Die meisten Reiter haben schon Bekanntschaft mit der Schwerkraft gemacht und sind vom Pferd gefallen. Stürze lassen sich im Pferdesport nicht vermeiden und zum Glück verlaufen sie mehrheitlich glimpflich. Aber nicht immer. Gemäss einer Sicherheitsanalyse der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu verletzen sich in der Schweiz jährlich rund 8000 Personen bei der Ausübung des Pferdesports so schwer, dass sie ärztlich behandelt werden müssen.

Bei Frauen im erwerbstätigen Alter ist Reiten nach dem Skifahren gar die Sportart mit den zweitmeisten Verletzungen. Ein Teil davon ereignet sich beim Umgang mit dem Pferd, zum Beispiel durch Tritte und Bisse beim Putzen, Führen oder Verladen. «Die meisten Verletzungen und tödlichen Unfälle ereignen sich aber beim Reiten, hauptsächlich infolge von Stürzen vom Pferd», schreiben die Autoren der bfu-Sicherheitsanalyse. Und sie folgern: «Viel Erfahrung, Übung und Wissen sind Voraussetzung für einen sicheren Umgang mit dem Pferd. Gerade deshalb haben ungeübte Reitende ein höheres Verletzungsrisiko.»

Wie bei jeder Sportart, ist auch beim Reiten das ordentliche Erlernen der entsprechenden Techniken und ein ständiges Wiederholen der Bewegungsabläufe die Grundlage für ein sicheres Ausüben. Der Besuch von Reitstunden oder Kursen bei einem qualifizierten Reitlehrer vermittelt eine solide reiterliche Grundausbildung. Diese sollte nicht nur die Schulung des korrekten Sitzens beinhalten, sondern auch den richtigen Umgang mit dem Pferd. Als Flucht-, Herden- und Steppentier agiert das Pferd seinen Instinkten entsprechend und setzt mit seiner Grösse und seinem Gewicht Energien frei, die für den Menschen gefährlich werden können.

Ausgelastete Pferde sind gelassener
Sicheres Reiten beginnt deshalb, lange bevor der Reiter einen Fuss in den Steigbügel setzt. Bereits die Haltung und Fütterung des Pferdes sind wichtige Faktoren zur Unfallvermeidung. Ein bedarfsgerecht gefüttertes, gut ausgelastetes Pferd, das täglich bewegt wird und Weidegang geniesst, ist ausgeglichen im Temperament und reagiert gelassener. Während man sich nicht wundern muss, wenn ein mit Hafer vollgestopftes Boxenpferd, das keine 40 Minuten pro Tag geritten wird, irgendwann vor lauter Bewegungsdrang explodiert und dabei seinen Reiter unsanft zu Boden befördert. Auch ängstliche, unsichere, junge und unerfahrene Pferde stellen wegen ihrer Unberechenbarkeit eine Gefahr für ungeübte Reiter dar und gehören in die Hände eines professionellen Ausbilders.

Pferde werfen ihre Reiter nicht aus Lust und Laune ab, es gibt immer einen Grund, weshalb sie sich widersetzen, scheuen, steigen, buckeln oder durchgehen. Körperliche Beschwerden können eine Ursache sein und gehören von einem Tierarzt abgeklärt. Ebenso kann eine mangelhafte Ausrüstung wie ein drückender Sattel oder eine unpassende, zu scharfe Trense dem Pferd Schmerzen verursachen, gegen die es sich wehrt. Gute Ausrüstung ist entsprechend gepflegt und gewartet, denn reisst ein Steigbügelriemen oder Zügel beim Ausritt, kann das zu schweren Unfällen führen.

Der Reiter seinerseits kann durch das Tragen von Schutzausrüstung gewissen Verletzungen vorbeugen. Zwar setzen sich ?heute die meisten Pferdesportler einen Helm auf, doch dieser schützt den Kopf nur, wenn er optimal passt und bei einem Sturz nicht verrutscht. Nach einem harten Aufprall muss der Reithelm ausgetauscht werden: Feine, teils unsichtbare Risse können dafür sorgen, dass er nicht mehr zu 100 Prozent schützt. Feste Schuhe bieten den Zehen Schutz vor Pferdehufen und beim Reiten sorgt ein Absatz dafür, dass der Fuss bei einem Sturz nicht durch den Steigbügel rutscht und hängen bleibt.

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Rolle vorwärts: Beim Falltraining erlernen die Reiter die richtige
Abrolltechnik.
Bild: zVg

Schutz dank Airbag-Westen und Fitness
Sicherheitswesten schützen je nach Modell die Wirbelsäule sowie den Rücken und die Brust. Die neueren Airbag-Westen, die sich blitzschnell aufblasen, sobald sich der Reiter vom Sattel löst, stützen zusätzlich den Nacken und verhindern ein Zurückschlagen des Kopfes. Schutzwesten sind erst im Vielseitigkeits- und im Rennsport obligatorisch, empfehlen sich aber grundsätzlich beim Springen, vor allem über feste Hindernisse, sowie für Kinder und Jugendliche.

Im Falle eines Falles bietet jedoch auch die beste Ausrüstung keinen absoluten Schutz vor Verletzungen. Schon gar nicht, wenn man stocksteif oder wie ein Sack Kartoffeln zur Erde fällt. «Ein Reiter, der fit ist, seinen Körper beherrscht und die richtigen Falltechniken anwenden kann, hat die besseren Chancen, einen Sturz unverletzt zu überstehen», sagt Yucca Rothacher. Die Pferdesportlerin und Vereinstrainerin mit einem Diplom des Schweizerischen Verbands für Pferdesport ist Sport-Mentalcoach und trägt auch den schwarzen Gurt im Judo. Heute bringt sie ihre jahrzehntelange Erfahrung aus beiden Sportarten in Fall- und Mentaltrainings ein, die sie für Reiter und andere Sportler anbietet.

«In dem Pferd-Reiter-Team sollte das Pferd nicht der einzige Athlet sein», erklärt Rothacher. Bevor er in den Sattel steigt, empfiehlt sie dem Reiter deshalb ein paar Aufwärmübungen, zum Beispiel während des Putzens. Job-Stress und Alltagssorgen legt man am besten vor der Stalltüre ab, da sich negative Gedanken sowohl auf das Verhalten des Pferdes als auch auf die körperliche Leistung auswirken. «Nur ein körperlich und geistig fitter Reiter ist in der Lage, geschmeidig und ausbalanciert im Sattel zu sitzen und richtig zu reagieren, wenn das Pferd buckelt oder scheut», sagt Rothacher.

Nicht klammern!
Zeichnet sich ein Abflug ab, rät die Fall-Expertin, sich auf keinen Fall ans Pferd zu klammern und seinen Körper womöglich in eine noch schlechtere Position zu bringen. Besser sei es, loszulassen, den Sturz zuzulassen und möglichst kontrolliert zu fallen. Steht dem Reiter ein Überschlag nach vorne bevor, etwa weil das Pferd vor einem Hindernis abrupt stoppt, sollte er seinen Kopf so weit zur Seite bringen, dass ein sauberes Abrollen über die Schulter möglich wird. Bei einem Sturz zur Seite, beispielsweise wenn ein Pferd scheut und wegspringt, darf der Reiter nicht probieren, den Fall mit der Hand oder dem Arm abzufangen, dieser Wucht können die Knochen unter Umständen nicht standhalten. Stattdessen sollte man das Gewicht des Aufpralls auf die ganze Körperseite verteilen.

Was in der Theorie einfach klingt, muss erst unter fachkundiger Anleitung erlernt werden. Bei den Falltrainings, die Yucca Rothacher regelmässig durchführt und auch für Vereine und Reitschulen anbietet, üben die Teilnehmer die richtigen Techniken in einer Turnhalle. Ein Schwedenkasten simuliert dabei das Pferd, Matten federn den Fall ab. Im Anschluss an das Falltraining müssen die neu erlernten Bewegungsabläufe allerdings erst verinnerlicht werden. «Das geht nur durch regelmässiges, zu Beginn am besten tägliches Trainieren», sagt Rothacher. Eine gute Adresse zum Weiterüben und Perfektionieren der Falltechniken ist auch der lokale Judo-Club.

Und was dem Körper guttut, wirkt sich auch auf den Kopf aus: Wer weiss, wie man richtig fällt, bekommt mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, ein neues Selbstvertrauen im Sattel und meistert schwierige Situationen mit dem Pferd souveräner.