Die ausnehmend ausladenden Hörner sind ein Markenzeichen der Schottischen Hochlandrinder. An ihnen kann sogar das Geschlecht abgelesen werden. Bei den Stieren wachsen die Hörner charakteristischerweise waagerecht und nach vorne gebogen. Ochsen haben kürzere und ganz gerade waagerecht abstehende Hörner. Der Kopfschmuck der Kühe hingegen ist deutlich länger und nach oben geschwungen.

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Schottische Kälbchen

«Das Wetter heute passt optimal, nasskalt, genau wie in Schottland. So mögen sie es gerne.» Thomas Rufer zeigt auf seine rotbraunen und schwarzen Rinder, die durch ihr dichtes Zottelfell optimal gegen die widrigen Witterungsbedingungen gewappnet sind und im Laufhof stoisch vom Futtergemisch aus Heu, Stroh und Grassilage mampfen. Wir Zweibeiner begeben uns trotz Regenbekleidung indes lieber in die Scheune. Dort, im hintersten Teil des Laufstalles, liegt das jüngste Mitglied von Thomas Rufers 125-köpfiger Herde Schottischer Hochlandrinder im tiefen Stroh. Vor zwei Tagen ist das Kälbchen zur Welt gekommen.

Gemeinsam mit seiner Mutter ist es in einer separaten Panel-Box einquartiert, denn es will dem Kleinen noch nicht gelingen, allein am Euter seiner Mutter zu saugen. Gleich wolle er es nochmals tränken, dabei müsse er die Mutter allerdings immer gut im Auge behalten, so der umtriebige Landwirt aus Rapperswil BE. Grundsätzlich sind die Rinder aus dem rauen Nordwesten Schottlands gutmütig und ruhig. «Kühe mit Kalb können aber ganz schön temperamentvoll werden, auch untereinander geht es schon mal rabiat zu und her.»

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Ausbrecherkönige

Dass die mit einer Widerristhöhe von höchstens 120 Zentimetern kleinrahmigen Schotten einiges agiler sind als die Milchkühe, die sein Vater hielt, wird Rufer immer wieder bewusst. Etwa wenn er sie über die beiden Schwellen im Laufstall hüpfen sieht. «Anfangs hatten wir Bedenken, dass der Stier Mühe hat, die Absätze zu überwinden. Doch auch der 870 Kilogramm schwere Franz meistert die Treppenstufen mühelos.»

Franz läuft seit zwei Jahren in Rufers Herde mit. Davor war es Aufgabe des zwölfjährigen Stiers Herkules, für zotteligen Nachwuchs zu sorgen. Ist es denn nicht etwas gefährlich, sich zu diesem Kraftprotz in den Stall hineinzubegeben? «Franz muss wissen, dass ich und nicht er das Sagen hat», so Thomas Rufer. Übernehme der Stier aber das Ruder und zeige Aggressivität den Menschen gegenüber, dann könne es schnell brenzlig werden und man müsse einen Schlussstrich ziehen.

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Auch ein gewisser Freiheitsdrang ist dem Highland Cattle, wie die original englische Rassenbezeichnung lautet, nicht abzuerkennen. Thomas Rufer weist auf den Elektrodraht hin, der in einigem Abstand über den Futtertrog in der Scheune gespannt ist. Diesen hätte er angebracht, nachdem ihm regelmässig einige Rinder über den Steintrog rausgesprungen seien. «Und gestern Abend haben die Schotten gedacht, die Weidesaison sei bereits wieder eröffnet.»

Während er abends den Stall machte und dazu einen Teil des grossen Auslaufes abtrennte, sei plötzlich ungewöhnlich viel Bewegung in die Herde gekommen. Als er in den Laufhof trat, waren bereits 30 seiner Rinder im Feld draussen unterwegs, und dies bei völliger Dunkelheit, erzählt Thomas Rufer. Die Kleie vom selbst angebauten Rapperswiler Dinkel hätte gute Dienste geleistet. Dank dem Leckerbissen und mit Hilfe seines Vaters konnte er bald wieder alle Tiere zurück in den Laufhof locken.

«Während der Zeit, in der sie bei mir sind, sollen es die Rinder schön haben.»

Doch solche Eskapaden können Thomas Rufers Begeisterung für seine Schottischen Hochlandrinder keinesfalls schmälern. Er mag einerseits ihr Aussehen und andererseits auch, wie unkompliziert sie sind. «Den Tierarzt benötige ich äusserst selten und die Klauenpflege mache ich selber, denn kaum ein Rind hat je Probleme mit seinen Füssen.» Genau seit 20 Jahren hält er diese Rasse nun schon.

Die robusten Tiere hätten ihn bereits als Jugendlichen fasziniert. Zu seinem zwanzigsten Geburtstag kaufte er einem Kollegen, der zu den ersten Haltern in der Schweiz gehörte, ein Rind ab. Ein zweites schenkten ihm seine Eltern. Ziemlich genau zehn Jahre früher, im Jahr 1993, waren die aller-ersten Schottischen Hochlandrinder für ein Pilotprojekt der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Lindau ZH in die Schweiz importiert worden. Mittlerweile tummeln sich doch 911 Tiere in 153 Herden auf Schweizer Weiden (Stand 2021).

Trittsichere Landschaftspfleger

In Mutterkuhhaltung werden sie als Fleischrinder gehalten und durch ihre enorme Genügsamkeit und Trittsicherheit eignen sich die Rinder von der Britischen Insel auch ausgezeichnet als Landschaftspfleger in höheren Lagen. Auf den Bergweiden halten sie die fortschreitende Verbuschung auf. Ein Forschungsprojekt von Agroscope zusammen mit den Universitäten Heidelberg und Göttingen zeigte auf, wie positiv sich die Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern auswirkt. Insgesamt ist auf diesen Weiden nämlich die Artenvielfalt grösser, da sich viele Samen im langen Fell festhacken und so verbreitet werden.

Der Anteil an Sträuchern ist auf den Hochlandrinderweiden allerdings geringer als auf Vergleichsflächen, was zeigt, wie wenig anspruchsvoll diese Rasse in ihrer Futterwahl ist. Thomas Rufer besitzt eine der schweizweit grössten Herden. Auf dem Gurtendörfli hält Familie Balsiger momentan etwa 80 Rinder und unter dem Label Natur Konkret weiden mehrere Hundert Tiere von Guido Leutenegger auf Betrieben im Tessin, Graubünden, Thurgau und sogar in Brandenburg. Ansonsten sind in der Schweiz eher kleinere Bestände anzutreffen.

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Charaktervolles Fleisch

Auch wenn sich 125 Tiere in Rufers Stall tummeln – er schätzt jedes einzelne von ihnen und ist für ihr Wohl besorgt. «Während der Zeit, in der sie bei mir sind, sollen es die Rinder schön haben.» Stolz zeigt der Rapperswiler auf seine mit 13 Jahren älteste Kuh, die durch ihre spezielle graue Fellfarbe und die aus-ladenden Hörner ins Auge sticht. Braune, rotbraune und schwarze Rinder trifft man am häufigsten an, es gibt aber auch die Farbschläge Hellbraun, Grau (dun), Gestromt (brindle) und Weiss.

Erst im Frühjahr habe er eine 16-jährige Kuh gehen lassen müssen, die das Werbeplakat für sein Label Tom’s Highland Beef ziert. Ihre Hörner hatten eine stolze Spannweite von 160 Zentimetern. Vergleichsweise alt sind die Schottischen Hochlandrinder auch, wenn sie ihr Schlachtgewicht erreicht haben. Während andere Fleischrassen mit 18 Monaten schlachtreif sind, dauert es bei den Schotten 24 Monate. Entsprechend ist das Fleisch hochpreisiger. Da die Rinder von ihrer Heimat ein karges Futterangebot gewohnt sind, benötigen sie kein Kraftfutter.

Am entscheidenden Tag ist der Weg in die Metzgerei von Thomas Schenk in Detligen BE nicht weit. Es sei ihm wichtig, seine Tiere zu einem kleinen, lokalen Schlachthof bringen zu können, wo jedes Tier in Ruhe und mit Würde behandelt wird. Ein Grossbetrieb mit industrieller Abfertigung käme für ihn nicht in Frage, sagt Thomas Rufer. Und momentan liebäugle er sogar mit der Hoftötung. Sobald die Frist zwischen der Tötung und der Erreichung des Schlachthofes von 45 auf 90 Minuten erhöht würde, denkt er darüber nach, seinen Rindern den Lebendtransport zu ersparen. Das Fleisch der Schottischen Hochlandrinder ist sehr charaktervoll und besitzt einen Eigengeschmack, der etwas an Wild erinnert. Auch ist es durch das langsame Wachstum der Tiere und den Verzicht auf Kraftfutter sehr fettarm.

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Bisher verkauft Familie Rufer das Fleisch erfolgreich via Direktvermarktung. Vor dem Wohnhaus steht ein gekühlter Automat. Bald soll ein Automat mit Gefrierfunktion dazu kommen. Auch die präparierten Schädel mit den ausladenden Hörnern und manchmal sogar die Felle finden Abnehmer. Und ein Ziel für das eben angebrochene 2023 sei es, sein hochwertiges Fleisch auch in einigen lokalen Restaurants auf der Speisekarte wiederzufinden.

Innovativ und extensiv

Thomas Rufer ist ein Macher mit vielen Ideen. «2010 legte ich mit den Rindern so richtig los.» Die Schotten kamen aber nicht mehr im alten Milchviehstall zu wohnen, sondern in der neu erbauten Scheune mit angrenzendem Laufhof, die etwas unterhalb des Wohnhauses im Feld steht. Den Unterstand für die Rinder, das Futter und die Maschinen habe er zu einem grossen Teil selbst gebaut und dies neben der Vollzeitanstellung als Lastwagenchauffeur – ein Kraftakt, von dem er sich kaum vorstellen könne, ihn nochmals durchzuziehen. Heute ist Thomas Rufer noch zu 80 Prozent als Chauffeur tätig, sobald es die Finanzen zulassen, möchte er das Pensum weiter reduzieren und sich noch mehr dem Betrieb widmen.

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Dieser besteht nicht nur aus der Rinderzucht. Insgesamt 15 Hektaren bewirtschaftet Rufer, acht davon dienen als grosszügige Weidefläche mit angrenzendem Bach und Bäumen, die im Sommer für Abkühlung sorgen. Auf dem übrigen Land werden Rapperswiler Dinkel, Weizen, Emmer und Mais sowie Erdbeeren und Blumen zum Selberpflücken angebaut. Der IP-zertifizierte Betrieb ist extensiv und auf eine direkte Wertschöpfung ausgerichtet.

Nur im Sommer wird etwas ausgelagert. 30 Rinder bestossen jeweils den Jaunpass, der das freiburgische Greyerzerland mit dem bernischen Simmental verbindet, um dort Landschaftspflege zu betreiben. «Man kann es sich kaum vorstellen, aber im Sommer haben selbst die Schotten ganz feines kurzes Fell», so der Landwirt. Bis dahin dauert es aber noch etwas und die Zottelrinder dürfen Wetterverhältnisse fast wie zu Hause geniessen.