Nester und Bauten
Diese Tiere sind wahrhafte Baumeister
Ein sicheres und bequemes Zuhause zu haben, ist nicht nur das Ziel der meisten Menschen. Auch Tiere nehmen viel Zeit und Aufwand in Kauf, um sich das perfekte Heim zu schaffen. Dabei entstehen nicht selten architektonische Meisterwerke.
Ein Architekturstudium dauert gut fünf Jahre an der Fachhochschule, und Bauingenieure haben in der Regel auch drei Jahre die Hochschulbank gedrückt, um alles über Baumaterialien, Konstruktionstechniken und Statik zu lernen. So viel Zeit haben aber die meisten Tiere nicht, und trotzdem erschaffen einige Arten wie aus dem Nichts erstaunlich tolle Bauwerke.
Dämme aus Holz
Der Biber (Castor fiber und Castor canadensis) ist dabei einer der bekanntesten Experten. In seinem Revier legt er bis zu zehn Wohnbauten unterschiedlichster Form an. Der Wohnkessel darin ist nur durch einen Eingang unter Wasser erreichbar, wohin ihm seine Fressfeinde nicht folgen können. Um das zu erreichen, baut der Biber Dämme, um die Umgebung rund um den Bau so zu fluten, dass der Eingang immer etwa 60 Zentimeter unter der Wasseroberfläche liegt. Dafür staut er einen Bach oder einen kompletten Fluss durch herbeigeschlepptes Baumaterial.
Mit seinen kräftigen Zähnen schafft er es sogar, Bäume mit einem Stammdurchmesser von 80 Zentimetern zu fällen, was ihn insbesondere bei Förstern und Gärtnern unbeliebt macht. Zwischen die Stämme stopft der Biber Zweige, Steine und Schlamm, um einen soliden Damm zu schaffen, der teils mehrere Generationen lang genutzt wird. Damit das Bauwerk bei Starkregen nicht weggeschwemmt wird, kann der Damm stellenweise geöffnet werden, um das Hochwasser ablaufen zu lassen. Der durch die Staumauer entstandene Teich bietet nicht nur dem Biber eine Heimat, sondern ist auch Lebensraum für empfindliche Wasserpflanzen, die dem Nager als Nahrung dienen. Nachdem der Biber Anfang des 19. Jahrhunderts in der Schweiz ausgerottet wurde, leben dank Wiederansiedlungsprojekten heute wieder rund 1600 Tiere bei uns.
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Kugeln aus Gras
Während der Biber das grösste europäische Nagetier ist, baut oft in unmittelbarer Nähe das kleinste seine Nester. Die Eurasische Zwergmaus (Micromys minutus) wiegt gerade mal fünf bis sieben Gramm und ist so leicht, dass sie sich auch geschickt auf Halmen weit über dem Boden bewegen kann. Dort baut die Maus ihr kugelrundes Sommernest, in dem sie ihre Jungen zur Welt bringt und aufzieht.
Während den Bauarbeiten in rund einem Meter Höhe nutzt die Zwergmaus ihren Schwanz als Balancierhilfe, um zusätzlichen Halt zu gewinnen. Innerhalb von zwei bis acht Tagen legt das kleine Nagetier aus Grashalmen ein Nest von sechs bis dreizehn Zentimetern Durchmesser an und polstert es mit weichem Material für die Jungtiere aus. Die bei der Geburt gerade mal ein Gramm schweren Jungen wachsen schnell und verlassen das heimelige Nest bereits im Alter von 15 Tagen. In der Schweiz findet man die Zwergmaus nur am Genfer-, Neuenburger- und Bodensee sowie im Kanton Jura an der Grenze zu Frankreich.
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Beutel aus Halmen
Rundliche Nester aus Halmen baut auch die bei uns seltene Beutelmeise (Remiz pendulinus). Den Namen erhält sie durch die Beutelform des Nests, das etwa 25 Zentimeter lang und 17 Zentimeter breit ist. Beim um die 20 Tage dauernden Bau des Nests beteiligen sich sowohl das Männchen als auch das Weibchen. Nachdem die Jungen geschlüpft sind, verlässt einer der Elternteile jedoch die Brut, sodass das zurückbleibende Tier praktisch alleinerziehend ist.
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Die beutelähnliche Bauweise von Vogelnestern ist weltweit verbreitet. Bei den Webervögeln wie dem in Indien und Südostasien verbreiteten Bajaweber (Ploceus philippinus) sind es meistens die Männchen, die in elaborierte Bauweisen investieren. Im Gegensatz zu den Beutelmeisen bilden sie Kolonien von über 200 Individuen, in denen die Weibchen die Nester auswählen, in die sie ihre Eier legen wollen. Entsprechend baut ein Männchen bis zu fünf verschiedene Nester gleichzeitig, um die Chance zu erhöhen, dass eins davon den Ansprüchen der Damenwelt genügt. Sind die Jungen erst mal geschlüpft, versorgt das Weibchen sie alleine, bis sie nach rund zwei Wochen das Nest verlassen und sich der Kolonie anschliessen.
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Wesentlich grösser als die spatzenähnlichen Webervögel ist der Oropendula (Psarocolius montezuma), auch Montezumastirnvogel genannt. Die bis zu einem halben Kilogramm schweren Vögel sind in Zentralamerika heimisch und bauen grosse Hängenester. Hier sind es allerdings die Weibchen, die die Arbeit übernehmen, während ein dominantes Männchen die Kolonie verteidigt und während der Paarungszeit aufwendige Balzzeremonien abhält, in denen es sich kopfüber von Ästen baumeln lässt.
Die Nester des Oropendulas gefallen auch dem Riesenkuhstärling (Molothrus oryzivorus), einem Vogel, der ähnlich dem Kuckuck gerne seine Eier zu fremden Gelegen legt. Allerdings ist er nur in etwa 8 Prozent der Versuche, sich Zugang zu den Nestern zu verschaffen, erfolgreich.
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Bunte Vorgärten
Gerade Vögel betreiben oft einen riesigen Aufwand, wenn es um den Bau von Nestern geht. Bei manchen bleibt es nicht bei einer ausgefallenen Architektur, auch ein passender Vorgarten wird angelegt. Männliche Vertreter der Laubenvögel (Familie Ptilonorhynchidae) schmücken einen feinsäuberlich hergerichteten Vorplatz mit allerhand Objekten, um paarungswillige Weibchen anzulocken. Am besten erforscht istder in Australien beheimatete Seidenlaubenvogel (Ptilonorhynchus violaceus). Er säubert den Waldboden rund um den Balzplatz und baut eine Art Laube, die aus zwei Wänden aus Zweigen besteht, sodass in der Mitte ein Gang entsteht.
Vor dieser Laube schmückt das Männchen den Boden mit vorzugsweise blauen Gegenständen. Blau ist die Farbe, die in der Natur am seltensten vorkommt und daher auf dem braunen Waldboden am meisten auffällt. Dabei stehlen sich die Männchen gegenseitig ihre blauen Schätze. Auch die Wände der Laube werden gezielt mit dem blauen Fruchtfleisch von Beeren bemalt. Andere Farben, insbesondere Rot, entfernt der Vogel aus der Umgebung, um die Kombination aus Gelbtönen durch die trockenen Zweige der Laube und die blauen Verzierungen nicht zu stören, die auf die Weibchen offenbar eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben. Junge Laubenvögel beobachten ältere Männchen beim Bau und der Dekoration der Lauben und perfektionieren ihre Technik über mehrere Jahre. Einmal fertig damit, warten die Männchen in der Laube auf den Besuch interessierter Weibchen und führen ihnen einen komplizierten Balztanz vor, währenddessen sie die Rufe anderer Vögel nachahmen.
Nachdem das Weibchen mehrere Lauben aufgesucht und sich die Shows der Männchen angeschaut hat, wählt sie dasjenige mit der schönsten Laube und der besten Balz aus. Nach der Paarung wird in einem Baum ein vergleichsweise einfaches Nest aus Zweigen gebaut, in das das Weibchen ihre Eier legt. Das Männchen ist damit fein raus und beteiligt sich nicht am Brüten oder der Aufzucht der Jungen.
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Kunstwerk durch Teamwork
Während Laubenvögel ausgesprochen einzelgängerisch handeln, ist bei anderen Tieren Teamwork gefragt. Asiatische Weberameisen (Oecophylla smaragdina) bauen ihre Nester in luftiger Höhe. Dafür suchen grosse Arbeiterinnen in den Baumkronen nach geeigneten Blättern, die sie zu sich heranziehen. Gelingt dies einer Ameise, wird sie von anderen unterstützt. Die Insekten bilden dabei regelrechte Ketten, um weiter entfernte Blätter zur entstehenden Struktur heranzuziehen und festzuhalten.
Dabei umklammern sie mit ihren Mandibeln die Hüfte ihrer Nestgenossin. Die herbeigezogenen Pflanzenteile werden von den Ameisen wie lebendige Klammern in Form gehalten, während andere Arbeiterinnen aus einem bestehenden Nest Larven herbeitragen. Diese produzieren Seide, mit denen die Blätter zusammengesponnen werden. Die Arbeiterinnen tragen die bewegungslosen Larven in ihren Mandibeln wie Weberschiffchen über die Spalten der Blätter vor und zurück, sodass die Lücken geschlossen werden. In dem so entstandenen Nest legt die Königin neue Eier ab, aus denen Larven schlüpfen, die dann von den Arbeiterinnen versorgt werden.
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Insektenstädte mit Klimaanlage
Wenn es um Architekten im Insektenreich geht, dürfen die Termiten nicht unerwähnt bleiben. Obwohl sie nicht näher mit den Ameisen verwandt sind, bilden sie ebenfalls Staaten und bauen erstaunliche Konstruktionen, um diese zu schützen. Ein Termitenstaat besteht normalerweise aus drei verschiedenen Kasten mit unterschiedlichen Aufgaben. Nur die Königin pflanzt sich fort und muss dabei im Unterschied zu einer Ameisenkönigin immer wieder neu von einem «König» begattet werden. Während die Soldaten die Kolonie verteidigen, sind die Arbeiterinnen und Arbeiter mit der Brutpflege, der Nahrungssuche und dem Nestbau beschäftigt.
Während ursprüngliche Arten ihre Nester in totem Holz anlegen, bauen andere komplizierte Termitenhügel aus mit Speichel gebundener Erde. Drei in Afrika und Australien beheimatete Arten bauen regelrechte «Kathedralenhügel» mit zahlreichen bis zu acht Meter hohen Türmen. Diese dienen gleichzeitig als Heizung und als Kühlsystem. Wenn die Sonne morgens aufgeht, wird ein grosser Teil der Oberfläche des Baus bestrahlt und so nach der kalten Wüstennacht aufgewärmt. Steht die Sonne mittags senkrecht am Himmel, so bietet das Nest der Strahlung nur eine minimale Oberfläche und erhitzt sich dadurch nicht weiter. Stattdessen steigt die erwärmte Luft im Bau nach oben und entweicht durch einen oft zentral gelegenen kaminartigen Schlot. Somit herrscht im Bau immer eine optimale Temperatur.
Die Hügel sind auch so hart, dass sie die kleinen Termiten vor potenziellen Fressfeinden schützen. Ganz nebenbei bieten die Termitenhügel auch anderen Insekten wie Kurzflüglern, Blatthornkäfern, Zweiflüglern und Fischchen (Zygentoma) Unterschlupf. So profitieren nicht nur die Erbauer von den architektonischen Meisterleistungen im Tierreich, sondern oft auch zahlreiche Nutzniesser mit weniger Konstruktionstalent.
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