Was war Ihre Motivation, Kleinstlebewesen auf 170 Seiten eine Bühne zu geben?
Schon seit meiner Kindheit faszinieren mich die ganz kleinen Tiere, also all die winzigen Lebewesen, die man oft übersieht oder die viele Leute sogar mit Ekel betrachten. Mir ist es wichtig, diesen Mikrokosmen eine Bühne zu geben und zu zeigen, wie schön und bedeutsam sie sind. 

Wieso hat vieles, was kreucht und fleucht, eine so schlechte Presse?
Ich glaube, Insekten und Co. haben einen schlechten Ruf, weil wir zu wenig über sie wissen, beziehungsweise weil Kinder zum Teil schon sehen, wie Erwachsene auf Assel und Co. mit «iiiih» reagieren und das dann übernehmen. Was wir nicht verstehen, macht schnell Angst oder erzeugt Ekel. Hinzu kommt, dass kleine Tiere in unserer Kultur oft nur als «Schädlinge» oder «eklig» etikettiert werden. Schon in Kinderserien ist die Spinne oft die Böse. Dabei steckt hinter jedem Käfer, jeder Mücke und jedem Wurm ein faszinierendes Stück Naturgeschichte. Wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzuschauen, entdeckt man Schönheit, Raffinesse und wichtige Aufgaben in unseren Ökosystemen, und plötzlich sieht man sie mit ganz anderen Augen.

Wie lassen sich diese Winzlinge überhaupt finden?
Man muss sich tatsächlich einen anderen Blick angewöhnen: eher nach unten als nach oben schauen, langsam gehen, Pausen machen. Viele dieser Winzlinge sitzen unter Blättern, auf der Unterseite von Ästen oder zwischen Moospolstern. Am Anfang übersieht man sie leicht, weil sie in einem ganz anderen Massstab unterwegs sind, aber mit ein bisschen Übung lernt man, ihre Bewegungen und Formen wahrzunehmen.

Sie schreiben in Ihrem Buch von der Verantwortung, die wir für diese Krabbler haben. Was können wir konkret tun?
Wir können schon mit kleinen Schritten viel bewirken: naturnahe Ecken im Garten oder auf dem Balkon zulassen, heimische Wildblumen statt sterile Kiesflächen wählen, Laub und Totholz liegen lassen, Pestizide meiden. Auch in Parks oder beim Spazierengehen hilft es, aufmerksam zu sein und nicht alles sofort zu zerstampfen, was da krabbelt. Und natürlich können wir Wissen weitergeben! Also den Kindern zeigen, wie spannend ein Käfer ist, oder Freunden erklären, warum auch eine winzige Spinne wichtig fürs Gleichgewicht eines Ökosystems ist. Wenn wir diese Lebewesen als Mitbewohner wahrnehmen, fällt es leichter, ihre Lebensräume zu schützen.

Sie entlarven auch Mythen. Etwa dass der Borkenkäfer ein Schädling sei. Welche guten Seiten sind ihm eigen? 
Der Borkenkäfer gilt schnell als «Schädling», weil er Wälder schwächt und Bäume absterben können. Aber aus ökologischer Sicht erfüllt er eine sehr wichtige Rolle: Er räumt alte und kranke Bäume ab, schafft Totholz und Lichtungen, und macht Platz für neue Generationen. Damit hält er den Kreislauf des Waldes in Gang! Problematisch wird er erst dort, wo wir selbst das Gleichgewicht zerstört haben: in monotonen Fichtenplantagen, die durch Klimawandel und Dürre ohnehin geschwächt sind, ist das beispielsweise der Fall. In einem vielfältigen, gesunden Mischwald ist der Borkenkäfer kein Feind, sondern ein wichtiger Teil eines funktionierenden Systems.

Neben Ihrer Arbeit als Schriftstellerin, Übersetzerin, Illustratorin und Fotografin gehören Sie auch zu einer Forschungsgruppe der Uni Hamburg, die sich den Kurzflügelkäfern widmet. Welche Fragestellungen treiben Sie derzeit um?
Mich interessiert im Moment vor allem, welche Kurzflügelkäfer in den Hamburger Moorstandorten vorkommen und welche Beziehungen und Netzwerke sie dort bilden. Also wie sie mit anderen Insekten, Pilzen oder Pflanzen interagieren und welchen Platz sie im Gefüge dieser besonderen Lebensräume haben. [IMG 2]