Neuen Ansatz vermitteln
Statt Mais für Tiere, Hafer für Menschen
Immer mehr Landwirtschaftsbetriebe rücken von der Milch- und Fleischwirtschaft ab und produzieren pflanzliche Nahrungsmittel. Ein Augenschein auf dem Känguruhof zeigt, wie das neue Modell gelingen kann.
Drei Wochen sind vergangen, seit Stefan Krapf die letzten drei Rinder in einen Transportwagen verlud und in die Metzgerei fuhr. «Ich bin so erleichtert, dass das nun vorbei ist», sagt der Landwirt aus dem St. Gallischen Bernhardzell. Es sei ihm doch immer sehr schwergefallen, die Tiere zum Schlachten wegzugeben. «Wir geben unseren Tieren Namen und kennen ihre Eigenheiten. Ich musste mich entscheiden, ob es nun Röbi treffen sollte oder Britney, die stets so schön sang.»
Der 37-Jährige ist kein naiver Städter, sondern auf dem Hof aufgewachsen, wo seine Eltern Milchwirtschaft betrieben. Die überschüssigen Tiere verarbeiteten sie wie die meisten Bauern zu Fleisch. Im Alter von acht Jahren musste Krapf das erste Mal zuschauen, wie ein Rind geschlachtet wurde. «Als es umfiel und dann zuckte, erschrak ich. Ich habe zu Hause geweint.» Über die Jahre versuchte er, seine Gefühle zu verdrängen. Doch richtig wohl war ihm nie beim Töten von Tieren. Ausserdem findet er die Fleischwirtschaft ineffizient: «Statt das Getreide den Tieren zu verfüttern, sollten wir es besser selber essen.»
Hafer statt Futtermais
Als Stefan Krapf und seine Partnerin Tamara den Hof 2013 übernahmen, stellten sie ihn zuerst einmal auf biologischen Landbau um. Doch mittlerweile setzen sie immer stärker auf eine pflanzenbasierte Landwirtschaft. Auf dem Feld, wo früher vor allem Futtermais wuchs, säen sie nun Getreide für die menschliche Ernährung an – letztes Jahr konnten sie Weizen ernten und dieses Jahr spriesst der Hafer, den sie zu Flocken oder Hafermilch verarbeiten wollen.
Das Paar bewirtschaftet mit seinen Praktikantinnen und Unterstützern zudem einen grossen Gemüsegarten und bereitet auch immer mehr Flächen für den Anbau diverser Nahrungspflanzen in Permakultur vor. Hier sollen Buchweizen, Kartoffeln, Zwiebeln und noch vieles mehr wachsen. «Mit den Mischkulturen soll die Ernte bis zu viermal grösser als im konventionellen Anbau ausfallen», erklärt Stefan Krapf. Einen grossen Teil zum Einkommen tragen auch die zahlreichen alten Hochstamm-Zwetschgenbäume sowie einige andere Obstbäume bei.
Tiere bleiben am Leben
Und obwohl die Landwirte ihre Tiere nicht mehr essen wollen, mangelt es auf dem Hof keineswegs an Lebewesen mit Fell oder Federn. In einem Gehege hüpfen Wallabys herum, die dem Känguruhof ihren Namen verliehen. Im grossen Stall stehen noch immer siebzehn Rinder – die meisten davon aus der Milchkuhhaltung von umliegenden Höfen. Sie produzieren wertvollen Dünger. Daneben stolzieren Strausse hin und her. Enten gehen im Garten auf Schneckenjagd, Bienen bestäuben die Blüten und Wachteln ziehen ihre Jungen auf. «Wir haben sehr gerne Tiere», sagt Stefan Krapf. Zudem sollen die Tiere Familien auf den Hof locken und ihnen das nachhaltige Landwirtschaftsmodellnäherbringen.
Umstellung ist anspruchsvoll
Der Känguruhof ist einer von gut hundert Schweizer Betrieben, die vermehrt auf pflanzenbasierte Landwirtschaft setzen. Rund neunzig davon haben bereits vollständig auf vegane Produktion umgestellt. In diesem anspruchsvollen Prozess lassen sich viele von Sarah Heiligtag begleiten. Die Tier-Ethikerin und Landwirtin, die früher als Universitäts-Dozentin arbeitet, führt heute selber einen sogenannten Lebenshof im Zürcher Oberland – den Hof Narr. Mit ihrem Team betreut sie Pferde, Hühner, Rinder und auch andere Tiere, die vor dem Tod gerettet wurden. Die selbst ernannten Hof-Narren bauen biologische Nahrungsmittel an.
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«Immer mehr Bauern sind auf uns zugekommen, weil sie sich für unser Modell namens Transfarmation interessieren», erzählt die 43-Jährige. Die Umwandlung der traditionell stark auf Tierhaltung ausgerichteten Höfe sei eine grosse Chance für die Landwirtschaft: «Wir sollten direkt für die menschliche Ernährung produzieren», findet die langjährige Veganerin. Diejenigen Betriebe, die sie bei der Neuausrichtung unterstützt, pflanzen heute viel Getreide und Hülsenfrüchte an, darunter Lupinen und Gelberbsen, die für die immer populäreren Fleischersatzprodukte benötigt werden.
Bund fördert Tierhaltung
Der Grossteil dieser Bauernhöfe liegt im Mittelland. Sarah Heiligtags Ideal wäre eine Landwirtschaft, die gänzlich auf Nutztiere verzichtet. «Auch die Milchproduktion ist brutal, weil die Kälber meist direkt nach der Geburt von ihren Müttern getrennt werden.» In den Berggebieten, wo kaum Ackerbau möglich ist, sei ein Modell mit einem minimalen Tierbestand wohl realistisch, ist ihr bewusst.
Ein grosses Hindernis für eine klima- und tierfreundlichere Landwirtschaft seien die falschen finanziellen Anreize, sagt die Initiantin des neuen Konzepts: «In die Tierhaltung gehen achtzig Prozent der landwirtschaftlichen Subventionen. Damit arbeite die Schweiz entgegen ihren eigenen Klimazielen.» Schwierig sei für viele umstellungswillige Landwirte das soziale Umfeld: Es mangle an Verständnis der anderen Bauern.
Neuen Ansatz vermitteln
Die Landwirte auf dem Känguruhof fühlen sich jedoch nicht als Aussenseiter. Man pflege einen guten Kontakt mit der Bevölkerung und den konventionellen Bauern, erzählt Stefan Krapf. Viele seien den neuen Ansätzen gegenüber sehr aufgeschlossen.
Zurzeit lebt das Paar noch von Stefan Krapfs Sechzig-Prozent-Job als Zimmermann. Einige der Tiere haben Sponsoren gefunden und die Rinder sollen künftig auch für Therapien mit beeinträchtigten Menschen zum Einsatz kommen. Mit dem Hofladen und dem Modell der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi), bei der Kundinnen und Kunden direkt auf dem Feld mithelfen, kann der Känguruhof Produkte direkt vermarkten.
Tamara und Stefan Krapf sind überzeugt, dass sie den Ertrag in den nächsten Jahren deutlich werden steigern können. «Wir wollen die pflanzenbasierte Ernährung fördern und vermitteln.»
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