Angepasster Sommervogel
Faszinierende Schmetterlinge der Alpen: Hochalpenwidderchen
Bis hoch in die Gletscherzone unserer Alpen finden sich bestens angepasste Schmetterlinge, die ihren ganzen Lebenszyklus unter harschen Bedingungen verbringen. Einer davon ist das auffallende, hübsche Hochalpenwidderchen.
Dem Hochalpinisten begegnen ab und zu und vor allem im Frühling vorzugsweise an Passübergängen Schmetterlinge. Mit günstigen Winden und Thermik gelingt dieses Kunststück vor allem den Edelfaltern Admiral, Kleiner Fuchs und Distelfalter. Diese Falter meistern zwar in grösserer Anzahl den Flug über die Alpen, länger verweilen können sie da aber nicht. Ihr Lebensraum ist in weit tieferen Regionen.
Doch einige wenige spezialisierte Arten wie der unscheinbare Gletscherspanner (Psodos wehrlii) und Vertreter ebenso diskret gefärbter Angehöriger der Mohrenfalter (v.a. Erebiamontana und Erebia nivalis) teilen sich den Lebensraum Hochgebirge und schaffen den Kraftakt des Überlebens vom Ei bis zum Schmetterling unter härtesten Bedingungen. Der auffälligste und auch farbigste davon ist das Hochalpenwidderchen (Zygaena exulans).
Ausserhalb der Alpen ist diese Art noch in den Pyrenäen, den Abruzzen, auf der Balkanhalbinsel, in Schottland, Skandinavien sowie im Altaigebirge nachgewiesen. Die Lebensräume gleichen jenen in den Alpen.
Zwei Theologen und ein Botaniker
Bei einer «botanischen Reise nach einigen Oberkärntnerischen und benachbarten Alpen und zu den äussersten Alpengipfeln des Eisgebirges, auf der sogenannten Pasterze am Gebirgsstock des Glockners»¹ wurde der kleine Schmetterling von den beiden Theologen und Naturforscher Sigismund Graf von Hohenwarth und Joseph Reiner sowie dem Botaniker Franz Xaver Wulfen entdeckt. 1792 beschrieb Hohenwarth – der später dann Bischof von Linz wurde – das Hochalpenwidderchen gemäss der damals gültigen Systematik als eigene Art unter dem Namen «Sphinx exulans» und reihte dieses bei den Schwärmern (Sphingidae) ein. Im Originalbericht schreibt Hohenwarth vom «verwiesenen Demmerungsvogel» und teilte diesen den Nachtfaltern zu. Hier lag er richtig, fast alle Widderchen sind Nachtfalter, fliegen aber am Tag. Später jedoch wurde das Hochalpenwidderchen der grossen Familie der «Zygaenen» zugeordnet und in «Zygaena exulans» umbenannt. Der Artname «exulans» wurde als treffend angesehen für einen «aus der Heimat verwiesenen», der sein Dasein in lebensfeindlichen Höhen zwischen 2000 und 3300 Metern über Meer verbringt. Allerdings, der Falter ist kein «Verbannter» oder «Vertriebener». Es ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, die schliesslich zur Anpassung an die Besonderheiten des Hochgebirges geführt hat.
Die Schmetterlinge – mit den mehr oder weniger gebogenen Fühlerenden an Widder erinnernd – wurden alsbald auch als «Widderchen» bezeichnet. Ein Begriff der für Rotzygaenen neben dem wissenschaftlichen Namen heute im deutschen Sprachraum allgemeingebräuchlich ist.
¹ Zitat aus: Sigismund Graf von Hohenwarth «Handbuch für reisende Liebhaber, 1792»
Grosse Artenzahl und knifflige Bestimmung
Von den weltweit mehr als 1000 gefundenen Rot- und Grünwidderchenarten und Unterarten kommen etwa 42 davon im Alpenraum vor. Die oftmals auffällig auf den Vorderflügeln rotgepunkteten und daher im Volksmund auch als «Blutströpfchen» bekannten Schmetterlinge sind meist recht einfach anzusprechen. Aber das Auseinanderhalten der einzelnen Arten und Unterarten braucht dann schon eine Menge Wissen und ist den Experten vorbehalten. Viele «Familienmitglieder»sehen sich ähnlich und oft nur kleine Unterschiede – vor allem an den Geschlechtsorganen - verraten, welche Art es nun wirklich ist. Zu allem Überfluss kommen auch noch Rotwidderchenarten hinzu, die eine abweichende Grundfarbe haben. Das bei der exakten Bestimmung auch hoch spezialisierte Lepidopterologen an ihre Grenzen stossen können, beweist eine Art aus der Südtürkei, deren Name «Zygaena problematica» lautet.
Die auf karg bewachsenen Gletschermoränen und Geröllhalden im Juni und Juli anzutreffenden grossen Ansammlungen der unverkennbaren Raupen des Hochalpenwidderchens lassen sich jedoch auch für den Hobbyschmetterlingskundler gut bestimmen. Je nach Alter 1 bis 2 cm lang, dunkelgrün bis fast schwarz gefärbt mit borstenartigen Haarbüscheln und 8 bis 9 auffälligen gelben Punkten auf den Körperseiten kriechen sie zu Dutzenden, oft auch zu Hunderten durch die niedrige Vegetation.
Auch der Schmetterling ist auffällig und in seinem Lebensraum fast unverwechselbar. Die Vorderflügel des Hochalpenwidderchens sind fünffleckig. Dabei ist der erste rote Fleck langezogen und die vier weiteren Tupfer erscheinen kleiner und eher rundlich auf grau-bläulichem Untergrund. Weibchen sind meist etwas heller gefärbt als Männchen. Manchmal wird Zygaena exulans in den tieferen Teilen seines Lebensraumes auch von sechsfleckigen Arten wie dem Hufeisenklee-Widderchen (Zygaena transalpina) oder dem Gewöhnlichen Widderchen (Zygaena filipendulae) begleitet und erfordert dann ein genaueres Hinsehen. Die Falter und ihre Raupen sind aber nicht flächendeckend im Gebirge zu finden. Ihre oft eng begrenzten Aufenthaltsorte und ihre grosse Standorttreue verlangen vom Beobachter einiges an Aufmerksamkeit.
Die nur kurzen frost- und schneefreien Zeiten in grossen Höhenlagen erfordern eine optimale Nutzung der möglichen Entwicklungszeit. Die Eiablage erfolgt meist im Juli. Die Gelege, die mehrere Hundert Eier beinhalten können, werden an fast der ganzen in dieser Höhe vorhandenen Vegetation, aber auch an Steinen platziert. Die Raupen schlüpfen innerhalb von 8 bis 10 Tagen. Sofort wird mit der Nahrungsaufnahme begonnen, das Artenspektrum an Raupennährpflanzen ist ausserordentlich gross. Sind die verwandten Widderchen in tieferen Lagen vielfach auf wenige oder nur auf eine Raupennährpflanze spezialisiert, so ist Zygaena exulans beinahe ein Allesfresser, was an alpiner Flora vorhanden ist. Schnell zu wachsen ist oberstes Gebot. Die Raupen nehmen mit der Nahrung auch bestimmte Pflanzeninhaltsstoffe auf, welche als Wehrsubstanzen dienen. Raupen, die gereizt werden, scheiden kleine, wasserhelle Tröpfchen aus, die nach Bittermandeln riechen und das Vorhandensein von Blausäure signalisieren. Raupen und Schmetterling können es sich leisten, am hellen Tage exponiert auf den obersten Trieben der Futterpflanzen zu sitzen, ohne Gefahr zu laufen, gefressen zu werden. Die auffälligen Farben signalisieren Fressfeinden die Ungeniessbarkeit.
Schon im September zwingen die klimatischen Verhältnisse zu einer winterlichen Ruhephase. In grosser Zahl, vielfach können das über 100 Einzelwesen sein, versammeln sich die Raupen gemeinsam unter Steinen zur Winterpause. Im nächsten Juni geht das Fressgelage weiter, bis alsbald wieder die Kälte zu einer weiteren Überwinterung zwingt. Der Juni nach der zweiten Winterruhe bringt dann den Höhepunkt im Leben des Falters. Für die ausgewachsenen Raupen gilt es, nochmals den Magen zu füllen, Energie zu tanken und dann ab zum Verpuppen. In auffälligen, sehr oft an Steinen zu findenden, silbrig glänzenden Kokons, meist wieder in «familiärer Gesellschaft» geschieht nun in 18 bis 21 Tagen die Verwandlung von der Raupe zum farbenfrohen, am Körper dicht behaarten Schmetterling mit etwa 30 mm Spannweite.
Nach dem Schlüpfen gibt es für das Hochalpenwidderchen nur eines: Partner suchen und verpaaren. Damit die kleinen Falter aber fliegen können, brauchen sie Sonnenwärme. Wolkenschatten oder gar bedecktes Wetter lässt sie gut versteckt am Boden sitzen. Schon nach kurzen drei Wochen Schmetterlingsdasein kommt der Tod. Ende August ist das Schauspiel vorbei. Am Ende ihres Lebens sind die Falter meist derart abgeflogen und die Farben so stark verblasst, dass die vorher mit farbigen Schuppen bedeckten Flügel durchsichtig erscheinen und nur noch schwer als «Blutströpfchen» erkennbar sind.
Lokale Flugjahre
Durch diesen, dem hoch gelegenen Lebensraum geschuldeten zwei- oder mehrjährigen Entwicklungszyklus kommt es zu lokalen «Flugjahren», in denen Zygaena exulans in grosser Zahl auftreten kann. Diese Massenerscheinungen sind jedoch sehr kleinräumig und nicht über den gesamten alpinen Lebensraum synchron. So können die Falter in jedem Sommer irgendwo an geeigneten Orten angetroffen werden oder an bekannten Orten eben dann auch nur spärlich oder gar nicht.
Widderchenarten sind sehr standorttreu und haben eine grosse Bedeutung als Bioindikatoren. Sind viele dieser Arten in tiefer liegenden Habitaten durch Lebensraumverlust und das Verschwinden der benötigten Futterpflanzen gefährdet, so bleibt das Hochalpenwidderchen bis jetzt von dieser Entwicklung verschont. Bereits heute lässt sich aber feststellen, dass sich als Folge der Klimaveränderung Lebensräume verschiedener Insektenarten nach oben verschieben. Starke Veränderungen in der Pflanzenwelt, aber auch Konkurrenz durch andere Schmetterlingsarten könnten zur Verdrängung des Hochalpenwidderchens führen. Auch der energiehungrige und mit technischen Mitteln Sport treibende Mensch kann negative Einflüsse auf den Lebensraum dieser «Sommervögel» bewirken.
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