Der mit Holz ausgetäferte Raum im grossen Chalet mit Ausblick auf die Bergwelt des Berner Oberlandes gibt zumindest visuell einen Vorgeschmack auf das Alpleben. Was an diesem Donnerstagmorgen Ende April im Schulungsraum des Inforama Hondrich vermittelt wird, ist aber von gänzlich theoretischer Natur.

17 Personen lauschen wichtigen Ausführungen über die Lebensmittelsicherheit und die optimale Bewirtschaftung der Alpweiden. Einige der Teilnehmer im Grundkurs Alpkäse und Tierhaltung bringen bereits alpwirtschaftliche Erfahrung mit, die meisten allerdings nicht.

Svenja und Wencke, die beiden jungen Frauen aus Deutschland, haben zwar landwirtschaftliche Vorkenntnisse, aber noch nie einen Alpsommer gemanagt. So hören sie hier das erste Mal von der Checkliste für Eutergesundheit und wie man dank Schwenten der Verbuschung von Alpweiden vorbeugen kann. Egal, ob mit oder ohne Vorkenntnisse, was er allen für die bevorstehende Alpsaison wünsche und was sicher auch alle gut gebrauchen können, sei ganz viel Durchhaltewillen, schliesst Landwirt und Agronom Rudolf Grossen seine Ausführungen.

Diesen können die Kursteilnehmerinnen bereits nach dem Mittagessen bei der praktischen Einführung in die Milchverarbeitung brauchen. Zum vierten Mal treffen sie sich hier in der Schulkäserei mit Maike Oestereich, der Leiterin Käsereiberatung des Inforama Berner Oberland, und schon geht es fast eigenständig an die Herstellung eines Alp- oder Raclettekäses.

Wann hat die gallertartige Masse nach der Dicklegung die richtige Festigkeit erreicht, um sie mit der Käseharfe in Stücke zu zerteilen, und wie viel Salz gehört genau in die Salzlacke, in der die Käselaibe gebadet werden? Fragen, auf die auf der Alpsennerei bald ohne Hilfe die richtigen Antworten gefunden werden müssen. Heute wird noch unter Aufsicht eifrig gerührt, in Form gepresst und geschmiert.

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Übung macht den Meister

Doch damit nicht genug, gleich anschliessend geht es ans Erlernen der Milchgewinnung. Auf dem Hof von Silas Wyss, unten in Spiez, wird das Melken geübt. Beim Heu füttern, dem Reinigen der Zitzen, dem richtigen Ansetzen der Melkmaschine und dem Saubermachen des Melkgeschirrs wird die eine oder andere Kursteilnehmerin noch mit Unsicherheiten konfrontiert und kommt ziemlich ins Schwitzen. Ein leiser Vorgeschmack auf den arbeitsintensiven Alltag auf der Alp. «Die körperliche und auch psychische Belastung für das Alppersonal ist schon recht hoch», sagt Maike Oestereich. Dies sei mit ein Grund für die hohe Fluktuation. Nur wenige Personen würden heutzutage mehrere Sommer in Folge auf der Alp verbringen. Meist werde nur ein Alpsommer absolviert.

Die vielen Neueinsteiger müssen dann mit mehreren Grundkursen jeweils im Frühjahr abgefangen werden. Es gibt aber noch andere Gründe, die eine Rolle für die vielen personellen Wechsel auf den Alpen spielen. Da ist die Frage, wie man sich den ganzen Sommer über freinehmen kann, und in der Wintersaison fehle es an attraktiven Jobs zur Ergänzung.

Zu Hause bleiben die Fixkosten für Wohnung, Strom und Handyabonnement bestehen, sodass man mit der Entlöhnung für den Alpjob eventuell noch drauflegen, sicherlich aber keinen grossen Gewinn erzielen kann. Das sei jedoch abhängig von der Betriebsstruktur. Sicherlich passt ein Alpsommer besser in den Lebenslauf von jungen Personen, die vielleicht gerade am Übergang zwischen Studium und Beruf stehen, als von voll Berufstätigen, die ihre Anstellung kündigen oder sich unbezahlten Urlaub nehmen müssen.

Ein Wagnis

Svenja entschied sich für die Variante mit der Kündigung und gab ihre Anstellung im sozialen Bereich für einen Sommer auf der Alp auf. Zwei Monate nach dem Einführungskurs hat sie die grosszügige, weissgekachelte und bestens ausgestattete Käserei des Inforama Hondrich mit einer engen Sennerei weit hinten im Soustal BE auf 1650 Metern über Meer getauscht.

Das Holzfeuer verbreitet einen würzigen Duft und die rauchgeschwärzten Holzbalken verschlingen den Grossteil des Lichts, das zu den beiden kleinen Fenstern hereindringt. Während Svenja die ersten mit frischer Milch gefüllten Eimer ins Käsekessi schüttet, sind im direkt angrenzenden Stall Clara und Merle noch dabei, die letzten der insgesamt 44 Kühe zu melken.

Die drei Frauen haben sich bereits um fünf Uhr morgens aus den Betten in ihrem kleinen Massenschlag unter dem Dach der Alphütte herausgeschält, um die Kuhherde von der Weide in den Stall zu treiben. Das Melken nimmt gut eineinhalb Stunden in Anspruch.

Während Clara die bunte Truppe aus Simmentalerkühen, Braunvieh und drei Jerseydamen wieder auf die sich schier endlos ins Tal erstreckende Bergweide treibt und mit dem Mistschieber die beiden Stallabteile säubert, hat sich Merle zu Svenja in die Sennerei gesellt. Das laute Scheppern des Melkgeschirrs, das Merle nun gewissenhaft reinigt, übertönt das Radio. Bald kehrt jedoch Stille ein. Der Stromgenerator ist wieder ausgeschaltet und die beiden Frauen tätigen hoch konzentriert gemeinsam die ersten Schritte der Käseherstellung. Jeder Handgriff sitzt, sei es bei der Zerkleinerung des Käsebruchs oder der Verschiebung des schweren Käsekessis über die Feuerstelle.

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Um etwa neun Uhr treffen sich die drei Älplerinnen mit ihren zwei Freunden, die übers Wochenende zu Besuch sind, um den reich gedeckten Frühstückstisch vor der Hütte. Einen grossen Grundstock an Lebensmitteln haben die Frauen aus dem Unterland mitgebracht, frische Produkte und Kaffeenachschub bringt ihnen jeweils Besuch und die Milchprodukte stammen selbstverständlich aus Eigenproduktion. Alle zwei Tage wird in der Sennerei neben den täglich fünf bis sechs Laiben Käse auch noch ein Mödeli Butter hergestellt. Während dem Müesli geknabbert und selbstgebackenes Brot mit Käse belegt wird, schwatzen und scherzen die jungen Leute übermütig miteinander.

«Dass wir hier jetzt so gutgelaunt beisammensitzen, ist ein Glückstreffer», gibt Clara zu bedenken. Am Anfang des Alpsommers konnte noch nicht von einem eingespielten Team die Rede sein, denn die drei Frauen kannten sich überhaupt nicht.

Vor dem Alpaufzug hatten sie sich nur online verständigt und einmal in Berlin getroffen, nachdem sie die Zusage von der Alpsous erhalten hatten, die sie via die Onlineplattform Z’Alp kontaktiert hatten. Dass es in der Schweiz auf die Alp gehen sollte, war allen dreien von vorneherein klar. Zum einen, weil in Deutschland und Österreich die Alpen, die nicht von Familienmitgliedern geführt werden, eher rar sind und man als externe Angestellte oft nur im dazugehörenden Alpbeizli, nicht aber bei den Tieren oder beim Käsen mithelfen dürfe. Und klar, die Entlöhnung in der Schweiz sei auch besser als in den Nachbarländern.

Das sei schon ein Wagnis gewesen, mit völlig fremden Leuten auf eine so abgelegene Alp zu gehen. Clara hatte sich deshalb auch dafür entschieden, nur einen halben Alpsommer im Berner Oberland zu bleiben. «Für einen ganzen Sommer waren es mir etwas zu viele Unbekannte.» Ende Juli wird sie von Wencke abgelöst – eine optimale Ergänzung also. Nun kommen die zwei Studentinnen aus dem Bereich Landbau und die Sozialarbeiterin aber sehr gut miteinander aus. «Besser hätten wir es nicht treffen können – hat jemand mal eine Krise, fängt einen das Team super auf», so Clara.

Noch vor einigen Wochen war etwas Aufmunterung des Öfteren nötig und eine Pause lag gar nicht erst drin. Oft seien sie bis 15 Uhr am Käsen gewesen und mussten dann direkt die Kühe wieder zum Melken von der Weide treiben. Die Kühe wussten im Stall noch nicht, wohin, und die Älplerinnen fanden sich in der Sennerei nicht richtig zurecht, dazu kamen die engen Platzverhältnisse. Da hätten sie sich schon manchmal gedacht: «Also, wenn das den ganzen Sommer über so weitergeht, wird das sehr hart.» Mittlerweile sind die Abläufe aber so gut eingespielt, dass mittags sogar eine Abkühlung im nahen Sousbach drin liegt.

Gefüllte Käsespycher

Bevor es jedoch heute so weit ist, ruft nochmals die Arbeit oder, besser gesagt, der Käse. «Nur noch ein Grad haben wir Zeit, bis der Käsebruch die nötige Temperatur erreicht hat», ruft Svenja. Während sie und Merle wieder in die dunkle Sennerei schlüpfen, heult vor der Hütte der Motor des grünen Subaru Forester auf. Clara macht sich mit dem Wagen, der vom Alpmeister zur Verfügung gestellt wird, auf den Weg zum Käselager.

In einem kleinen Holzspycher etwas weiter vorne im Tal befinden sich die bisher hergestellten Käselaibe. Jeden Tag legt Clara hier die neusten Laibe ins Salzbad und schmiert die bereits auf Holzbrettern reifenden Käse ein. Vor der Tür turnen derweil einige Ziegen von der benachbarten Alp auf dem Bretterboden umher und müssen davon abgehalten werden, auch noch die Kühlerhaube des Autos zu erklimmen.

«Unser Lager füllt sich und die Käsepflege nimmt immer mehr Zeit in Anspruch», so die junge Frau. Bald müsse der zweite Spycher auch in Betrieb benommen werden. Dann wird es schon wieder etwas knapper mit der Zeit. Denn alle zwei Tage steigt Clara anschliessend an die Käsepflege mit Wanderschuhen und Rucksack ausgerüstet die Bergwiesen hoch, um die rund 100 Mutterkühe, Rinder und Kälber ausfindig zu machen, die auch noch unter ihrer Obhut stehen.

Sie kontrolliert deren Gesundheitszustand und bringt ihnen Salz mit. Bisher hätten sie nur einmal die Tierärztin wegen einer lahmenden Milchkuh anfordern müssen. Glücklicherweise sei die Patientin anderntags wieder munter aus dem Stall gehüpft. «Kommen Fragen zur Tiergesundheit oder rund ums Käsen auf, können wir jederzeit unseren Alpmeister anfragen.» Eine solch gute Unterstützung sei nicht selbstverständlich, weiss Clara.

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Müde Hände, wache Köpfe

Um 16 Uhr bekommt die junge Frau draussen auf den Wiesen Unterstützung. Zu dritt treiben die drei Älplerinnen die Milchkühe wieder in den Stall. Bis alle Damen und auch Stier Vario an ihren Plätzen stehen, wird es 17 Uhr. Dann kann die zweite Melkrunde des Tages gestartet werden. Und natürlich steht auch abends wieder der Austrieb und das Putzen des Stalles auf dem Plan.

Nur gekäst wird nicht nochmals. Die Milch kommt über Nacht in einen gekühlten Tank. Nun warten auch noch die 17 Alpschweine, die hinter dem Kuhstall in einem geräumigen Auslauf leben, auf etwas Bespassung. Sie trinken die Molke und knabbern die Essensreste, die anfallen. Bis Ende Juli müssen sie noch etwas kräftiger werden, dann treten nämlich alle gemeinsam den Aufstieg auf die noch höher gelegene Alp auf dem Oberberg an.

Bis dahin wird aber noch auf dem mit Gas betriebenen Herd in der kleinen Alpstube im Soustal Abendessen gekocht. Um 21 Uhr sitzen die drei Frauen dann endlich wieder gemeinsam um den Holztisch vor der Hütte und geniessen das wunderschöne Bergpanorama rundum. «Unsere Alphände schätzen etwas Erholung», so Svenja. Von der ungewohnten Beanspruchung hätten sie nicht nur mit Schwielen, sondern neuerdings auch mit einem Kribbeln zu kämpfen.

Einige wenige Male seien sie auch schon auf ein Bier zur benachbarten Kuhalp auf der anderen Seite des kleinen Baches gegangen. Mit den Älplern, die die Ziegen betreuen, hätten sie es allerdings bisher noch nicht geschafft, anzustossen. Meist fehlt schlicht und einfach die Energie, um noch etwas anderes zu tun, als zu Abend zu essen und dann todmüde ins Bett zu fallen. Wobei, ganz so müde wie noch während den ersten zwei Wochen seien sie nicht mehr und sofort einschlafen klappe oft auch nicht, sagt Clara. «Ich stehe dann noch unter Strom von den ganzen Arbeiten und Erlebnissen des Tages und mache mir auch schon Gedanken über den Umzug auf den Oberberg – das wird bestimmt nochmals eine Herausforderung.»