Herr Meckes, welche Lebewesen befinden sich unter unseren Füssen, wenn wir durch den Wald spazieren?

Oliver Meckes: Unglaublich viele! Die grösste Masse machen mit Sicherheit die Pilzmyzel aus. Sie sind in der Lage, alles pflanzliche Material, wie Holz und Laub, aufzuspalten. Zellulose, die in Pflanzen enthalten ist, können viele andere Organismen nicht verdauen, aber die Pilze zersetzen sie und ermöglichen so, dass andere Lebewesen an Nährstoffe gelangen, an die sie sonst nicht kämen. Viele dieser Kleinstlebewesen beherbergen wiederum Hefezellen und Bakterien in ihrem Körper, die ihnen bei der Verdauung helfen. Es ist ein Mikrokosmos im Mikrokosmos! Die grössten dieser Mikroorganismen, die man noch mit blossem Auge erkennen kann, sind Springschwänze und Milben – zwischen zwei Millimetern und einem Fünftel eines Millimeters klein. Dann wird es noch winziger: Nematoden, winzige wurmartige Wesen, die nur aus wenigen Dutzend oder Hundert Zellen bestehen, sowie Rädertierchen, die ebenfalls zu den mehrzelligenBodenbewohnern gehören. Und schliesslich gibt es die Einzeller, wie Pantoffeltierchen und Amöben. All das betritt man mit nur einem einzigen Fusstritt.

Für Ihr Buch «Drecksarbeit» haben Sie Bodenproben untersucht. Wo waren Sie unterwegs, und welche Lebewesen haben Sie dabei gefunden?

Unser Projekt startete im Nationalpark Nordschwarzwald. Dort gibt es Gebiete, die seit über 100 Jahren unberührt sind – Orte, an denen der Mensch keinen Einfluss mehr genommen hat. Mit Rangern durften wir diese geschützten Bereiche betreten und Proben sammeln. In diesen Böden fanden wir eine unglaublich grosse Artenvielfalt, denn dort wurde nie Pestizid eingesetzt, kein Kahlschlag betrieben, keine Monokultur gepflanzt – es konnte wachsen, was wachsen wollte. Später haben wir auch Bodenproben von einem Mais-acker genommen. Das Ergebnis: Bis auf eine einzige Schalenamöbenart haben wir dort nichts gefunden. Das liegt an den konventionellen landwirtschaftlichenMethoden. Pestizide – also Fungizide, Insektizide und Herbizide – töten nicht nur schädliche, sondern auch nützliche Organismen ab. Ursprünglich sollten Fungizide Pflanzen vor Pilzbefall schützen, aber dabei wurde übersehen, dass Pilze auch eine entscheidende Rolle im Boden spielen. Sie helfen Pflanzen, Nährstoffe aufzunehmen, indem sie mit ihren Myzelfäden riesige Netzwerke bilden. Diese Netzwerke verbinden verschiedene Pflanzen miteinander, versorgen sie mit Mineralstoffen und Wasser und erhalten so ein stabiles Ökosystem.

Welche anderen Lebewesen übernehmen ebenso die «Drecksarbeit» im Boden?

Eigentlich alle. Milben zum Beispiel – von denen gibt es allein in Deutschland rund 2500 bekannte Arten. Einige fressen Blätter und verdauen sie, ihre Ausscheidungen dienen dann wiederum als Nahrung für Bakterien und Einzeller. So werden Mineralien und Nährstoffe ständig recycelt – ein Kreislauf, von dem letztlich auch die Pflanzen profitieren. Wenn ein Baum fällt, dauert es Jahrzehnte, bis er vollständig zersetzt ist. An diesem Prozess sind unzählige Organismen beteiligt. Diese unglaubliche Vielfalt sorgt dafür, dass der Zersetzungsprozess funktioniert und organisches Material wieder für weitere Organismen verfügbar wird.

Was passiert, wenn dieser Kreislauf gestört wird?

Genau das passiert gerade. Vielleicht haben Sie schon vom Insektensterben gehört? Es hängt eng mit dem Eingriff des Menschen in diese Kreisläufe zusammen. Viele Insekten-, Käfer- und Falterlarven leben im Boden. Doch durch intensive Landwirtschaft, Pestizide und tiefes Pflügen werden diese Lebensgemeinschaften immer wieder zerstört. Der Boden ist nämlich in Schichten aufgebaut: Oben gibt es eine lockere Schicht, in der Erstzersetzer aktiv sind, darunter verdichtet sich der Boden zunehmend. Würmer bewegen sich zwischen den Schichten und helfen bei der Durchmischung. Wenn der Boden aber ständig umgepflügt wird, sterben viele dieser Organismen ab. Es gibt allerdings alternative Anbaumethoden, welche die Vielfalt erhalten: zum Beispiel der Mischfruchtanbau. Statt einer reinen Monokultur werden verschiedene Pflanzen in Reihen angebaut – etwa Weizen neben Kartoffeln und Karotten. So können die Organismen im Boden horizontal wandern und verschiedene Nahrungsquellen nutzen. Ausserdem unterstützen sich manche Pflanzen gegenseitig. Aber solche Anbaumethoden lassen sich nicht mit riesigen Maschinen bewirtschaften – sie erfordern mehr Handarbeit.

Was fasziniert Sie persönlich am Mikrokosmos am meisten?

Ich kann das gar nicht auf eine Sache beschränken – es fasziniert mich einfach alles! Ich bin von Natur aus sehr Biologie-affin. Es ist mir egal, ob ich Bakterien entdecke, die in der Blattlauskacke auf einem Blatt leben – das sah total witzig aus! – oder ob ich Insekten, Pilze oder Mineralien untersuche. Wenn man genau hinschaut, eröffnen sich unglaubliche Welten. Diese Vielfalt werde ich in meinem Leben niemals vollständig erfassen können.

Wie gelingt es Ihnen denn überhaupt, so tief in diesen Mikrokosmos vorzudringen?

Das erfordert viel Know-how und Erfahrung in der Mikroskopie – insbesondere in der Raster-Elektronenmikroskopie. Bevor wir Proben untersuchen können, müssen sie aufwendig präpariert werden: Sie werden entwässert, fixiert und in einem speziellen Verfahren getrocknet, damit sie im Elektronenmikroskop stabil bleiben. Dann werden sie mit Gold bedampft, um elektrisch leitfähig zu sein. Bei grösseren Organismen, wie Springschwänzen oder Milben, sammeln wir die Tiere lebend heraus und fixieren sie separat. Kleinste Mikroorganismen wie Nematoden oder Einzeller hingegen bleiben in einem Stück Boden oder verrottetem Holz erhalten, das dann komplett präpariert wird. Anschliessend suchen wir im Mikroskop stundenlang nach den winzigen Lebewesen.

Sie wissen, was alles unsichtbar um uns herumkrabbelt – können Sie überhaupt noch ruhig schlafen?

Es gab tatsächlich einen Moment, der mir einen Schauer über den Rücken gejagt hat – als ich mit Krätzmilben zu tun hatte. Ich hatte eine Probe von einem stark befallenen Schweineohr, und es wimmelte so sehr von Milben, dass es aussah, als würde das Ohr gleich loskrabbeln. Da hat es mich selbst ganz schön gejuckt. Aber ansonsten? Nein, ich bin völlig entspannt. Man lernt als Mikroskopiker schnell, dass alles mit allem zusammenhängt. Unser Körper ist ja selbst ein wandelnder Mikrokosmos – unser Mikrobiom, die unzähligen Bakterien in und auf uns, halten uns gesund. Ich sage immer: Wir sind eigentlich wandelnde Komposthaufen. Wir essen was, unsere kleinen Helfer im Darm verarbeiten es und am Ende kommt Dünger heraus.

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Zur Person

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Oliver Meckes absolvierte eine Ausbildung zum Fotografen und spezialisierte sich früh auf Mikro- und Makrofotografie. Zusammen mit seiner Frau Nicole Ottawa betreibt er das renommierte Fotostudio «eye of science» in Reutlingen, das für seine wissenschaftlich präzisen Aufnahmen bekannt ist. Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt und mehrfach ausgezeichnet.