Wer im Jura in der Ferne eine gestreifte Katze sieht, der sollte lieber zweimal hinschauen. Denn vielleicht handelt es sich dabei um eine Wildkatze (Felis silvestris). Allerdings bekommt man die scheuen Tiere nur selten zu Gesicht. Einst war die Wildkatze im Mittelland und im Jura weit verbreitet. Bis Ende des 18. Jahrhunderts galt sie jedoch als «schädliches Raubtier», wurde entsprechend intensiv bejagt und fast ausgerottet. Seit 1962 ist die Wildkatze in der Schweiz geschützt. Seitdem wanderten vermutlich Tiere aus Frankreich ein und besiedelten das gesamte Juragebiet wieder. «Dort sind inzwischen wahrscheinlich fast alle geeigneten Reviere besetzt», berichtet Lea Maronde, Leiterin des Wildkatzenprojekts bei der Fachstelle für Raubtierökologie und Wildtiermanagement Kora. Vermutlich würden deswegen immer mehr Wildkatzen auch ins Mittelland einwandern.

Wildkatzen leben in Gebieten, in denen sie genügend Nahrung und Deckung finden. Der Jura ist hier ideal, da er dicht bewaldet und nur dünn besiedelt ist. Wildkatzen jagen primär Kleinsäuger, aber auch Vögel, Fische, Reptilien, Amphibien und Insekten. 90 Prozent der Beutetiere machen jedoch Mäuse aus, vor allem Wühlmäuse. Diese werden durch einen katzen-typischen Kehlbiss oder durch das Zerbeissen des Schädels getötet. Wildkatzen leben einzelgängerisch und treffen nur zur Paarung aufeinander. Das Streifgebiet eines Weibchens beträgt in der Regel zwei bis drei Quadratkilometer, das von Männchen zwölf Quadratkilometer.

Begegnung der Arten

«Bei ihren Streifzügen kann es passieren, dass sie auch mal auf eine Hauskatze treffen», so Lea Maronde. Während der Paarungszeit kann dies gravierende Konsequenzen haben. «Paaren sich Haus- und Wildkatzen, so bringen sie fruchtbare Nachkommen, sogenannte Hybriden, hervor.» Inwiefern eine solche Hybridisierung zum Problem werden kann, zeigt sich in Schottland. Dort haben sich Haus- und Wildkatzen so lange vermischt, bis es nur noch Hybriden gab. Die Wildkatze ist in Schottland somit genetisch ausgestorben.

Lea Maronde untersucht, ob das auch in der Schweiz passieren könnte. «Noch gehen wir davon aus, dass Hybridisierungen im Jura sehr selten sind», berichtet die Biologin. Wahrscheinlich würden sich die beiden Arten grundsätzlich meiden. «Wenn ein Männchen während der Paarungszeit jedoch kein freies Weibchen findet, dann kann es sein, dass es auch mal mit einer rolligen Hauskatze vorliebnimmt», so Maronde. Um die Konsequenzen der Hybridisierung zwischen Haus- und Wildkatze in der Schweiz zu untersuchen, hat die Biologin am Gebiet Bucheggberg (SO/BE) Wildkatzen, Hybriden und Hauskatzen untersucht. «Hier kommen tatsächlich mehr Hybriden vor als reine Wildkatzen», berichtet die Biologin.

Anhand des individuellen Fellmusters können Wildkatzen auf Fotos eindeutig identifiziert werden.
Anhand des individuellen Fellmusters können Wildkatzen auf Fotos eindeutig identifiziert werden.  (Bild: Shutterstock)

Für die entsprechende genetische Analyse sammelte Maronde Haarproben. Sie nutzte eine uralte Vorliebe aller Katzen: Baldrian. Diesen gab sie auf sogenannte Lockstäbe, Holzstäbe, die vertikal in den Boden gesteckt und mit der stark riechenden Substanz eingesprüht wurden. Die Katzen werden davon fast magisch angezogen und reiben sich an den Stöcken, wobei einige Haare kleben bleiben. In der Nähe angebrachte Kamerafallen machen ein Foto der angelockten Katze, und anhand des Fellmusters lässt sich das Individuum identifizieren. So weiss Maronde genau, welche Haare zu welcher Katze gehören, und somit auch, wie das genetische Profil des jeweiligen Tieres aussieht und ob es sich dabei um eine reine Wildkatze oder einen Hybriden handelt. Insgesamt kommen im Gebiet Bucheggberg etwa dreimal so viele Hybriden wie Wildkatzen vor. «Eine meiner Fragen ist nun, ob sich Hybriden eher mit Hauskatzen verpaaren als Wildkatzen oder andersrum», erklärt Maronde. Zudem will sie das Verhalten von Wildkatzen und Hybriden miteinander vergleichen.

Ein Halsband für die Wissenschaft

Dafür rüstet Lea Maronde einzelne Tiere mit GPS-Senderhalsbändern aus, die das Bewegungsmuster der Katzen aufzeichnen. «Bisher sieht es so aus, als würden sich Hybriden eher wie Wildkatzen verhalten», berichtet Maronde von den ersten Resultaten ihrer Studie. Ob das auch für andere Regionen gilt, wird sich zeigen. «Im Jura treffen Wildkatzen seltener auf Hauskatzen. Im Mittelland und den Voralpen könnte es aber häufiger vorkommen», erklärt Maronde. Diese Regionen sind dichter besiedelt und ein Zusammentreffen von Haus- und Wildkatzen so wahrscheinlicher.

Der Schwanz von Hauskatzen ist oft dünner und spitz zulaufend, die Fellzeichnung deutlicher und der Aalstrich reicht, wenn überhaupt vorhanden, bis zur Schwanzspitze.
Der Schwanz von Hauskatzen ist oft dünner und spitz zulaufend, die Fellzeichnung deutlicher und der Aalstrich reicht, wenn überhaupt vorhanden, bis zur Schwanzspitze.  (Bild: Shutterstock)

Trotzdem wird es eher sporadisch vorkommen, dass ein zahmer Freigänger auf eine Wildkatze trifft. «Hauskatzen gehen selten weit genug in den Wald», erklärt Maronde. Sie geht davon aus, dass es primär halbwilde Katzen von abgelegenen Bauernhöfen sind, die zu Hybridisierung führen können. Verhindern lässt sich dies kaum. «Eine allgemeine Kastrationspflicht für Hauskatzen wäre zwar wünschenswert, aber ist derzeit nicht durchsetzbar. Eine Chippflicht würde allerdings schon helfen.» Denn dann könnten Tierschutzorganisationen zumindest ungechipte und damit offizielle, besitzerlose Fundkatzen kastrieren lassen. Dies würde nicht nur eine Hybridisierung mit der Wildkatze reduzieren, sondern natürlich auch die ungewollte Vermehrung halbwilder Hauskatzen eindämmen.

Haus- oder WildkatzeWildkatzen lassen sich anhand einiger Merkmale recht zuverlässig von Hauskatzen unterscheiden. Treffen die Merkmale auf eine gesichtete Katze zu, dann handelt es sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit um eine Wildkatze:

Schwarze, deutlich abgegrenzte Schwanzringe
Dicker, buschiger Schwanz mit schwarzer Endquaste
4 bis 5 Nackenstreifen
2 Streifen auf den Schultern
Verwaschene Fellzeichnung
Schwarzer Strich (Aalstrich) vom Nacken bis zum Schwanzansatz
Der Schwanz von Hauskatzen ist oft dünner und spitz zulaufend, die Fellzeichnung deutlicher und der Aalstrich reicht, wenn überhaupt vorhanden, bis zur Schwanzspitze.

Kätzchen im Wald

Junge Wildkatzen lassen sich von Hauskatzenjungen sehr schwer unterscheiden. Umso skeptischer sollte man sein, wenn man im Wald auf scheinbar verwaiste Katzenwelpen trifft. Denn die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass es sich dabei nicht um Haus-, sondern um Wildkatzen handelt und die Mutter ganz in der Nähe ist. Trifft man in abgelegenen Waldstücken also auf Kitten, so sollte man diese auf jeden Fall vor Ort belassen. Im Zweifelsfall und bei verletzten Tieren ist der lokale Wildhüter zu informieren. Die entsprechende Nummer erhält man über die Dienststelle der regionalen Polizei.