Es war eine schreckliche Szene: Nur rund 150 Meter vor der Ziellinie stürzten plötzlich drei Pferde mit ihren Reitern. Der britische Jockey George Baker verletzte sich dabei schwer und erholte sich erst nach monatelangem Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum. Doch für sein Pferd, das er am 26. Februar 2017 ritt, kam jede Hilfe zu spät. Der Hengst Boomerang Bob musste noch auf der Rennstrecke vor den Augen des Publikums durch den anwesenden Tierarzt von seinen Leiden erlöst werden. Wie sich nachher herausstellte, gab es einen Riss in der Eisdecke, sodass Wasser an die Oberfläche trat und den Unfall verursachte.

Der Fall löste eine hitzige öffentliche Debatte über Sinn und Unsinn von Pferderennen aus, zumal es nicht der erste tödliche Unfall an dem berühmten Pferderennen «White Turf» auf dem zugefrorenen See in St. Moritz GR war. Hanspeter Meier als profunder Kenner der Pferderennszene, ehemaliger Rennleitungstierarzt und Vollblutzüchter vertritt eine klare Meinung: «Sinn und Zweck von Pferderennen auf gefrorenen Seen sind sowohl aus sportlichen wie züchterischen und somit auch tierschützerischen Gründen sehr fragwürdig.»

Der Rennverein St. Moritz hält indes am «White Turf» fest und will die Sicherheit für Pferde und Reiter durch technische Massnahmen verbessern. Doch die schätzungsweise rund hundert Unfälle, die an Pferderennen in der Schweiz pro Jahr geschehen, müssen noch andere Gründe zur Ursache haben.

Wie überhaupt Unfälle und Verletzungen von Pferden vermieden werden können, führte Hanspeter Meier in seinem Referat an der Pferdetagung des Schweizer Tierschutzes am 29. September in Olten SO aus. 

Viel transparenter als die Schweiz, was die Unfälle an Pferderennen anbelangt, ist die Situation in den USA. Dort wurde auf Druck der Öffentlichkeit 2009 die Datenbank «Equine Injury Database» eingerichtet, in der sämtliche tödlich verlaufenen Verletzungen an den Pferderennen und in den folgenden Tagen festgehalten werden. «In nur gerade acht Jahren konnte dann die Rate der tödlichen Verletzungen signifikant verbessert werden», erläuterte Meier. Von ursprünglich zwei Prozent ist der Anteil tödlicher Verletzungen bis im Jahr 2016 auf 1,54 Prozent gesunken. Das entspricht einem Rückgang um rund einen Viertel bei den tödlichen Verletzungen.

Frühes Training lohnt sich
Eine Studie zu den Unfallursachen ergab, dass das Geläuf – also die Beschaffenheit der Rennbahn – eine wichtige Rolle spielt. So wiesen Sandbahnen am meisten Unfälle auf, Gras etwas weniger und synthetische Unterlagen am wenigsten. Einen Einfluss auf die Anzahl Knochenbrüche hat ebenfalls die Geometrie der Bahnen, je nachdem wie eng die Bögen verlaufen.

Oft heisst es, zweijährige Pferde wären noch zu jung, um bereits für Rennen eingesetzt zu werden. Doch dieser Kritik widerspricht Meier als pensionierter Tierarzt: «Ein Tatbestand, der aus Sicht der Prävention unverständlich ist. Einerseits, weil die Vorteile der frühen Beschäftigung mit Pferden ebenfalls seit Langem bekannt sind, zum andern, weil heutzutage dafür auch jede Menge wissenschaftliche Studien deren Vorteile begründen.» Die Ergebnisse zeigten, dass die Anpassung des Bewegungsapparates und dessen Stärkung besser möglich seien, wenn die Skelettreifung noch nicht abgeschlossen ist. Diese Hypothese ist gemäss Meier weltweit mit vielen Studien – nicht nur für knöcherne Strukturen, sondern auch für Gelenke und Sehnen – bestätigt worden.

Ein Mythos ist, dass Pferde durch den Gebrauch der Peitsche angespornt und noch schneller galoppieren würden. Das Gegenteil trifft zu: Verhaltensforscher aus Australien haben herausgefunden, dass die Pferde durch die Peitschenschläge auf den letzten Metern vor dem Ziel sogar langsamer wurden. Denn wenn die Jockeys mit der Peitsche auf das Hinterteil ihres Pferdes schlagen, gerät es aus dem Gleichgewicht – was nicht bloss Zeit kostet, sondern in Hindernisrennen sogar zu Stürzen führen kann. Der Dachverband «Galopp Schweiz» konnte sich wenigstens zu einem Kompromiss durchringen: Seit diesem Jahr sind laut Reglement noch höchstens drei freihändige Schläge pro Rennen erlaubt.

Schmerzen als Schutzmechanismus
Wenn Meier überwiegend von der Unfallprävention im Pferderennsport sprach, so deshalb, weil in diesem Bereich etliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Dabei werden die meisten Pferde für die Freizeit genutzt, wo auch am häufigsten Unfälle vorkommen. Gemäss einer Statistik der grössten privaten Tierversicherung in der Schweiz über die letzten zehn Jahre betrafen 52,9 Prozent der Schadenfälle Freizeitpferde; bei den Todesfällen waren es sogar 83,8 Prozent. 

Häufige Unfallfolgen sind Verletzungen des Bewegungsapparates. Das können beispielsweise Sehnenschäden sein, die eine lange Abheilzeit erfordern. Meier mahnte in diesem Zusammenhang, nicht immer gleich zu Entzündungshemmern zur Behandlung der Symptome zu greifen: «Schmerzen sind ein Schutzmechanismus, um das verletzte Gewebe zu schonen und damit die Regeneration zu fördern.» Und weiter meinte der Veterinär: «Entzündungshemmer verleiten jedoch dazu, die nötige Ruheperiode nicht einzuhalten und somit die Abheilung zu beeinträchtigen; solche Fehlleistungen sind unverantwortlich stark verbreitet.»

Unabdingbar zur Unfallprävention ist ferner eine seriöse Reitausbildung, um beispielsweise sicher im Gelände ausreiten zu können und in unerwarteten Situationen richtig zu reagieren. Nicht zuletzt kommt der Pferdehaltung eine vorbeugende Rolle zu. Dies bestätigt die Sicherheitsanalyse der Beratungsstelle für Unfallverhütung aus dem Jahre 2014. Darin steht unter anderem: «Die Haltung und Schulung der Pferde hat einen massgebenden Einfluss auf das Verhalten. Bei nicht artgerechter Haltung kann ein Pferd abnormale Verhaltensweisen zeigen wie Aggressivität, Beissen, Treten oder stereotypische Verhaltensweisen.» Mit anderen Worten: Artgerecht gehaltene Pferde sind körperlich und charakterlich ausgeglichener und damit zuverlässiger, als wenn dies nicht gewährt wird.