Aspirin gegen Kopfschmerzen, Paracetamol gegen Fieber, Nasenspray gegen Schnupfen – jeder hat zu Hause wohl eine gut gefüllte Apotheke für kleinere und grössere Leiden. Doch was machen Tiere bei Zahnschmerzen, Übelkeit und Co.? Jeder, der schon mal eine Katze oder einen Hund beim Fressen von Gras beobachtet hat, wurde Zeuge einer medizinischen Selbstbehandlung.

Der Hund hatte vermutlich einen verstimmten Magen oder Parasiten, die Katze beim Putzen Haare verschluckt. Das Gras hilft den Tieren beim Erbrechen oder das Problem über den Darm loszuwerden. Bis heute ist es nicht klar, wie Tiere wissen können, welche Pflanzen wogegen helfen. Nur eins ist sicher: Selbstmedikation ist weiter verbreitet, als man vielleicht ahnt.

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Biologe Michael Huffman verfolgte 1996 das Schicksal eines Schimpansen (Pan troglodytes), der offensichtlich von Parasiten befallen war und der die bitteren Blätter einer Steinaster (Vernonia amygdalina) frass. Am nächsten Tag schien das Tier sich vollkommen erholt zu haben.

Es lag auf der Hand, dass der kranke Affe absichtlich von der Pflanze frass, um sich gegen die Parasiten zu behandeln. Im gesunden Zustand meiden Schimpansen Steinastern. Huffman beobachtete unter anderem, wie die Mutter eines jungen Schimpansen ihren Nachwuchs davon abhielt, ein von einem kranken Artgenossen zurückgelassenes Stück von der Pflanze zu untersuchen.

In einer folgenden systematischen Untersuchung fand Hoffman heraus, dass Blätter und vor allem auch das Mark von Steinastern offenbar nur von Individuen konsumiert wurden, die an einer Wurminfektion litten. Alle diese Tiere erholten sich innerhalb eines Tages merklich, und in gesammelten Kotproben warenwesentlich weniger Würmer zu finden. Tatsächlich findet man in Steinastern besonders hohe Konzentrationen von Sesquiterpenlactonen und Steroid-Glycosiden, welche sehr wirksam sind gegen Parasiten wie Pärchenegel (Schistosoma), Plasmodien und Leishmanien. Offenbar wissen Schimpansen, was sie tun müssen, falls diese sie plagen.

Äthiopische Anubispaviane (Papio anubis) bekämpfen Schistosomiasis dadurch, indem sie die Früchte und Blätter der Wüstendattel (Balanites aegyptiaca) fressen, die Diosgenin enthalten, ein Hormon, welches die Entwicklung und Vermehrung der Parasiten verhindert.

Auf der Liste der potenziellen Heilpflanzen afrikanischer Menschenaffen wie Schimpansen, Bonobos (Pan paniscus) und Gorillas (Gorilla gorilla) stehen zudem die Früchte einer wilden Ingwerart, Aframomum angustifolium, die antimikrobiell wirken sollen, sowie die bitteren jungen Blätter von Thomandersia laurifolia, einem Busch, den die lokale Bevölkerung zur Bekämpfung von Parasiten und Fieber nutzt.

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 04/2023 vom 23. Februar 2023. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

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Von manchen Pflanzen werden die Blätter gar unzerkaut heruntergeschluckt. Schimpansen und Bonobos rollen die Blätter bestimmter Pflanzen mit der Zunge und schlucken die so entstandene Kapsel. Im Magen haften die Pflanzenhaare auf der Oberfläche der Blätter an Faden- und Bandwürmern, sodass die Affen diese leichter ausscheiden können.

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Dreck reinigt den Magen

Unsere Eltern waren jeweils wenig begeistert, wenn wir im Buddelkasten Sand gegessen haben. Genau das tun jedoch viele Tiere, und das mit voller Absicht, denn Dreck reinigt den Magen. Diese sogenannte Geophagie, das Fressen von Erde, ist besonders unter Tieren in den tropischen Gebieten in Zentral- und Südamerika verbreitet. Im peruanischen Amazonasregenwald versammeln sich Tausende Papageien von über 20 Arten an exponierten Flussbänken und Klippen, um sich eine Portion gehärteten Tonschlick zu genehmigen.

Die so verschluckten Sandkörner und kleinen Steinchen helfen den zahnlosen Vögeln, Pflanzenteile im Magen zu zerkleinern, und agieren so als eine Art Verdauungshelfer. Allerdings ist die verschluckte Erde dafür oft zu fein, damit dies die einzige Erklärung für den Appetit der Tiere sein kann.

Tatsächlich fressen nicht nur zahnlose Papageien Erde, sondern auch andere Tiere wie Tapire, Rinder, Fledermäuse und diverse Primaten, darunter der Mensch. Sogenannte Schlammkekse werden noch heute in manchen Regionen Afrikas hergestellt und besonders von Schwangeren gegessen. Angeblich enthalten die aus roter Erde hergestellten Lehmklumpen eine hohe Konzentration an Eisen und Folsäure.

Auch in anderen Teilen der Welt wird Erde in Form von Keksen gegessen. Ein Grund dafür kann sicher Hunger und ein Mangel an Alternativen sein, um diesen zu stillen. Jedoch konnte man durch moderne Laboruntersuchungen auch die medizinischen Vorteile von Geophagie nachweisen. So wirken Erdmineralien gegen diverse Parasiten und andere Krankheitserreger und beinhalten Kalzium, Kupfer, Magnesium, Eisen und Zink. Allerdings enthält die Erde, die die Amazonaspapageien bevorzugen, oft weniger solche Mineralien als jene, die sie nicht fressen.

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Warum also praktizieren die Vögel Geophagie? Es stellt sich heraus, dass die Samen und unreifen Früchte, die hauptsächlich auf dem Speiseplan der Tiere stehen, eine hohe Konzentration von Alkaloiden und anderen Giften enthalten. Die in der Erde enthaltenen Tonmineralien absorbieren diese schädlichen Stoffe und verhindern, dass diese über den Magen ins Blut gelangen und die Vögel vergiften.

Anhand der Textur und des Geschmacks können die Papageien erkennen, welche Erde die richtige für diese Zwecke ist. Die Entgiftung von unerwünschten Pflanzenstoffen ist auch der Grund, warum viele früchtefressende tropische Fledermäuse Erde aufnehmen. Dies tun sie, indem sie über einen durch andere Tiere aufgewühlten Tümpel fliegen, der in entsprechend geeignetem mineralreichem Boden liegt, und sich im Flug einen Schluck des schlammigen Wassers gönnen.

Krankheiten und Parasiten betreffen bekanntermassen nicht nur die inneren Organe, sondern auch die Haut. Amerikanische Braunbären (Ursus arctos) fressen die Wurzeln der Osha-Pflanze (Ligusticum porteri) nicht nur, sondern reiben auch das Fell mit dem Saft ein. Der enthaltene Stoff Cumarin hält Insekten ab und lindert den Juckreiz von Stichen. Er ist auch in Steinklee (Gattung Melilotus), einigen Gräsern und Waldmeister (Galium odoratum) vorhanden und dient der Pflanze als Frassschutz. Vom Wissen der Bären profitierte auch der Mensch. So soll sich das Volk der Navajo die Heilwirkung der Osha-Pflanze von den Tieren abgeschaut haben. Entsprechend bedeutet «Osha» in der indigenen Sprache «Bär».

Salben und Säuren

Insekten und andere Plagegeister abzuhalten, scheint eins der Hauptziele vieler Tiere zu sein. Anden-Springaffen (Plecturocebus oenanthe) reiben sich gerne Blätter des Pfeffergewächses Piper aduncum ins Fell. Die dabei freigesetzten ätherischen Öle wirken wie Insektenspray und halten auch Milben und andere Parasiten fern. Nebst Pflanzenteilen reiben sich einige Primaten Tausendfüssler über ihr Fell und die Haut.

Diese produzieren das Insektenschutzmittel Benzochinon, das durch das Einreiben auf die Haare der Affen übertragen wird. Kapuziner-Affen (Cebus apella) reiben sich zudem mit Rossameisen (Camponotus rufipes) ein oder lassen die Insekten direkt über ihr Fell krabbeln. Die Ameisensäure wirkt nicht nur als Insektizid, sondern auch gegen Milben, Bakterien und Pilzinfektionen.

Aus demselben Grund baden viele Vögel regelrecht in Ameisenhaufen. Dieses Verhalten wird «Einemsen» genannt und ist bei über 200 Vogelarten bekannt. Die Tiere legen sich dabei mit ausgebreiteten Flügeln in die Nähe eines Ameisenhaufens oder einer Ameisenstrasse, sodass die Insekten in das Gefieder eindringen und die Ameisensäure hinterlassen. In unseren Breitengraden tun dies vor allem Spechte (Familie Picidae) und Singvögel wie das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) oder Raben (Familie Corvidae).

Staubbaden erfüllt eine ähnliche Funktion. Dieses Verhalten wurde vor allem bei Legehennen untersucht und dient wahrscheinlich dazu, überschüssiges Fett zwischen den Federn aufzunehmen und Parasiten im Schach zu halten. Viele Säugetiere wälzen sich ebenso gern in Staub und Sand. Dies dient nicht zuletzt auch als Sonnenschutz und zum Markieren des Territoriums durch Duftmarken.

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Sechsbeinige Sanitäter

Insekten werden nicht nur von anderen Tieren als Arznei verwendet, sondern können auch selber hingebungsvolle Sanitäter und Ärzte sein. Afrikanische Matabele-Ameisen (Megaponera analis) leben gefährlich: Bei der Jagd auf wehrhafte Termiten verletzten sie sich schnell und durchaus auch schwer.

Verwundete werden jedoch nicht zurückgelassen, sondern gerettet und versorgt. Dabei entscheiden Verletzte selber, ob ihnen geholfen werden soll, indem sie sich ruhig verhalten und entsprechende Pheromone abgeben. Zurück im Nest werden die Sanitäter, die ihre verwundeten Artgenossen abtransportiert haben, zu Ärzten, die die Wunden ihrer Verletzten ablecken und so medizinisch versorgen.

Verwundete Ameisen werden von Artgenossinnen gerettet und versorgt.

«In den so aufgetragenen Substanzen fanden wir über hundert chemische Komponente, von denen viele antimikrobielle Qualitäten besitzen», erklärt Erik Frank, von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Deutschland). Rund 90 Prozent der versorgten Tiere überleben ihre Verletzungen, darunter auch abgetrennte Beine.

Diese Erkenntnisse entstammen grösstenteils aus Untersuchungen, die der Biologe an der Universität Lausanne vorgenommen hatte. «Verletzte Ameisen kommunizieren, wenn eine Wunde infiziert ist», so Frank. «Wir haben es hier also mit einem komplexen System aus Diagnose und entsprechend angepasster Behandlung zu tun.» Dies sei nach aktuellem Wissensstand im Tierreich einzigartig.

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Bisher war man davon ausgegangen, dass nur der Mensch zur Diagnose von Infektionen und der gezielter Wundbehandlung mit antimikrobiellen Stoffen in der Lage sei. Auch die in Mittel- und Südamerika vorkommenden Treiberameisen (Eciton burchellii) versorgen ihre Verwundeten.

«Aufgrund der Dauer ihrer Raubzüge von über zwölf Stunden bringen diese Ameisen ihre Verletzten aber nicht zurück ins Nest, sondern behandeln sie direkt vor Ort», erklärt Frank. Somit ist der Mensch nicht das einzige Tier, das nicht nur sich selber, sondern auch andere medizinisch versorgt.