Herr Schels, in einem Interview sagten Sie einst, Menschen zu porträtieren sei viel schwieriger als Tiere – inwiefern?

Viele Menschen mögen es nicht, fotografiert zu werden. Sie sind peinlich berührt, sie wollen gefallen, sich und anderen, aber sie sind sehr unsicher über ihr Äusseres. Deswegen verstecken sie sich hinter einem Fotolächeln. Als Porträtist muss ich bei Menschen viel Zeit verwenden, es wegzubekommen. Bei Tieren ist das nicht notwendig. Tiere verstellen sich nicht. Viele haben so gut wie keine Mimik. Und wenn, dann können sie sie, anders als der Mensch, nicht kontrollieren. Ein Tier fragt sich auch nicht: Bin ich schön? Es hat kein Schamgefühl, es ist so, wie es eben ist. Deswegen fotografiere ich manchmal lieber Tiere als Menschen.

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Ein Bär, der entspannt auf dem Sofa sitzt, ein Gepard, der aus nächster Nähe frontal in die Kamera schaut, wie gelingen Ihnen solche Aufnahmen?

Ich bin mit Tieren gross geworden. Wir hatten einen Hund, Katzen, auch Hühner, Kaninchen und Schweine. Die Tiere waren als Kind meine Freunde, ihnen fühlte ich mich näher als Menschen. Ich empfinde bis heute Sympathie und Respekt für Tiere, und ich bin überzeugt: Jedes Tier zeigt, neben den Eigenarten seiner Spezies, seine eigene Persönlichkeit. Als Porträtfotograf versuche ich, eine Beziehung zu meinem Gegenüber herzustellen. Wir unterhalten uns mit den Augen. Aber das ist speziell. Auch Menschen empfinden Blickkontakt als Bedrohung, wenn er zu lange dauert. Noch dazu kann ich einem Gepard oder einem Schaf keine Anweisungen geben. Ein Tier blickt mich nur für einen kurzen Moment an. Diese Verbindung zwischen mir und dem Wesen des Tieres versuche ich festzuhalten. Durch den Blickkontakt entsteht beim Betrachten des Bildes dieses menschliche Gefühl, als wären wir Freunde und würden uns, gewissermassen auf Augenhöhe, gegenübersitzen. Diese Gleichwertigkeit herzustellen, darin besteht für mich die Kunst in der Porträtfotografie, sowohl beim Tier als auch beim Menschen.

Sie zeigen die Tiere immer vor Studiohintergrund, losgelöst von ihrer natürlichen Umgebung – mit welcher Absicht?

Es gibt grossartige Wildlife-Fotografie, Löwen bei Sonnenaufgang, Gänse im Vogelzug. Aber mich interessiert das nicht. Ich bin mit meiner Kamera immer auf der Suche nach dem individuellen Wesenskern meines Gegenübers, ganz gleich, ob Mensch oder Tier. Da lenkt die Umgebung nur ab.

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Besteht bei dieser Art der Präsentation nicht die Gefahr, dass wir den Tieren menschliche Charakterzüge zuschreiben?

Solche Projektionen – listig wie eine Schlange, stolz wie ein Pfau, schlau wie ein Fuchs – sind so alt wie die Menschheit. Dem Tier ist das egal. Es bleibt, wie es ist. Aber indem wir Tiere in unserer Vorstellung vermenschlichen, unterlaufen uns Missverständnisse. Ich erinnere mich an einen Fototermin für eine Zeitschrift mit einem jungen Schimpansen, der an den Umgang mit Menschen gewöhnt war. Als wir eine Pause machten, sass er bei der Redakteurin auf dem Schoss wie ein Menschenkind und zupfte Weintrauben von einem Teller, ganz niedlich. Als ihm dann eine Traube auf den Boden fiel, bückte sich die Frau, um sie für ihn aufzuheben. Da biss der Schimpanse sie in die Hand. Er verstand das nicht als höfliche Geste, sondern als Versuch, ihm die Trauben zu stehlen. Die Redakteurin musste zum Notarzt. Wenn es um ihr Futter geht, verstehen die meisten Tiere keinen Spass. Meine Regel lautet: Unterschätze kein Tier. Auch in einem Kaninchen, einem trainierten Film-Schimpansen oder einem Schosshund steckt dessen wilde Natur.

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In den Tierporträts möchten Sie also die jeweilige Persönlichkeit der Tiere aufzeigen und nicht die Ähnlichkeit zu uns Menschen?

Die Ähnlichkeit zum Menschen zu zeigen, ist nicht meine Absicht. Das würde einem tierischen Individuum auch nicht gerecht. Jedes Tier hat seine eigene existenzielle Würde, dafür braucht es nicht die Nähe zum Menschen. Umgekehrt ist die Sache schon interessanter: In der Biologie gehört der Mensch als Säugetier zur Familie der Menschenaffen. So gesehen ähnelt der Mensch nicht nur in vieler Hinsicht dem Tier, er ist auch eins.

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Gewährt uns der unverstellte Ausdruck der Tiere denn einen Einblick in ihr Innenleben oder ist das Tier für uns unergründlich?

Wahrscheinlich beides. Ein Hund, der die Zähne fletscht, zeigt, was er empfindet. Aber was geht vor im Bewusstsein einer Katze oder eines Schafs, wenn sie mir gegenübersitzen? Haben sie ähnliche Gedanken und Gefühle wie ich? Zumindest können wir uns mit manchen Tieren verständigen, durch Berührungen oder den Klang der menschlichen Stimme. Einmal bekam ich den Auftrag, ein Schwein zu fotografieren. Auf dem Bild sollte es stehen. Aber das Schwein, das mir ein Tiertrainer brachte, kauerte nur ängstlich auf dem Boden. Ich dachte an die Schweinchen, die ich im Stall umarmt hatte, als ich ein Kind war. Ich legte mich neben das Schwein auf den Boden. Ich sprach zu ihm, ungefähr so, wie ich versuchen würde, ein weinendes Baby zu beruhigen. Danach war es bereit aufzustehen und ich bekam mein Porträt.

Tierporträts zeigen Sie nie in Farbe. Worin liegt ihr Vorliebe für Schwarzweissfotografie begründet?

Ich mag Farbe nicht. Weder bei Menschen noch bei Tieren. Farbe kann aufdringlich sein, das Wesentliche überfrachten, sie kann leicht kitschig wirken. Das ist aber Geschmackssache. Ich finde nicht, dass meinen Bildern Farbe fehlt.

 

 

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Zur Person
Walter Schels wurde 1936 in Landshut DE geboren. Als Fotograf bekannt wurde er mit seinen Charakterstudien von Künstlern, Politikern und Prominenten der Kunst- und Geisteswelt. Mit der gleichen Intensität porträtiert er seit Jahrzehnten Tiere und Blumen.