Der Volksmund sagt zwar «lieber nervös, als hässig und bös», aber nervöse Pferde können für ihre Besitzer eine grosse Belastung sein. Denn wenn jede Reitstunde, jeder Ausflug ins Gelände und jeder Turnierstart zur Zitterpartie wird, weil das Pferd zappelig, schreckhaft oder nass geschwitzt vor Aufregung ist, dann ist auch der Reiter mit seinen Nerven rasch am Ende. Doch nicht nur das: Der Umgang mit einem unruhigen, ängstlichen, panisch reagierenden Pferd, das bei jeder Kleinigkeit scheut oder davonstürmt, kann für den Menschen gefährlich werden.

Per Definition ist die Nervosität eine «innere Gemütsverfassung bei Lebewesen, die sich durch Entfernung vom Ruhezustand und Verlust oder Verringerung der Gelassenheit darstellt». Nervosität ist keine Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Symptome und unerwünschte Verhaltensweisen. Gegen aussen wird die nervöse Verfassung des Pferdes oft sichtbar durch starkes Schwitzen, aufgeregtes Hin- und Herlaufen oder eine zackelnde Gangart unter dem Reiter, wiederholtes Wiehern, schnelle Bewegungen der Augen und häufigen Kotabsatz, oft als Durchfall.

Dabei werden im Körper des gestressten Pferdes sämtliche Systeme mobilisiert, die für eine Flucht oder einen Kampf wichtig sind: Die Herzfrequenz und der Blutdruck steigen an. Energie wird in Form von Glukose freigesetzt. Die Nerven und das Gehirn sind in Alarmbereitschaft, die Muskeln besser durchblutet und die Stresshormone Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet respektive gebildet.

Angeborene oder anerzogene Nervosität
Die Gründe für Nervosität bei Pferden sind vielfältig. Zum einen sind Pferde von Natur aus stressanfällig: Als Fluchttiere, die in freier Wildbahn zahlreiche Fressfeinde haben, besitzen sie entsprechende Schutz- und Fluchtreflexe und sind mit einer erhöhten Aufmerksamkeit ausgestattet. Bei manchen Pferden ist diese angeborene Charaktereigenschaft stärker ausgeprägt als bei anderen. Das gilt vor allem für höher «im Blut» stehende Pferde, wie zum Beispiel Vollblüter, die in der Regel aufgeregter sind als die «gemütlichen» Kaltblutrassen. Zum anderen kann nervöses Verhalten durch Faktoren wie falsche Haltung, zu wenig Bewegung, einen groben, hektischen Umgang oder ein nicht dem Ausbildungsstand des Pferdes angepasstes Training ausgelöst werden.

Als Herdentier findet das Pferd Sicherheit und Stabilität im Verband. Die Isolation von seinen Artgenossen stellt somit eine psychische Belastung dar. Das Gleiche gilt für ein unbefriedigtes Bewegungsbedürfnis: Pferde, die stundenlang unbeschäftigt in einer Box verbringen, sind oftmals unausgeglichen. Zu viel Aktionismus ist aber ebenfalls kontraproduktiv: Pferde, die bei der Arbeit permanent überfordert sind, reagieren darauf früher oder später mit Stresssymptomen und je nach Typ auch mit Nervosität.

Nervenkostüm über das Futter stärken
Zentral ist auch der ruhige, konsequente Umgang mit dem Tier. Nicht umsonst sagt man, das Pferd sei ein Spiegelbild seines Reiters: Es kann nur so ruhig und gelassen reagieren, wie sein Reiter selber ist. Dieser muss in der Lage sein, dem Pferd in jeder Situation Sicherheit zu vermitteln und darf selber keine Angst bekommen, wenn das Pferd ängstlich reagiert. Bei nervösen Pferden darf man niemals die Beherrschung verlieren oder grob werden (was natürlich immer für den Umgang mit Tieren gilt), weshalb sie nicht nur hohe Anforderungen an das reiterliche Können, sondern auch an die Selbstdisziplin stellen.

Doch erfahrene Pferdesportler bevorzugen diese nervigen Typen meist. Denn wenn man zu ihnen den richtigen Zugang findet, sind sie dank ihrer Sensibilität und erhöhten Aufmerksamkeit sehr lernfähig und zu ausserordentlichen Leistungen fähig. Für das Erstellen einer Vertrauensbasis, auf der sich auch mit einem nervösen Pferd gut trainieren lässt, sind verschiedene Faktoren wichtig. Neben viel Geduld und ständiger positiver Bestätigung von erwünschtem Verhalten durch Lob ist es vor allem auch die Routine, die hektische Pferde ruhiger werden lässt. Gleichbleibende Abläufe, sei es bei den Weide- und Futterzeiten, dem Putzen oder beim Reiten vermitteln dem Pferd Sicherheit.

Sind Pferde nervös oder schreckhaft und ängstlich wird auch gerne zum «Pülverli» gegriffen: Der Fachhandel bietet eine grosse Auswahl an Futtermitteln und Nahrungsergänzungsmitteln, die für starke Nerven sorgen sollen. Bestimmte Kräuter und Pflanzen haben eine beruhigende Wirkung auf flatternde Nerven. Am bekanntesten ist Baldrian, dessen beruhigende und muskelentspannende Wirkung in zahlreichen Studien nachgewiesen wurde. Aber Achtung: Baldrian ist dopingrelevant und muss vier bis sechs Tage vor einem Turnier abgesetzt werden. Andere Futtermittelzusätze für nervöse Pferde enthalten Mag­nesium, das eine wichtige Rolle spielt bei der Impulsweiterleitung in den Nervenzellen, B-Vitamine, die den Energiestoffwechsel in den Nerven- und Gehirnzellen verbessern, oder die Aminosäure Tryptophan, eine Vorstufe des Hormons Serotonin, das für die «Stimmungslage» beim Pferd eine grosse Bedeutung hat. Als zeitlich begrenzte Massnahme bei extremer Nervosität kann der Tierarzt gegebenenfalls angstlösende Medikamente verabreichen.

Weil Kauen beruhigt und nervöse, hektische Pferde oftmals  schwerfutterig und dünn sind, sollten sie unbeschränkten Zugang zu qualitativ hochwertigem Raufutter haben. Mit einer gezielten Fütterung kann also einiges für das Nervenkostüm des Pferdes getan werden. Sie ersetzt aber nicht die sorgfältige Überprüfung und allfällige Anpassung der Haltung und Ausbildungsmethoden.