Hautnah lässt der Regisseur Jean-Albert Lièvre die Giganten der Meere an die Zuschauer heranschwimmen, und diese werden Zeugen, wie die wuchtigen Buckel-, Blau- oder Pottwale tänzerisch durchs Wasser schweben. Die Erzählweise des Films scheint dem stoischen Wesen des Wals und zugleich der poetischen Inspiration durch ein Gedicht angeglichen. So vermögen die eindrücklichen Bilder eine meditative Sogwirkung zu entfalten.

Gemeinsam mit den Walen tauchen die Kinobesucher weit hinunter in die dunklen Tiefen der Meere und lauschen ihren mysteriösen Gesängen. Während dieses Kommunikationsmittel noch nicht eindeutig entschlüsselt wurde, sind viele andere Aspekte der Lebenswelt dieser Grosssäuger erforscht. Der Film weiht ein in die Wanderrouten der Wale, ihr Fressverhalten und darüber, mit welch sozialem Verantwortungsbewusstsein sie sich fortpflanzen und ihre Jungen aufziehen.

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All die fantastischen Aufnahmen täuschen aber nicht darüber hinweg, dass all die Eingriffe des Menschen für den Wal, wie für so viele weitere Kreaturen, ein einschneidender Wendepunkt bedeutete. Eine ganze Industrie baute auf der Ausschlachtung dieser sanften Riesen auf. Heute ist zwar die Jagd auf Wale weitgehend verboten, menschliche Aktivitäten beeinflussen jedoch noch immer die Existenz der Meeresbewohner. An dieser Problematik knüpft unsere erste Frage an.

Herr Lièvre, welche Botschaft wollen Sie mit Ihrem Film vermitteln?

Ich möchte aufzeigen, dass wir Menschen nicht die einzige Gesellschaft auf diesem Planeten sind, die eine Sprache besitzen, sozial und organisiert handeln und intelligent sind. Es gibt andere Gesellschaften, wie eben die der Wale, die schon viel länger existieren und von denen wir viel lernen können. Ich möchte dazu bei-tragen, dass wir uns mit unserer Umwelt wieder verbinden können. Bei den Kindern, denen ich meinen Film im Rahmen eines Unesco-Projektes gezeigt habe, hat dies toll funktioniert. Sie waren sehr interessiert und haben unzählige Fragen zu diesen faszinierenden Lebewesen gestellt.

Was genau macht die Faszination der Wale aus, abgesehen von ihrer enormen Grösse?

Es ist schon beeindruckend, wie imposant die Wale sind. Noch erstaunlicher finde ich, mit welcher Leichtigkeit und Eleganz sie durchs Wasser schweben. Sich über Blicke mit einem solchen Tier austauschen zu können, löst unheimlich viele Emotionen aus. Es sind sehr neugierige Tiere, die einen mit ihrem Blick bei einem Aufeinandertreffen wohlwollend scannen. Im Film können wir den Zuschauern dieses Gefühl vermitteln, da die Wale die Zuschauer direkt anzublicken scheinen.

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Die Bemühungen, einen gestrandeten Wal wieder ins Wasser zu schaffen, bilden den Rahmen Ihrer Geschichte. Wieso stranden Wale überhaupt?

Wale werden an Land geschwemmt, wenn sie krank sind oder ihr Navigationssystem nicht funktioniert. So ganz geklärt sind die Ursachen jedoch noch nicht. Es ist rar, dass ein gestrandeter Wal überlebt und zurück ins Meer kommt. Die Filmaufnahmen von dieser geglückten Rettung wurden uns von einer Walhilfeorganisation aus Südafrika zugesandt, sie stammen nicht von unserem eigenen Filmteam.

Der Film besteht aus eindrücklichen Aufnahmen, die Wale aus nächster Nähe zeigen. Worin bestanden die grössten Herausforderungen beim Dreh?

Die Wale zeigten niemals Aggressionen uns Filmern gegenüber. Für Taucher kann es aber im von den Walen aufgewirbelten Wasser gefährlich werden und ein versehentlicher Schlag mit der Schwanzflosse wäre auch fatal. Deshalb haben wir beispielsweise die Szenen, wo die Wale auf der Jagd nach Fischen sind, vom Boot aus mit einer Kamera gefilmt, die an einem acht Meterlangen Rohr ins Wasser getaucht werden konnte. Wir liessen immer die Wale entscheiden, ob sie dicht zu uns kommen möchten und gefilmt werden wollen. Es gab sehr neugierige Tiere, die immer unsere Nähe suchten, und solche, die sich entfernten, wenn wir mit unseren Kameras auftauchten. Ein besonders schönes Erlebnis war, als eine Walmutter mit ihrem einige Wochen alten Jungtier unsere Nähe suchte und ihr Kind regelrecht dazu animierte, mit uns zu spielen. Wir mussten eine grosse Portion Geduld mitbringen, manchmal konnten wir zwei Wochen lange kaum Bilder aufnehmen und dann schwammen uns innerhalb von zwei Stunden gleich mehrere Wale vor die Kamera.

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Sie lassen die Wale erzählen, wieso haben Sie diese Erzählperspektive gewählt?

Ich war mir wohl bewusst, dass ich damit ein gewisses Risiko eingehe. Denn Anthropomorphismus ist nicht nach jedermanns Geschmack. Ich habe diese Erzählweise gewählt, um eine Nähe zwischen den Walen und den Zuschauenden herstellen zu können. Heute weiss man, dass Tiere Gefühle haben, und die Erzählsprache ist auf eine subtile und nicht zu plakative Art umgesetzt. Deshalb bin ich nach wie vor überzeugt von dieser Idee. Schön ist, dass wir den oscarprämierten französischen Schauspieler Jean Dujardin als Sprecher gewinnen konnten. Als er die Rohfassung des Films das erste Mal sah, war er so berührt, dass er sofort zusagte.

Der französische Filmtitel lautet «Les gardiennes de la planète» also «Die Hüter des Planeten», können Sie uns erklären, wieso Sie die Wale so beschreiben?

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 06/2023 vom 23. März 2023. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

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Ich muss gestehen, eigentlich gefällt mir der englische Titel «Whale Nation» besser, da das gleich betitelte Gedicht von Heathcote Williams den Ausschlag zum Film gab. Als Hüter des gesamten Planeten können Wale bezeichnet werden, da sie eine wichtige Rolle im Ökosystem spielen, um das Gleichgewicht auf dem Planeten, in den Ozeanen und im Klima zu erhalten.