Herr Volken, das Interesse an der Natur und Bergwelt hat Ihren beruflichen Weg stark geprägt. Vom Atmosphärenphysiker zum Mitbegründer einer Wanderreisen-Agentur. Wie kam es zum Schritt, sich vollkommen der Bergfotografie zu widmen?

Das war eine organische Entwicklung und nicht etwa ein Entscheid, den ich von einem Tag auf den anderen fällte. Schon als kleiner Junge besass ich eine Kamera und habe viel und gerne fotografiert. Mit 14 Jahren begann ich mit dem Bergsteigen. Lange fotografierte ich auf meinen Bergtouren einfach hobbymässig. Das hat sich herumgesprochen. Stück für Stück bekam ich dann immer mehr Anfragen für meine Bergfotos. Die Fotografie wurde somit neben der Trekkingagentur zum Teilzeitberuf, der immer mehr Zeit einnahm. Und irgendwann war mein Kundenkreis derart stark angewachsen, dass ich mich nach zehn Jahren als Mitinhaber von per pedes bergferien dazu entschied, das Wagnis einzugehen und nur noch auf die Fotografie zu setzen.

Berglandschaften scheinen Sie besonders in den Bann zu ziehen. Was fasziniert Sie an der Bergwelt und was möchten Sie den Betrachtern Ihrer Fotos vermitteln?

Mit den Bergfotografien hat alles angefangen und es ist auch der Bereich, in dem ich die meisten Kunden habe. Mittlerweile verfüge ich über viel Erfahrung, wann welches Bergmotiv am spannendsten festzuhalten ist. Gute Bergfotos entstehen nicht nur aufgrund einer ausgefeilten Fototechnik, sondern das hat ganz viel mit Naturwissen zu tun. Bei den Auftragsfotos muss ich zusammen mit dem Kunden herausspüren, was die Bilder für einen Inhalt vermitteln sollen und wie die Bildsprache dazu aussieht. Das ist jeweils ein langer Prozess. Es geht darum, gemeinsam stimmige Bilder zu erschaffen und eine Geschichte zu erzählen. Bei meinen eigenen Projekten gibt immer die Faszination für eine bestimmte Thematik den Ausschlag. Irgendwann entsteht etwas daraus, vielleicht ein Buchprojekt oder so. Auch hier will ich immer mit den Bildern durch eine Geschichte führen.

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Pässe während der Wintersperre und Toilettenhäuschen hoch in den Schweizer Bergen sind zwei solche persönlichen Themen, aus denen Geschichten in Buchform entstanden. Wie wurden Sie auf diese Motive aufmerksam?

Die Pässe kenne ich im Sommer wie meine eigene Hosentasche. Im Winter, wenn der Übergang gesperrt ist, verlieren die Pässe ihre Funktion und erhalten einen ganz neuen Charakter. Diesen wollte ich kennenlernen und begab mich deshalb zu Fuss, entlang der Strasse, auf die Reise über die Pässe in der Wintersperre. Für mich war das eine Forschungsexpedition, die ich mit meiner Kamera dokumentierte. Die Fotos sollen meine Empfindungen widerspiegeln. Bei den stillen Orten waren die Fotos bereits vorhanden, die Frage war, was ich daraus machen könnte, denn mich faszinierte die Anarchie dieser Orte. Spannend finde ich, dass die Toilettenhäuschen alle dieselbe Funktion haben, aber ganz unterschiedlich aussehen. Jedes WC-Haus ist eine Neuerfindung und nur an dem einen Ort so vorhanden. Interessant ist, dass einige Leser sich vor allem auf die Funktion fokussierten und der Meinung waren, ich wolle in meinem Buch spezifisch auf dieses menschliche Bedürfnis eingehen. Sobald man seine Bilder dann der Öffentlichkeit preisgibt, sind sie frei für verschiedene Interpretationen.

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Menschen belegen nicht nur Ihre Bergfotografien mit neuen Deutungen, mit der Technik greifen sie auch in die Bergwelt ein. Was überwiegt bei Ihnen, die Faszination für diese Eroberung der Natur oder Abwehr dagegen?

Für mich ist eigentlich immer der reine Gwunder der erste Schritt beim Fotografieren. Ich habe zwar ein Thema im Kopf, aber keine genaue Vorstellung davon, wie dann die Bilder aussehen sollen. So ist es auch bei der Technik im Alpenraum. Solche Bauwerke, etwa Stauseen, finde ich spannend und sie erscheinen mir auch nicht per se als hässlich. Das ist eine individuelle Ansicht, ob Seilbahnen oder Stromleitungen ästhetisch sind oder die Landschaft verschandeln. Mit meinen Aufnahmen möchte ich auch nicht die Leute vom einen oder anderen Standpunkt überzeugen. Fest steht einfach, dass solche Einrichtungen für die Mobilität oder Energiegewinnung nun mal notwendig sind.

«Ich inszeniere nicht gerne. Lieber finde ich fotografisch wertvolle Momente.»

Wie steht es um die verlassenen Orte – Berghotels, Seilbahnstationen, Alphütten – die Sie fotografiert haben. Geschah dies auch aus purer Neugierde heraus oder möchten Sie mit diesen Motiven eine bestimmte Botschaft vermitteln?

Das waren zufällige Funde. Ich mache nicht wie einige andere Jagd auf sogenannte «Lost Places». Ich bin viel an abgelegenen Orten unterwegs und manchmal selber überrascht, worauf ich stosse. Für mich sind diese Alphütten mit noch einer zerfetzten Matratze auf dem Boden und der Weinflasche auf dem Tisch Erinnerungsbilder an eine flüchtige Vergangenheit. Oft kann ich die Menschen, die dort lebten, noch spüren.

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Sie halten auch Tiere fotografisch fest, von der Libelle bis zur Gämse. Sind das jeweils zufällige Begegnungen oder gehen Sie bewusst auf eine Exkursion mit dem Ziel, Schafe zu fotografieren?

Dazu muss ich gleich sagen, dass ich sicher nicht der geborene Tierfotograf bin. Da gibt es definitiv Fotografen mit mehr Erfahrung und Geduld in diesem Bereich. Aber an Orten, wo ich beispielsweise Steinwild vermute, nehme ich mir schon Zeit und rüste mich mit dem nötigen Equipment aus. Und wer kann schon an einer Herde Schwarznasenschafe vorbeigehen, ohne diese abzulichten? Anlässlich ihrer Wiederansiedlung habe ich kürzlich Schwarze Alpenschweine fotografiert – das hat mir schon Spass gemacht, muss ich zugeben.

Sie haben sich fotografisch ganz der Bergwelt verschrieben. Ein Abstecher in die Architektur- oder Porträtfotografie würde Sie nicht reizen?

Ich bin autodidaktisch zur Fotografie gekommen und habe, wie so viele Bergfotografen, keine professionelle Ausbildung. In unserem Bereich ist es wichtiger, das Gelände und die Naturphänomene ganz genau zu kennen und ein gutes Auge zu haben, als perfekt mit einer Blitzlampe umgehen zu können. Ich bin nicht der, der gerne Menschen künstlich inszeniert. Ich finde lieber schöne Momente, die es wert sind, festgehalten zu werden. Studiofotografie reizt mich also nicht, für Reportagen bin ich aber gerne zu haben. Und auch für Architekturaufnahmen kann ich mich begeistern, oft lichte ich Berghütten für Fachmagazine oder auch Architekturkritiker ab.

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Gibt es Themen, die Sie in Bezug auf die Bergwelt zurzeit besonders beschäftigen?

Die Intaktheit der hochalpinen Landschaft liegt mir sehr am Herzen. Ich gehöre auch zu den Gründungsmitgliedern der Alpenschutzorganisation «Mountain Wilderness». Eingriffen in die Lebenswelt oberhalb der Baumgrenze stehe ich deshalb sehr kritisch gegenüber und möchte Leute dafür sensibilisieren.

Sie arbeiten mit den verschiedensten Partnern zusammen, von NGOs bis zu kulturellen Institutionen. Entstehen Ihre Fotos auf Anfrage oder bieten Sie die Bilder an, die bei Ihren Bergtouren entstanden sind?

Beides kommt vor. Ich habe ein riesiges Bildarchiv in Bezug auf Schweizer Berge. Viele Redaktionen oder Institutionen wissen das und kontaktieren mich genau deshalb. Es kommt aber durchaus auch vor, dass ich für Aufträge mit speziellem Fokus in die Berge gehe und neue Aufnahmen mache. Ich schätze diese Mischung von beiden Ebenen sehr.

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Verraten Sie uns zum Abschluss noch etwas über Ihr aktuellstes Fotoprojekt?

Grundsätzlich arbeite ich immer an mehreren verschiedenen Projekten gleichzeitig. 2022 und 2023 wird im Tessiner Bleniotal ein Weitwanderweg erstellt. Dieses Projekt begleite ich vom Anfang an bei der Entstehung bis zur Fertigstellung. Sogar ein Biwak wird speziell dafür eingerichtet, da bin ich von den allerersten Zeichnungen über die Arbeiten in der Schreinerei bis zur anspruchsvollen Montage via Helikopter hautnah mit dabei. Gemeinsam mit einer Journalistin verfasse ich ein Buch zu diesen 13 Tagestouren. Dieses Projekt gefällt mir besonders gut, weil ich hier für einmal nicht als Einzelkämpfer nur mit meiner Kamera unterwegs bin und den späteren Leserinnen so einen spannenden Blick nicht nur auf das Endergebnis, sondern auch hinter die Kulissen bieten kann.

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Zur Person
Seine Kindheit hat Marco Volken in Lugano verbracht. Zum Physikstudium zog er nach Zürich, wo er noch heute wohnt. Das grosse Interesse für die Bergwelt beeinflusste Marco Volkens beruflichen Werdegang. Nach einer Promotion in Atmosphärenphysik gründete er mit einem Freund eine Agentur für Wander- und Trekkingreisen. Auf den Expeditionen in die Bergwelt ist die Kamera Marco Volkens Begleiterin. Es spricht sich herum, dass der geübte Tourengänger eindrückliche Fotos schiesst. Ein immer grösserer Kreis von Kunden zählt auf Volkens starke Bergbilder, sodass er Anfang der 2000er-Jahre den Schritt in die Selbstständigkeit als Fotograf wagt. Seither sind zahlreiche Bildbände mit Volkens Aufnahmen erschienen und Kunden aus diversen Branchen zählen auf das umfangreiche Bildarchiv sowie das Können Volkens.
marcovolken.ch