Plastikersatz
Ist Bambus eine nachhaltige Alternative zu Plastik?
Socken, Teller, Zahnbürste – immer mehr Produkte werden heute aus Bambus als Ersatz für Plastik hergestellt. Macht das wirklich Sinn?
Bambus hat sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Ersatzmaterial für Plastik entwickelt, vor allem aufgrund seiner schnell nachwachsenden und umweltfreundlichen Eigenschaften. In vielen Bereichen des täglichen Lebens finden sich mittlerweile Produkte aus Bambus, die traditionell aus Plastik hergestellt wurden. Beispielsweise werden Zahnbürsten aus Bambus als Alternative zu den üblichen Plastikmodellen angeboten, was nicht nur für eine Reduzierung des Plastikmülls sorgt, sondern auch eine nachhaltigere Mundhygiene ermöglicht. In der Küche sind Mehrwegbecher, Spiesse, Strohhalme und Brettchen verbreitet, die eine umweltbewusste Alternative zu Einwegplastikgeschirr oder Plastikbrettchen darstellen. Auch im Textilbereich findet Bambus mittlerweile Verwendung, etwa bei der Herstellung vonSocken, wobei die Bambusfasern als Ersatz für synthetische Materialien dienen. Der vielfältige Einsatz von Bambus als Ersatz für Plastik, um den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren und nachhaltigere Lebensstile zu fördern, verschafft den Eindruck, dass Produkte aus Bambus umweltfreundlich und gesünder als Plastik sein.
Täuschende Zusammensetzung
Dass dies nicht immer so ist, weiss Dr. Jane Muncke, Geschäftsführerin der Schweizer Stiftung FoodPackaging Forum und Expertin für Umwelttoxikologie. «Reines Bambusgeschirr im eigentlichen Sinne zum Beispiel gibt es kaum. Da Bambus ein Gras ist, können höchstens dessen verholzte Stängel durch Verkleben zu Brettern verarbeitet werden. Die Zusammensetzung des Klebers ist allerdings nicht immer klar.» Daher wird sogenanntes Bambusgeschirr oft aus einer Mischung von Melamin-Formaldehyd-Harz und Bambusfasern hergestellt. «Sogenanntes ‹Bambusgeschirr› ist somit in Wirklichkeit oft Plastik mit Bambusanteilen. In der Schweiz ist diese Kombination für den direkten Lebensmittelkontakt daher nicht zugelassen.» Man habe beobachtet, dass Melamin-Formaldehyd-Kunststoff, welcher mit Bambusfasern vermischt wurde, gesundheitlich bedenkliche Mengen an krebserregenden Stoffen abgibt, welche die Grenzwerte überschreiten. Denn: Chemikalien aus den Verpackungsmaterialien können in die Lebensmittel übergehen. Dies wird in Fachkreisen Migration genannt. «Verpackungen bestehen aus Chemikalien, und je nach Material kann eine Verpackung mehr oder weniger oder auch keine ihrer Inhaltsstoffe an Lebensmittel abgeben.» Verpackungsmaterialien, welche nicht inert sind, also eher viele Inhaltsstoffe an Lebensmittel abgeben, seien Plastik, Papier und beschichtete Metallverpackungen. «Besonders bedenklich sind Verpackungen aus rezykliertem Papier oder Karton, da diese sehr viele Stoffe enthalten können, welche nicht lebensmittelecht sind.» Darum sind solche Materialien in der Schweiz für den direkten Lebensmittelkontakt verboten.
Besonders stark migrieren Verpackungsinhaltsstoffe laut Muncke bei erhöhter Temperatur, das heisst, wenn ein Lebensmittel in der Verpackung erhitzt wird oder wenn es heiss hineingefüllt wird. «Ebenso steigt die Migration mit der Verweildauer des Lebensmittels in der Verpackung. Dies ist zum Beispiel relevant für Nahrungsmittel, welche man über lange Zeit lagert wie Polenta oder Konserven.» Aber es gibt noch weitere Faktoren, welche das Ausmass der Chemikalienmigration bestimmen. «Nahrungsmittel, welche mit einem pH unter 4 sehr sauer sind oder einen Fettgehalt von mehr als 25 % aufweisen, sind stärker betroffen von der Migration.» Bei sehr kleinen Portionsgrössen ist die Migration proportional übrigens höher als bei grösseren Verpackungen. «Dies liegt daran, dass die Verpackungsoberfläche proportional grösser ist im Vergleich zum Volumen des Nahrungsmittels.»
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Einfluss auf das menschliche Hormonsystem
Expertin Muncke betont zudem, dass die aktuelle Beurteilung von Materialien wie Plastik veraltet ist. «Es werden derzeit nur einzelne Stoffe bewertet, obwohl oft Dutzende oder gar Hunderte von Chemikalien gleichzeitig migrieren.» Sie plädiert deshalb für Grenzwerte für Materialien statt für Einzelstoffe und weist darauf hin, dass die Chemikalienrisikobewertung neuere wissenschaftliche Erkenntnisse nicht integriert. «Der Einfluss vieler synthetischer Chemikalien auf das menschliche Hormonsystem, welches dann zu ganz verschiedenen chronischen Erkrankungen führen kann wie Diabetes, Krebs, Fruchtbarkeitsstörungen, Allergien, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologische Störungen, wird derzeit noch nicht berücksichtigt.
Am besten ist also, bei Verpackungen oder Küchenutensilien weder Bambus noch Plastik, sondern Glas oder Metall zu verwenden. Auch in Bezug auf das Recycling bekommt Bambus eine schlechte Note, meint Jane Muncke. «Sowohl Bambus als auch Plastik sind nur begrenzt recycelbar und bei jedem Recyclingprozess muss ein hoher Anteil an frischem Material hinzugefügt werden, und die Materialeigenschaften verschlechtern sich bei jedem Recyclingvorgang.» Bei der Zahnbürste, die ebenfalls vom Bambustrend ergriffen wurde, wird nur der Stil aus Bambus gedrechselt. Die Borsten hingegen sind in der Regel aus Bioplastik. Recyclebar ist eine Bambuszahnbürste daher nicht.
Bambus in Textilien
Auch bei Textilien, die mit «aus Bambus» beworben werden, sollte man Vorsicht walten lassen. Bambus wird oft als ideale Wohlfühlfaser beschrieben, die nicht nur durch ihre Weichheit und hohe Farbstabilität besticht, sondern auch für ihre temperaturregulierenden Eigenschaften bekannt ist – sie wirkt kühlend im Sommer und wärmend im Winter. In den meisten Fällen besteht die als Bambustextilien bezeichnete Kleidung allerdings aus Viskose, die aus Bambus hergestellt wurde – sie ist also keine direkte Bambusfaser. Diese Fasern unterscheiden sich in ihren Trageeigenschaften nicht wesentlich von Viskosefasern, die aus anderen Holzarten gewonnen werden.
Die Herstellung von Textilien aus Bambusfasern erfolgt vorwiegend durch chemische Verfahren. Wie andere zellulosehaltige Rohstoffe, so wird auch Bambus in einem aufwendigen chemikalischen Prozess zu Viskose umgewandelt, aus der dann Garn für Stoffe hergestellt wird. Die direkte Gewinnung von Fasern aus Bambus über mechanische oder enzymatische Verfahren hingegen ist sehr selten, da sie arbeitsintensiv und zeitaufwendig ist. Der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft akzeptiert Viskose – egal, ob sie nun aus Bambus, Mais oder Holz hergestellt wurde – daher nicht als Naturfaser.
Wie fair ist Bambus?Bambus ist ein Gras und mit über 1500 Arten eine der vielseitigsten Pflanzen. Diese Sortenvielfalt ermöglicht es dem Bambus, in verschiedenen Klimazonen auf über 70 Prozent der Landfläche der Erde zu wachsen. Bambus ist extrem robust und schnellwachsend, benötigt keine Düngemittel oder zusätzliche Bewässerung und ist eine der am schnellsten erneuerbaren Ressourcen. Der überwiegende Teil des Bambus kommt aus China, wo er in der Regel noch per Hand geerntet wird. Zudem weist Bambus eine hohe CO2-Speicherkapazität auf. Aus dem Naturstoff wird allerdings ein Industrieprodukt, sobald er verarbeitet und in die Schweiz geliefert wird. Sein ökologischer Fussabdruck ist aufgrund der langen Transportwege dann oft enorm gross.
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