Es ist Sommerzeit, ein Gefühl von Ferien liegt in der Luft. Geniessen lassen sich die langen, sonnigen Tage besonders ohne lange Anreisezeiten und Warterei auf Flughäfen. Die Welt beginnt nicht Tausende Kilometer entfernt, sondern vor der eigenen Haustüre. Zum Beispiel im Aargau. Fesselnde Naturerlebnisse, paradiesische Gärten und ein Hauch von Geschichte liegen ganz in der Nähe.

So etwa beim Wasserschloss Hallwyl. Glasklares Wasser des Aabachs umfliesst Rundtürme und Mauern. Egli oder Flussbarsche huschen über den lehmigen Grund, fächeln in Mulden oder lassen sich treiben. Von den Schlossmauern rufen Dohlen mit ihren kehligen Lauten «kja, kja, kjack!», flattern in die Platanen, die Partner turteln zusammen, sträuben die Federn, scheinen sich immer etwas zu erzählen zu haben.

Sie leben in Dauerehe und haben sich die Mauern des Schlosses als Wohn- und Brutstätte ausgesucht. Die kleinen Rabenvögel scheinen hier schon sehr lange gut zu leben. Das Gemäuer bietet Scharten, die von den intelligenten Höhlenbrütern als Schlaf- und Brutstätten genutzt werden. Die Kolonie beim Schloss Hallwyl galt mit etwa 220 Vögeln als die grösste der Schweiz – bis 2006 an einem Tag die Hälfte an einer Vergiftung starb. Der Bestand liegt heute wieder bei 110 Dohlen.

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Vermutlich riefen sie auch schon um 1688 «kja, kja», als Johannes von Hallwyl geboren wurde. Ob er besonders von ihnen fasziniert war, ist nicht überliefert, doch schien erimmerhin eine Affinität für Vögel entwickelt zu haben. Er stand in fremden Kriegsdiensten. So kommandierte er eine Schweizer Kompanie auf Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, erwarb dort Plantagen und kehrte 1736 nach Hallwyl zurück – unter anderem mit einer «Papagaykräze» und einem grauen Papagei, der sprechen lernte. Er verstarb 1753. Seine aussergewöhnliche Geschichte ist im Schloss Hallwyl dokumentiert.

Vom 800-jährigen Schloss zum See ist es nicht weit, und gleich da liegt auch das Naturschutzgebiet. Am Weg zieht ein Storchenpaar hoch in einer Astgabelung eines abgestorbenen Baumes drei Junge auf.

Der Tisch für sie ist gedeckt, denn Wasserfrösche quaken aus dem Schilf und übertönen zeitweise den stetigplaudernden Teichrohrsänger. Smaragdgrün schillert das Wasser, Seerosen blühen in der schilfbestandenen Bucht, weisse Schwäne ziehen ihre Runden. An Deck des kleinen Kursschiffs kommt Tropenstimmung auf, denn die Wand aus dunklem Grün der Uferbäume wirkt wie ein Galeriewald am Urwaldfluss. Eine gute Einstimmung auf die anschliessende Vogelsafari.

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In der Auenlandschaft

Was wäre eine Ferienreise ohne Exkursion und Pirsch nach seltenen Vögeln und Pflanzen? Wenige Kilometer vom Hallwilersee entfernt, gleich östlich, auf der anderen Seite des Hügels, liegt ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung, der etwa 1,4 Kilometerlange Flachsee. Nach dem Hallwilersee handelt es sich um den zweitgrössten See im Kanton Aargau, der sich 1975 durch Sedimenteintrag aus einem aufgestauten Teil der Reuss bildete.

Josef Fischer streift seit 31 Jahren durch dieses Gebiet. Der Biologe mit grauen Haaren, von der Sonne gebräuntem Gesicht und Armen, geschultertem Stativ und um den Hals baumelndem Feldstecher geht in strammen Schritten am rechten Ufer dem Gewässer bei Unterlunkhofen entlang. Er ist Geschäftsführer der Stiftung Reusstal, führt Schulklassen und Gruppen um den Flachsee und weist auf besondere Pflanzen und Vögel hin.

Die Mönchsgrasmücke singt, während der Naturkundige auf das Mädesüss am Wegesrand hinweist. «Ein Rosengewächs, das Salicylsäure enthält», erklärt er und sagt, dass diese Säure die Grundlage für das Medikament Aspirin bilde. Die Pflanze wächst bevorzugt auf sumpfigem Grund, ebenso wie die Silberweide. «Das ist typisches Pioniergehölz», weiss Fischer zum markanten Baum. Die silbernen Blattunterseitenverbreiten mediterranes Flair. Das sei ein Schutz, wenn das Wasser Licht reflektiere, erklärt Fischer. «Diese Bäume können mehrere Wochen im Nass stehen und sind darum bestens an den Auenwald angepasst.» Der schwankende Wasserspiegel beeinflusse diesen Waldtyp stark.

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Plötzlich werden Fischers Ausführungen von resolutem «Schak-schak» unterbrochen. «Eine Wacholderdrossel!», ruft er begeistert und zeigt auf einen amselgrossen Vogel mit rötlichen Schwingen, gräulichem Kopf und braun gesprenkelter, weisslicher Brust. Während ein Artgenosse ins Gras geflogen ist, bleibt der Ruffreudige gut sichtbar im Geäst einer absterbenden Esche sitzen. Weitere Kumpane machen sich aus umliegenden Laubkronen bemerkbar.

«Diese Art brütet kolonieweise in der Kronenschicht», erklärt der Biologe. Schmunzelnd erzählt er weiter: «Taucht ein Greifvogel auf, fliegen ihn die Wacholderdrosseln an, alle machen dabei ihre Losung parat und entleeren sich über ihm.» Er habe schon beobachtet, dass Greifvögel nachher eine Zeitlang flugunfähig waren. Ein effektives Verhalten, das der Kolonie das Überleben sichert. «Die Wacholderdrossel ruft sogar im Flug, das können nicht alle Vögel.» Sie sei merkwürdigerweise erst ab den 1930er-Jahren in die Schweiz eingewandert und habe sich seither hier angesiedelt. «Ursprünglich war die Art in Sibirien verbreitet, wieso sie expandiert, ist nicht bekannt.» Auch hier: die weite Welt im Kanton Aargau.

Afrika am Flachsee

Wenig später biegt Josef Fischer vom Kiesweg ab, sticht in einen Unterstand, blickt durch eine Scharte – und gerät in grosse Aufregung. «Der Eisvogel!», ruft er. Vor den Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmern blitzt etwas schillernd Blaues auf, das über die Wasseroberfläche schwirrt. Das fliegende Juwel. So wird der Eisvogel auch genannt. Jetzt sitzt das Vögelchen kurz auf einem Zaunpfosten, bevor es davon flitzt und im Schilfgürtel untertaucht.

Manchmal könne man es dabei beobachten, wie es kopfvoran ins Wasser platsche und mit einem Fisch davonfliege, sagt Fischer. Die Zäune im Wasser seien wegen den Wasserbüffeln aufgestellt worden, die hier erfolgreich zur Beweidung des Sumpfes eingesetzt würden. Sie halten auf natürliche Weise die Wasserflächen frei.

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Ein schneeweisser Seidenreiher mit dunklen Beinen stelzt in Zeitlupe durch das seichte Wasser, als plötzlich eine Zwergdommel fliegend auftaucht. «Ein solch seltener Vogel!», ruft Fischer voller Freude und setzt nach: «Er verbringt den Winter im tropischen Afrika und ruft heiser wie ein Hund.» Die Rarität lässt sich ins Schilf fallen, wo ihre Konturen mit den sich sanft wiegenden Halmen verschwimmen.

Weiter unten am Flachsee stochern Kiebitze im Schlick. Die schmucken Vögel mit Holle, einem Federschopf am Kopf, sind im Juni in der Mauser. Josef Fischer sagt: «Zwei Paarezogen hier ihre Jungen auf.» Der bodenbrütende Kiebitz hat nur noch wenige Chancen zur Brut. Darum ist die Art selten geworden. Hinter einer Insel voller Blutweiderich ruhen Kormorane auf den Ästen eines umgefallenen, abgestorbenen Baums. Immer wiederhallen die markanten Rufe von Graugänsen über die afrikanisch anmutende Auenlandschaft.

Ein Haubentaucherpaar zieht entlang eines Schilfgürtels. Der zweite Vogel fungiert als Dampfschiff, hat er doch die wie Zebras gestreiften Jungen auf den Rücken gepackt. «Ein Schutz vor Hechten, die im Wasser lauern», erklärt Josef Fischer.

Reiherenten und schwirrende Blaupfeile, eine Libellenart, ergänzen die friedliche Szenerie auf der Aargau-Safari. Eine Mittelmeermöwe, ebenfalls erst seit einigen Jahren in der Schweiz zu beobachten, füttert ihren bereits gleich grossen Jungvogel auf einer Sandbank. Weiter reussabwärts liegt die in der Mitte des 13. Jahrhunderts gegründete Stadt Bremgarten im Aargau. Damals war das Morastgebiet entlang der Reuss gross, es galt als lebensfeindlich. Kaum jemandem wäre es eingefallen, dort zur Freude herumzustreifen.

Die Stadtbewohner machten sich das Wasser der Reuss schon bald zunutze, indem sie Streichwehranlagen bauten. Das heisst, dass das Wasser mit Dämmen entlang der Häuserzeilen geleitet wurde. Die Reuss führt insbesondere im Winter sehr wenig Wasser. Dies galt es zu nutzen – für Mühlen, Sägewerke und später für Elektrizitätswerke. Beim Museum Reusskraftwerk Bremgarten ermöglicht eine Fischtreppe Fischen, die Höhe zu überwinden, sodass auch sie ziehen können.

Der Tag hat mit dem Besuch des Wasserschlosses historisch begonnen, warum ihn nun nach geglückter Vogelexkursion nicht mit einem geschichtsträchtigen Gartengenuss ausklingen lassen? Nach Wettingen zur Klosterhalbinsel ist es von Bremgarten nicht weit.

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Erbe historischer Gartenkultur

Baden und Wettingen liegen aneinandergefügt entlang der Limmat, geschäftiges Treiben und starker Verkehr prägen die Orte, doch um das 1227 entstandene Kloster weht ein Wind des Friedens und der Ruhe. Ein besonderer Zauber liegt dem Kreuzgang inne. Wasser plätschert im Rundbecken, eine alte Eibe wuchert als Baum der Unendlichkeit und Rosen blühen als Zeichen von Harmonie, so wie vor Hunderten von Jahren, als der Zugang nur den Zisterzienser-Mönchen vorbehalten war, die ihr Paradies zur Rekreation aufsuchten.

Ausserhalb zieht sich ein terrassierter Garten von der Limmat bis zum Kloster. Renaturierte Flusslandschaft, eine Platanenallee von 1830 mit Grotte, der Nutzpflanzen- und Staudengarten, Reben am Hang und zuoberst der Klosterpark mit altem, Schatten spendendem Baumbestand vermitteln Jahrhunderte alte Gartenkultur.

Es muss den Zisterziensern wie die Vertreibung aus dem Paradies vorgekommen sein, als sie 1841 durch staatliche Verfügung das Kloster verlassen mussten. Heute aber bleibt einem die Musse, um in Frieden auf einem Bänkli inmitten von Blumen im Schatten uralter Bäume über das Gesehene zu resümieren. So können die Gedanken nochmals vom Kiebitz bis zum Wasserschloss streifen.

Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 14/2022 vom 14. Juli 2022 und  entstand in Kooperation mit aargautourismus.ch.