Der Soundtrack von «Star Wars» scheppert aus den Lautsprechern. Das ist für die Schweine, die im Hintergrund warten, das Signal für die kommende Riesengaudi: Das Säulirennen an der St. Galler Olma steht auf dem Programm. Menschenmassen warten auf den Rängen darauf, sie haben auf ihre Favoritin gewettet und sind gespannt, wer das Rennen macht. Die fünf Athletinnen ziehen nun in die Arena ein und es ertönt die Rennmusik.

Zu «Galopp» aus der Ouvertüre zu Rossinis Oper «Wilhelm Tell» rasen die Schweine über den Parcours, wo sich am Ziel nicht nur die Siegerin den Magen mit Leckerli vollschlägt. Seit einem Vierteljahrhundert sind die Rennschweine der Publikumsrenner an der Ostschweizer Landwirtschaftsmesse. Sie kommen aus dem Stall der Familie Milz, die im Weiler Hofen bei Amlikon-Bissegg im Thurgau Schweinemast und Milchwirtschaft betreibt.

2015 übergaben Susanne und Hans Milz den Hof an Sohn Aaron. Beide Elternteile arbeiten immer noch tatkräftig mit – und Susanne Milz trainiert September für September die Rennschweine für die Olma. Seit einigen Jahren geht ihr Emi, die Frau von Sohn Stephan, zur Hand. Wenn sie dereinst aufhören werde, weiss die 64-jährige Susanne Milz, steht die Schwiegertochter in den Startlöchern, da sie alle Abläufe kennt, die seit 1997 gleich sind.

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Pig Racing aus den USA als Vorbild

Damals hätten sie ja geglaubt, dass das Säulirennen ein einmaliger Anlass sei. Der Thurgau war in jenem Jahr Gastkanton an der Olma. Hans Milz, dazumal Präsident von Suisseporcs Ostschweiz, besprach mit Kollegen den Auftritt. «Sie redeten über die Arena und fanden, man müsse etwas viel Attraktiveres machen, als einfach Muttersauen zu präsentieren», erklärt Susanne Milz. Ein Kollege habe vom «Pig Racing» erzählt, das er in den USA gesehen und das ihm Eindruck gemacht habe.

«Hans kam nach Hause, erzählte davon und wir fanden gemeinsam mit dem Lehrling, dass wir das auch machen», erinnert sich Susanne Milz. Also gingen 1997 die ersten Thurgauer Säuli in St. Gallen an den Start. Und dies an einer Messe, zu der damals praktisch nur Landwirte gingen. Da und dort schüttelte einer den Kopf. Doch den Olma-Verantwortlichen gefiel es so gut, dass sie nach weiteren Auftritten fragten.

Das Training blieb dann an ihr hängen, wie Susanne Milz lächelnd sagt. Während die Schweine im ersten Jahr von verschiedenen Betrieben kamen sowie unterschiedlich alt und gross waren, sind es seit 1998 ausschliesslich Säuli aus dem eigenen Stall. Dann seien sie alle gleich gross, 60 bis 65 Kilogramm schwer und kennen sich, sagte die Schweinetrainerin und beschreibt das Auswahlverfahren für das Wettkampfkader: «Ich gehe in den Stall, wo die Säuli der richtigen Grösse zusammenleben, und stelle mich einfach in ihre Mitte.»

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Kein Männchen, keine Kitzligen

Dann wartet sie ab, was passiert. Die einen sind scheu und rennen sofort in eine weit entfernte Ecke. Andere sind neugierig, kommen zu ihr und machen vorwitzig an ihren Hosenbeinen herum. «In Frage kommen die, die an mir interessiert, aufgeweckt und zutraulich sind.» Aber dann müssen sie auch noch das richtige Geschlecht haben, denn Susanne Milz nimmt ausschliesslich Weibchen, die ausserdem nicht kitzlig sein dürfen.

Sie müsse die Säuli am Bauch gut anfassen können, erklärt Milz, damit sie ihnen ein Sponsoren-Mäntelchen mit einem Klettverschluss anlegen könne. Und die Männchen hätten das nicht gerne. Hat sie ihre Auswahl getroffen, markiert Hans Milz die 20 Schweine, nimmt sie aus dem Stall und bringt sie in zwei Iglus, wo sie bis zur Olma bleiben.

Auch wenn sie sich draussen neben dem Wohnhaus aufhalten, ist dies eine Vorbereitung auf die Messe. Regelmässig kommen die Enkel, Spaziergänger und Familienbesuche vorbei. «So gewöhnen sie sich an Menschen und vor allem auch an Kinder, die sie gerne anfassen und ihnen hinterherrennen», sagt Milz, die ihren Trupp täglich füttert, am Bauch streichelt und mit ihm redet.

Training auf Ablauf, nicht auf Tempo

Das eigentliche Training findet auf der Wiese nebenan statt, auf der Milz den Olma-Parcours mit Startboxen, mit der geschwungenen Rennstrecke inklusive kleiner Hürde und mit Futtertrog am Ziel quasi nachbaut. «Wir trainieren aber nicht auf Tempo, sondern den Ablauf», betont Milz. Wenn es geregnet habe, sei es rutschig auf der Wiese. Dann habe sie schon etwas Sorge, dass die Säuli übermütig werden und sich dabei einen Fuss verstauchen könnten.

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Sodann startet Emi Milz das Signal zum Verlassen der Iglus. Es ist die Olma-Einlaufmusik von «Star Wars». Damit sie ihre «Fress-Melodie», wie Susanne Milz sie nennt, erkennen, läuft sie den Schweinen beim ersten Üben vom Iglu auf die Wiese voraus – immer einen Eimer mit Futter schwenkend. Nachdem die ersten fünf Athletinnen in die Startboxen gelockt wurden, bläst Susanne Milz zum Start in ein kleines Feuerwehrhorn. Es ertönt die Rennmusik von Rossini.

Nach dem Aufgehen der Maschine geht die Trainerin mit dem Kessel den Parcours ab – die neugierigen Sauen wacker hinterher, bis alle am Ziel angekommen sind, wo der Futtertrog auf die Vierbeiner wartet. So ist das Ganze also eine Art «komplizierte Schweinefütterung». Sauen fressen und bewegen sich für ihr Leben gerne – und so bringt Milz sie mit einer ballaststoffreichen Getreidemischung, die sie gerne haben, auch dazu, ihr zu folgen.

Die Besucher amten als Fans

«Schweine sind ja schlau und kapieren schnell», sagt Susanne Milz. Schon am nächsten Tag kennen sie die Wege. Und einige haben durchaus erlickt, dass sie über die kleine Hürde nicht unbedingt springen müssen. «Ja, es hat jedes Jahr so Schlitzohren, die rechts oder links daran vorbeirennen», bestätigt Milz lachend. Nach drei bis vier Durchgängen der ersten Gruppe wiederholt sich das Prozedere für die nächsten drei Teams, bis alle 20 Schweine geübt und gefressen haben.

Zweimal täglich trainiert Milz ihre Tiere. Dabei tausche sie die Gruppenzusammensetzung immer wieder aus, damit nicht eine Sau dominant werde. «Sie machen es einfach gerne», ist Susanne Milz überzeugt. «Wenn ich mal das Tor eines Iglus nicht schliesse, rennen die Säuli nochmals durch den Parcours.»

Zur Rennsäuli-Schulung gehört ausserdem dazu, dass sie sich mit weiteren Gegebenheiten der Olma-Arena vertraut machen. So hängen rund um die Milz’sche Wiese Plakate, damit sie sich in St. Gallen nicht erschrecken. Und auch an den Lärm des Publikums müssen sich gewöhnen. «Jeden, der zu uns auf Besuch kommt, nehme ich mit zum Training. Er muss dann Fan spielen», erklärt Susanne Milz schmunzelnd.

Ständig wechselnde Rennteams

Nach einigen Wochen des Übens entscheidet sie sich erst kurz vor Olma-Beginn, welche 15 Schweine dort an den Start gehen sollen. «Es sind die, die fleissig trainiert haben, und bei denen alles gut geht», erklärt Milz. So gebe es gewisse Schlaumeier, die den anderen die umgebundenen Mäntelchen wieder ausziehen. Die müssen im Thurgau bleiben und kommen nur zum Einsatz, falls ein Tier an der Olma ausfällt.

Die anderen kommen nach St. Gallen, wo Marc Daepp ihre Betreuung übernimmt. Ein Idealfall, sagt Milz: «Er war bei uns Lehrling und kennt alle Abläufe von früher.» An der Olma ist Daepp der Stallbursche für die Schweine. Er stellt die Teams zusammen, wechselt diese ständig und lässt auch mal alle Siegerinnen gegeneinander antreten. Die Favoritin aber kristallisiert sich laut Susanne Milz erst in der Arena heraus. «Manchmal geht eine ab wie ein Pfeil, von der ich es gar nicht gedacht hätte.» Andere Sauen lassen sich auch mal von etwas ablenken, das auf dem Arenaboden liegt. Es könnte ja fressbar sein…

In St. Gallen anwesend ist die pensionierte Bäuerin nur am ersten Tag. «Dann bin ich einfach froh, dass wir es geschafft haben und wenn alles klappt.» Schön sei auch, die Freude im Publikum zu sehen und dass die Menschen es lustig finden, wenn die rosaroten oder gepunkteten Schweine mit ihren Ringelschwänzchen innert weniger Sekunden über den Parcours rasen und dann fressen.

Jedes Jahr andere Schweine

Während die fünf Sauen sich die Mägen vollschlagen, sagt Christian Manser, Präsident der Olma-Tierschauen und Moderator der Säulirennen, jeweils etwas über Schweine an sich. Dann folgen die nächsten zwei Rennen. Alles in allem dauert der Publikumshit eine halbe Stunde. Manser gibt den Schweinen auch die Namen. «Schützi» ist immer mit von der Partie, manchmal auch die «Heisse Heidi» oder die «Wilde Hilde». Andere tragen als Hommage an den Gastkanton Namen wie Allegra, Fifferlotta, Flitz Palü, Lenzerheidi, Prättigaunerli oder Saubünda, die dieses Jahr Graubünden repräsentieren.

Nach dem Ende der zehntätigen Messe geht es für die Schweine zurück in den Thurgau. Mittlerweile sechs Monate alt, bleiben die Olma-Schweine auch im Hof der Familie Milz als Gruppe zusammen. Wegen der Seuchengefahr kommen sie aber nicht zu den anderen gleichaltrigen Mastschweinen, sondern leben in einem eigenen Stall, bis sie mit etwa hundert Kilogramm geschlachtet werden.

Mit ausgewachsenen Sauen funktioniere das Rennen nicht, betont Susanne Milz. Sie seien rauschig und schlicht zu dick für die Startmaschine. Deshalb beginnt für die Trainerin nächstes Jahr das ganze Prozedere mit anderen Tieren von Neuem – aber der Ablauf wird der gleiche sein wie seit einem Vierteljahrhundert. Und dies wird so lange weitergehen, wie die Olma die Rennschweine im Programm hat.

Olma 2022
Die Messe für Landwirtschaft und Ernährung Olma findet dieses Jahr vom Donnerstag, 13. Oktober, bis Sonntag, 23. Oktober, statt. Gastkanton ist Graubünden, der sich unter dem Motto «aifach gspunna!» präsentiert. In der Kleintier-Arena geben Fachleute in der Halle 7.1 Auskunft über die Haltung und Zucht von Geflügel, Tauben, Kaninchen und Geissen. Kinder dürfen deren Gitzi um 10 und 15 Uhr ihre Schoppen geben. In den Hallen 7.0 und 7.1 sowie im Arenazelt sind Sauen mit ihren Ferkeln, Milchkühe, Mutterkühe mit ihren Kälbern, Ziegen und Schafe verschiedener Rassen zu sehen. Und jeden Tag um 16 Uhr steigt in der Arena das Säulirennen.