Frau Jezler, die vergangenen Wintermonate Januar und Februar waren die jeweils wärmsten jemals aufgezeichneten Monate in der Schweiz. Wie erklären Sie sich diesen Umstand?

Agnes Jezler: Ich denke, das ist für uns alle nicht unerwartet. Wir sprechen nun schon lange von der Klimaerwärmung und von dem Effekt, den diese auf die Wetterlagen haben wird. Es war der wärmste Februar seit 1864. Über 4,6 Grad wärmer als der Durchschnitt der letzten zwanzig Jahre. Und was wir hier sehen können, ist die Summe unserer Handlungen, die dazu geführt haben, dass die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre zunimmt und sich nun auch in der Wetterlage niederschlägt.

Sie sprechen den Treibhausgaseffekt an. Ist er die grösste Umweltbelastung, die auf den Menschen zurückzuführen ist?

Ich möchte darauf eine etwas unübliche Antwort geben. Ich denke, die grösste Umweltbelastung, die wir verursachen, ist, dass uns die Wahrnehmung abhandengekommen ist, dass wir ein Bestandteil des Ökosystems sind. Wir sind ein Teil dieses Lebens auf der Erde und damit verwoben sowie stark davon abhängig. Das Wasser, das wir trinken. Die Nahrung, die wir essen. Die Luft, die wir atmen. All das sind Ressourcen von diesem Ökosystem, welches lebendige Erde und zugleich gesunde Felder benötigt. Ich denke, es ist diese fehlende Wahrnehmung, die dazu führte, dass wir nun mit der Natur umgehen, als wäre sie nur eine Maschine, die wir immer zu noch höherer Effizienz antreiben können. Man profitiert und verdient Geld mit der Umweltzerstörung, wobei sich aktuell die Rücksichtslosigkeit am meisten auszahlt.

Im Vergleich zu Industrie- und Entwicklungsländern wird in der Schweiz recht stark versucht, gegen den Klimawandel und die Umweltbelastungen anzukämpfen. Die Nutzung der Ressourcen in der Schweiz nimmt erwiesenermassen tendenziell ab. Handelt es sich dabei etwa nur um einen Trugschluss?

Es stimmt, dass wir schon ein gutes Stück weitergekommen sind. Wir haben dieses Bewusstsein und wir bemühen uns nun mehr. Das gilt es unbedingt anzuerkennen und zu feiern – es ist ein Erfolg. Man muss jedoch sagen, dass ein Grossteil der Umweltzerstörung, die durch die Schweiz verursacht wird, im Ausland stattfindet. Wir sind zunehmend von internationalen Lieferketten abhängig und profitieren gleichzeitig davon, dass Umweltschutzgesetze an anderen Orten weniger stark greifen. So werden 80% des gesamten Wasserfussabdrucks der Schweiz im Ausland verursacht. Obwohl die Schweiz ein sehr wasserreiches Land ist, werden doch viele Produkte in Gegenden hergestellt, wo extreme Wasserarmut herrscht. Und dafür tragen wir auch eine Verantwortung.

Der Wasserverbrauch zählt zu einer der planetaren Grenzen, die in einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie beleuchtet wurden. Was kann man sich denn unter planetaren Grenzen vorstellen und welche gibt es?

Menschen, die mit Aquarien oder mit Teichen Erfahrungen gemacht haben, werden sich das ziemlich gut vorstellen können. Es sind Parameter, die nötig sind, damit alles im Gleichgewicht ist, wodurch Lebewesen und Pflanzen florieren können. Wie eben in einem Teich. Die planetaren Grenzen, die für ein langfristiges und gesichertes Fortbestehen der menschlichen Zivilisation eingehalten werden müssen, umfassen neben dem Wasserverbrauch auch die Klimaveränderung, die Landnutzung, die Ozeanversauerung, den Ozonabbau, die Luftverschmutzung, die chemische Verschmutzung, den Phosphor-, Stickstoff- und Biodiversitätsverlust.

Wie äussern sich diese?

Mit der Klimaveränderung sind wir nun alle relativ vertraut. Sie treibt auch die Ozeanversauerung voran. Die durch die Abgase entstehende Luftverschmutzung kann zu Atemwegserkrankungen führen und belastet gleichzeitig Ökosysteme. Der Phosphor- und Stickstoffverlust findet vor allem in der Landwirtschaft statt, wo grossflächig Stickstoff- und Phosphordünger angewendet werden. Durch die Überdüngung versauern die Felder und Flüsse, wodurch die Nährstoffkreisläufe übersättigt werden und so Ökosysteme kippen können. Auch die Landnutzung hat grossen Einfluss auf die lokale Ökologie. Wird beispielsweise ein grosser Baumbestand abgeholzt, so wird nicht nur der Wasserkreislauf gestört – es sind weniger Bäume vorhanden, die den Regen binden können –, sondern auch die Tierwelt, worunter viele Arten ihren Lebensraum verlieren. Zudem erwärmen sich die Böden stärker, da die schattenspendenden Bäume fehlen. Die Landnutzung ist damit grosser Treiber des Biodiversitätsverlustes.

In den Medien ist mehrheitlich von der Klimaveränderung die Rede und wie unser Planet in einen unumkehrbaren Zustand driften könnte. Welche Massnahmen schlägt Greenpeace vor, um die planetare Grenze des Biodiversitätsverlustes nicht mehr zu überschreiten, der genauso wenig unterschätzt werden sollte?

Da der Biodiversitätsverlust sehr stark von der Art und Weise der Landnutzung abhängt, wäre es angebracht, hier anzusetzen. Eine schonende, regenerative Landwirtschaft, die hauptsächlich auf pflanzliche Nahrung setzt, wäre so ein Eckpfeiler, um die Biodiversität global zu schützen. Wir würden deutlich weniger Platz benötigen, als wir es heute tun. Dadurch wären auch die heutigen Mengen an eingesetzten Chemikalien nicht mehr in diesem Ausmass vonnöten. Dabei finde ich es jedoch wichtig, zu erwähnen, wenn wir das so wollen, dann müssen auch Bauern und Bäuerinnen damit gut leben können. Es kann nicht sein, dass man es einfach auf die Landwirte abwälzt. Wir alle gemeinsam müssen die Rahmenbedingungen so gestalten und schaffen, dass es ihnen gut geht. Denn sie sind die-jenigen, die dafür sorgen, dass wir täglich Essen auf dem Tisch haben.

Sind denn überhaupt Planet und Menschheit, ganz salopp gefragt, noch zu retten?

Wir haben hier die Möglichkeit, sehr viele Probleme anzugehen und zu lösen. Sowohl für die Umwelt als auch für uns als Gesellschaft. Wir haben einen sehr grossen Handlungsspielraum, einen grösseren, als uns vermutlich bewusst ist. Gleichzeitig ist es so, dass wir den Planeten schon so weit verändert haben, dass ein grosser Teil der Katastrophe nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Genauso wird er nicht mehr der gleiche sein wie vor Jahrhunderten. Wir werden in einer anderen Welt leben. Das müssen wir anerkennen, darauf müssen wir uns einstellen und uns daran anpassen. Ich glaube, was daher ganz wichtig ist, ist die Bereitschaft für Veränderungen und die Zuversicht. Viele machen sich Sorgen um die Zukunft, wofür es zahlreiche Gründe gibt. Dies heisst jedoch, dass wir uns auch einig sind, dass es so nicht weitergehen kann.

 

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Zur PersonAgnes Jezler studierte an der Universität Basel Geschichte und absolvierte ihren Master in Dublin in Equality Studies. Ihr wurde während des Studiums bewusst, dass die Umweltkrise die grösste Bedrohung für die gesellschaftlichen Errungenschaften und für die Chance auf Wohlstand für alle darstellt. Seitdem engagiert sie sich für Umwelt und Klima. Seit 2022 ist sie bei Greenpeace Expertin und Campaignerin für den gesellschaftlichen Wandel, kurz «Change».