Der Mensch versucht, die Natur nach seinen Vorstellungen zu formen, und greift dazu auch beherzt in Ökosysteme ein. Einen Schädling ganz biologisch mit einem Fressfeind zu bekämpfen, scheint auf den ersten Blick eine gute Idee zu sein. Doch gut gemeint, ist bekanntlich nicht gut gemacht. Man denke nur an Australien: Dort führt man 1935 zur Bekämpfung des Zuckerrohrkäfers 100 Aga-Kröten aus Süd- und Mittelamerika ein. Die Amphibie ist zwar so gefrässig, wie vorausgesagt, und ihr Appetit gross. Leider nicht nur auf den Käfer. Die Kröte ist seitdem zur Plage geworden und hat sich durch fehlende Feinde in Australien so sehr ausgebreitet, dass sie das ganze Ökosystem ins Schwanken bringt. Und nicht nur in Australien wurden gebietsfremde Tiere als Schädlingsbekämpfer genutzt.

Auch in Europa lebt eine Tierart, die bewusst zur Schädlingseindämmung eingeführt wurde und sich nun verselbstständigt hat. Der aus Japan und China stammende Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) wurde zuerst in Nordamerika und ab 1980 auch in Europa als biologischer Blattlausbekämpfer eingesetzt. Ein ausgewachsenes Tier kann über hundert Blattläuse pro Tag fressen und vermehrt sich rasch – eine biologische Wunderwaffe. Seinen Auftrag erfüllte der kleine Käfer hervorragend; nur leider auch ausserhalb der eigentlich vorgesehenen Gewächshäuser. Vom ersten im Freiland gesichteten Tier 2001 in Belgien verging nur ein Jahr, bis er massenweise in Deutschland aufzutreten begann. Auch wenn die Schweiz den Käfer nicht wollte und die Freisetzung und der Kauf der Tiere hierzulande verboten ist, war die Eidgenossenschaft machtlos gegen den starken Ausbreitungsdrang der Insekten. 2004 schaffte der asiatische Einwanderer den Sprung über die Grenze und ist mittlerweile zu einer der häufigsten Marienkäferarten der Schweiz geworden.

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Farbvielfalt Der Asiatische Marienkäfer kommt in verschiedenen Farbmorphen daher, weshalb er auch «Harlekin-Marienkäfer» oder «Vielfarber» genannt wird. Gelblich mit vielen dunklen Punkten, schwarz mit zwei roten Punkten oder rot mit wenigen schwarzen Punkten – seine Farbvielfalt ist enorm. Von einheimischen Arten unterscheiden kann man ihn meist durch die M-förmige Zeichnung auf seinem Kopfschild. Achtung beim Zweipunkt-Marienkäfer, denn diese Art sieht sehr ähnlich aus, hat aber schwarze Beine. 

Was das konkurrenzfähige Insekt zu einem Risiko für heimische Arten macht, ist seine Robustheit gegen Krankheiten, seine hohe Fortpflanzungsrate und die Tatsache, dass er, wenn alle Blattläuse aufgefressen sind, auch auf andere Nahrung wie Eier und Raupen von Schmetterlingen, Gallmücken und heimischen Marienkäfern ausweichen kann. Schon der britische Evolutionsbiologe Professor Michael Majerus, der intensiv mit Marienkäfern arbeitete, warnte vor dem Käfer, der 2004 auch in England Einzug hielt: «Das ist ohne Zweifel der Marienkäfer, den ich hier am wenigsten sehen wollte. Jetzt werden viele unserer Marienkäfer in direkter Konkurrenz mit dieser aggressiv invasiven Art stehen und einige werden damit sicher nicht zurechtkommen.»

Konkrete Anhaltspunkte, dass unsere einheimischen Glücksbringer durch die Einwanderer aussterben könnten, gibt es bis jetzt nicht. Es existieren jedoch in mehreren Ländern Hinweise darauf, dass gewisse Arten durch den Asiatischen Marienkäfer in Bedrängnis kommen. In einer Langzeitstudie von Kenis et al. (2020) konnte das Forscherteam des internationalen Zentrums für Landwirtschaft und Biowissenschaften nachweisen, dass die invasive Art Einfluss auf die einheimische Fauna haben kann. Zu Beginn der Studie war der in der Schweiz ansässige Zweipunkt-Marienkäfer die häufigste Marienkäferart auf Laubpflanzen in den untersuchten Gebieten. Nach Ende der Studie, elf Jahre später, war er in den Habitaten so gut wie verschwunden. Stattdessen wurde der Asiatische Marienkäfer in dem Zeitraum zur dominantesten Art.

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Käfer sorgen für Fehlton

Nicht nur Blattläuse mag der Asiatische Marienkäfer, auch zu Weintrauben sagt er nicht nein. Ein Phänomen, das bereits aus Nordamerika bekannt war, ist die Verunreinigung des Rebensafts durch die Käfer. Werden sie zusammen mit den Trauben geerntet und verarbeitet, setzen die Insekten bedingt durch den Stress einen Duftstoff frei, der einen Fehlton im Wein erzeugt. Eine Studie der Forschungsanstalt Agroscope ACW zeigt auf, dass bereits ein Käfer pro Kilogramm Trauben den Geschmack und die Optik von Chasselas-Weinen beeinflusst.

Laut Agroscope ist die bewusste Einführung des Asiatischen Marienkäfers der erste Fall, bei dem in Europa ein Nützling zum möglichen Schädling wurde. Nur in den wenigsten Fällen läuft also das Aussetzen von gebietsfremden Arten zur Eindämmung von ungebeten Gästen aus dem Ruder. Verschiedene Tier-, Pilz- und Pflanzenarten konnten dank langjähriger Forschungsarbeit und sorgfältiger Planung bereits erfolgreich als biologische Schädlingsbekämpfer eingesetzt werden. Auch heute noch wird fleissig an dem wichtigen Thema geforscht. Die asiatische Samuraiwespe, die die Eier der Marmorierten Baumwanze parasitiert und den Landwirtschaftsschädling dadurch im Zaum hält, wurde bereits an kontrollierten Standorten in Europa erfolgreich eingesetzt. Auch die aus Zentraleuropa stammende Wespe Diadromus pulchellus scheint vielversprechend im Kampf gegen die aus Europa eingeschleppte Lauchmotte, die in Kanada grosse Schäden in der Landwirtschaft anrichtet.

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Die Vorteile der biologischen Schädlingsbekämpfung liegen hierbei auf der Hand. Sie verringert den Gebrauch von Pestiziden und Insektiziden, ist langfristig anwendbar, da keine Resistenzen entstehen können, und ist mit weniger Aufwand verbunden. Die natürlichen Feinde der Schädlinge machen die Arbeit schliesslich ganz von allein. Der Nachteil: Wie Aga-Kröte und Asiatischer Marienkäfer zeigen, birgt das Aussetzen einer gebietsfremden Art in einem Ökosystem immer ein gewisses Risiko.