Schwung im Sinn der Skala der Pferdeausbildung wird definiert als ein energischer Impuls der Hinterhand, der auf die Gesamtvorwärtsbewegung des Rosses übertragen wird. Funktionieren kann das nur in Gangarten mit Schwebephase, also im Trab und Galopp, der Schritt gilt als schwunglose Gangart. Im Umkehrschluss könnte man meinen, dass Schwung gleichbedeutend mit Tempo ist. Das stimmt aber nicht: Gerade schwierige Lektionen wie Piaffe oder Galopp-Pirouette kommen fast völlig ohne Tempo aus, erfordern aber eine Menge Kraft und Schwung aus der Hinterhand. 

«Von aussen erkennt man ein schwungvolles Pferd daran, dass sich die Kruppe etwas nach unten zu senken scheint und die Hinterbeine grosse, unverkrampfte Tritte machen, ohne dass das Pferd zu eilig wirkt», sagt Zoe Sanigar Zollinger, pferdepsychologische Verhaltenstherapeutin und Cen­tered-Riding-Lehrerin der Stufe II aus Gränichen AG. 

Entstehen kann Schwung unterm Sattel nur, wenn ein Pferd im Takt und losgelassen läuft. Besonders der Rücken muss in seiner Muskulatur loslassen können, damit er sich nach oben zum Reiter hin aufwölben kann. Dies erzeugt einen nach oben gebeugten Spannungsbogen, der die langen Rückenmuskeln entlastet. Andererseits werden die beiden Nacken-Rückenbänder über die Kruppe und den Widerrist gespannt und helfen dabei, die nicht tragfähigen Strukturen des Rückens zu entlasten und das Reitergewicht zu tragen. 

Das Training erfordert viel Geduld
«Erst mit aufgewölbtem Rücken ist es für das gesunde Pferd unter dem Reiter physikalisch möglich, die Hinterbeine weit unter seinen Schwerpunkt schwingen zu lassen», sagt Sanigar Zollinger. Sie warnt davor, junge Pferde oder Korrekturpferde zu schnell in die Aufrichtung bringen zu wollen und sie damit zu lange auf der Vorhand laufen zu lassen. Stattdessen sollte man Remonten, also Pferde, die sich noch in der Grundausbildung befinden, in allen Gangarten geradeaus reiten, bis sie die notwendige Rumpf- und Hinterhandmuskulatur entwickelt haben. Dabei ist auf eine korrekte Dehnungshaltung zu achten. Diese darf die Vorhand nicht übermässig belasten. Man sollte sich bewusst sein, dass ein solches Training etliche Monate dauert.

Zudem sollten Reiterinnen am eigenen Sitz arbeiten – am besten mit Unterstützung eines erfahrenen Ausbilders. Denn die Schubkraft aus der Hinterhand kann nur dann nach vorne schwingen, wenn der Reiter die Bewegung nicht mit einem steifen Becken, klemmenden Beinen oder einer unnachgiebigen Hand blockiert. Auch ein Sattel, der nicht richtig passt, oder gesundheitliche Probleme können schuld daran sein, dass ein Pferd verspannt ist und darum seinen Schwung verliert oder erst gar nicht entwickeln kann.

Auch wenn es viel Geduld erfordert, der Einsatz lohnt sich: Wenn ein Pferd losgelassen und schwungvoll durchs Viereck trabt, ist das ein optischer Genuss. Ein schwungvolles Pferd katapultiert auch den Reiter entgegen landläufiger Meinung nicht aus dem Sattel, sondern nimmt ihn mit (einen losgelassenen Sitz vorausgesetzt), ist also angenehmer zu sitzen. Der wichtigste Punkt ist aber, dass die Entwicklung von Schwung unabdingbar für gutes und gesundes Reiten ist. 

«Bei Westernpferden wird der Rücken entlastet und die Bewegungen fliessen durch den ganzen Pferdekörper, was sämtliche Knochen-, Sehnen- und Bandstrukturen entlastet», erklärt Sanigar Zollinger, die Reitweisen übergreifend unterrichtet. Bei klassisch gerittenen Pferden mit dem Ziel der relativen Aufrichtung könne nur im Schwung die Hinterhandmuskulatur weiter gefördert werden, um später auch Traglast aufzunehmen. Zudem dehnt Schwungtraining die sogenannte Hosenmuskulatur der Hinterhand und sorgt dadurch dafür, dass sie elastisch bleibt und die Hinterbeine nicht rückständig werden, was wiederum dazu führen würde, dass der Rücken nach unten gezogen wird. Genug Gründe, um auch reine Freizeitpferde zu ermutigen, aktiv und energisch mit den Hinterbeinen zu arbeiten. Nur so können sie Reitergewicht tragen, ohne Schaden zu nehmen.

Dass Schwung für Pferde aller Rassen und Reitweisen gleichermassen wichtig ist, bedeutet nicht, dass alle Pferde das gleiche Bewegungspotenzial haben. Das liegt einmal an den individuellen körperlichen Voraussetzungen, zudem wurden unterschiedliche Rassen für unterschiedliche Zwecke gezüchtet. Während man bei modernen Warmblütern oft schon im Fohlenalter einen enormen «Grundschwung» beobachten kann, bringen viele kompakte iberische Pferde weniger Schubkraft als eine hohe Versammlungsfähigkeit (die Hinterhand des Pferdes nimmt vermehrt die Last des Reiter- und Pferdegewichts auf) mit. Das ist eine Voraussetzung, um ausreichend wendig für Farmarbeiten zu sein.

Schrittübungen sind sinnvoll
Einfacher haben es Reiter von ganggewaltigen Warmblütern trotzdem nicht, warnt Sanigar Zollinger: «Häufig ist es viel schwieriger, grossrahmige, gangstarke Pferde losgelassen und schwungvoll zu reiten.» Das gelte besonders für den Anfang der Ausbildung, wenn sie noch im Rücken fest sind und den Reiter «werfen». Der Reiter verspannt dann oft automatisch, um die Würfe zu kompensieren, die Hände werden zudem hart oder unruhig.

Das Pferd reagiert sofort mit weiterer Verspannung. Als Schenkelgänger mit durchgedrücktem Rücken und Spanntritten können solche Pferde immer noch spektakulär und schwungvoll wirken, den wahren Schwung im Sinne der klassischen Ausbildungsskala haben sie dann aber schon lange verloren. Kompaktere, weniger gangveranlagte Pferde seien dagegen schneller gut zu sitzen. «Sie verzeihen meiner Erfahrung nach auch Reiter- und Sitzfehler eher», erzählt die Fachfrau.

Im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten kann jedes Pferd Schwung entwickeln. Wie man den Schwung am besten fördert, hängt vor allem vom Alter und Ausbildungsstand des Pferdes ab. «Man kann schon jungen Pferden an der Hand beibringen, die Hinterhand vermehrt einzusetzen, indem man die Hinterhand touchiert und dabei ein spezielles Stimmkommando benutzt», sagt Sanigar Zollinger. Später reiche dann schon das Stimmkommando an der Hand oder an der Longe, um das Pferd energischer abfussen zu lassen. 

Unter dem Sattel sollte das Pferd korrekt vorwärts-abwärts in Dehnungshaltung in frischem Tempo geradeaus laufen können, bevor man Trab-Galopp-Übergänge und Tempiunterschiede innerhalb der einzelnen Gangarten reitet. «Der Schritt hat zwar keine Schwebephase, eignet sich aber dennoch hervorragend, um die Hinterhand zu aktivieren», rät Sanigar Zollinger. Gute Schrittübungen sind zum Beispiel das Bergauf- und Bergabreiten auf wenig steilen Strecken im Gelände – in korrektem Spannungsbogen und nicht am weggeworfenen Zügel, denn das gibt Kraft. Auch Schenkelweichen in langsamem ruhigem Schritt fördert Dehnung und Muskelaufbau der Hinterhandmuskeln, die der Schwungentwicklung in Trab und Galopp zugute kommen.