Volte.

Gegen Ende der Lösungsphase kann man mit dem «Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen» überprüfen, ob sich das Pferd genügend an die Hand des Reiters herandehnt. Weitere Anzeichen für die Losgelassenheit des Pferdes sind taktreine Gänge, ein mitschwingender Pferderücken, ein lockerer, im Takt der Bewegung pendelnder Schweif, eine gute Maultätigkeit eventuell mit Schaumbildung sowie eine gleichmässige Atmung mit gelegentlichem, zufriedenen «Abschnauben».