Seit vorgeschichtlicher Zeit werde Wasser aus Thermal- und Mineralquellen als vorbeugendes, reinigendes und heilendes Element verwendet, heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz (HLS). Eine eigentliche Badekultur breitete sich auf dem Gebiet der Schweiz aber erst unter der Herrschaft der Römer aus, die 15 vor Christus Helvetien erobert hatten. Mehr oder weniger nahe an ihrer Hauptstadt Aventicum (Avenches) und an ihrem Militärlager Vindonissa im aargauischen Windisch entstanden im ersten Jahrhundert nach Christus in Yverdon-les-Bains und in Baden Thermen.

Im Marinestützpunkt Eburodunum, wie die Römer den Ort in der Nähe des Neuenburger Sees nannten, nutzten sie Schwefelquellen für religiöse Handlungen. Sie versorgten damit auch nahe gelegene Thermalbäder des Dorfes, die aber erst 1912 ausgegraben wurden. Nach dem Rückzug der Römer gab man eine Quelle nach der anderen auf. Erst im 18. Jahrhundert besann sich Yverdon-les-Bains wieder auf das heilende Wasser.

Mit grösster Wahrscheinlichkeit ununterbrochen das ganze Mittelalter hindurch benutzt wurden dagegen die Thermen von Baden. Die Kleinstadt im Aargau ist die älteste Bäderstadt des Landes, gegründet von den Römern als «Aquae Helveticae» und gebaut von 14 bis 56 nach Christus. Die Legionäre von Vindonissa fassten die erste Quelle, den Heissen Stein, und tauchten offenbar gerne ins 47 Grad heisse Wasser mit dem hohen Mineralgehalt ein.

Exklusive Sprudelbäder

Der römische Geschichtsschreiber Tacitus erwähnt in seinem Werk «Historiae» einen «seiner heilsamen Wasser wegen viel besuchten Badeort». Dies allerdings in Zusammenhang mit seiner Zerstörung: 69 nach Christus brannten Mitglieder der 21. Legion die aus Holzbauten bestehende Siedlung neben dem Bäderquartier nieder. Sie wurde in Stein wieder aufgebaut. Und trotz der Aufgabe von Vindonissa als Militärlager im Jahr 101 herrschte ein reger Badebetrieb bis ins 5. Jahrhundert, wie die vielen gefundenen Münzen nahelegen.

Auch der im frühen 11. Jahrhundert erwähnte Name «ze Badun», bei den Bädern, zeugt von der Nutzung der Quellen. Archäologischen Funden zufolge wurden aber nicht nur die heruntergekommenen antiken Becken saniert, sondern für Gemeinschaftsbecken ausserdem mehrere Thermalquellen neu gefasst und mit Pavillons überbaut. In Becken, die sich direkt über der Quellfassung befanden, schwoll das Wasser nonstop und ergab mit den aufsteigenden Gasblasen die Sensation eines Sprudelbads, wie Archäologin Andrea Schaer im Blog des Nationalmuseums schreibt.

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Diese Kesselbäder, wie sie die Bevölkerung nannte, seien unzweifelhaft die exklusivsten aller Badeeinrichtungen gewesen. Sie trugen dazu bei, dass Baden einer der wichtigsten Kurorte im Land war. Im Zuge neuer Hygienevorstellungen war es ab dem 15. Jahrhundert in ganz Europa en vogue, regelmässig Badehäuser zu besuchen. Davon profitierten auch andere damals bekannte Thermen wie St. Moritz Bad, Leukerbad oder Bad Pfäfers im St. Galler Rheintal sowie neue Stationen, darunter Gurnigelbad oder Gontenbad.

Politbetrieb in den Bädern

Herbergsbetriebe entstanden, immer die ständische Ordnung wahrend. Während das einfache Volk mit Gasthäusern mit öffentlichen Bädern, aber ohne Verpflegung und Bettzeug vorliebnehmen musste, stiegen die hohen Herren und Damen in herrschaftlichen Villen mit eigenen Quellen und Privatbädern ab. Die Bäder schliesslich dienten nicht nur der Kur, sondern waren auch Orte der Geselligkeit und nicht selten der Prostitution.

Das Angebot an Unterkünften und Vergnügungen führte dazu, dass Baden auch als Versammlungsort gefragt war. Nachdem die Eidgenossen 1415 den Aargau eroberten, reisten die Abgesandten der Acht Alten Orte bis 1713 regelmässig zu ihren Tagsatzungen an, und 1714 fand nach dem Spanischen Erbfolgekrieg hier der Friedenskongress statt. In Schinznach Bad AG, dessen schwefelhaltige Quellen in den 1650er-Jahren zufällig entdeckt wurden, versammelte sich von 1761 bis 1779 die Helvetische Gesellschaft.

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Der Erfolg der Thermen war ein ständiges Auf und Ab, auf jede Blüte folgte ein Abschwung. «Die Angst vor Syphilis, die sich angeblich besonders beim freien Leben in den Badstuben ausbreitete, setzte dem frohen Treiben zu», schreibt das HLS. Auch Sittendiskussionen und die Prüderie nach der Reformation dämpften die Freude an sprudelnden Quellen. Zürich versuchte es im 16. und 17. Jahrhundert mit Verboten der beliebten Badenfahrt, hob sie aber nach kurzer Zeit wieder auf.

Die heissen Quellen des Aargaus
Kein anderer Kanton verfügt über so viele grosse Thermal- und Wellnessbäder wie der Wasserkanton Aargau. In Baden lockt seit einem Jahr die Wellnesstherme «Fortyseven», in Anlehnung an das 47 Grad heisse, mineralreiche Wasser. Sie verfügt über eine vielfältige Saunalandschaft sowie fünf Innen- und drei Aussenpools mit Blick auf die andere Seite der Limmat nach Ennetbaden. Auf beiden Seiten des Flusses hat der Verein «Bagni Popolari» das Thermalwasser zurück an die Öffentlichkeit gebracht: Wer mag, kann unentgeltlich in eines der Becken steigen und sich bei Schmuddelwetter im Wasser von 37 bis 39 Grad wärmen.

Die Badener Bädertradition geht auf die Römer zurück. In Schinznach Bad entdeckte man die Quelle in den 1650er-Jahren zufällig. Als sich die Aare nach einer Überschwemmung zurückzog, sprudelte heisses, streng riechendes Wasser aus dem Boden. Es handelt sich um die schweizweit stärkste Schwefelquelle, die bald genutzt wurde und heute drei Bäder speist. Das Freizeitbad Aquarena Fun hat Innen- und Aussenbecken mit Massagedüsen, Fluss- und Sprudelbad, Grottenrutsche und Wasserfalldusche. Das 2011 eröffnete Thermi Spa ist eine exklusive Wellnessoase. In der Reha-Klinik Im Park schliesslich werden akute und chronische Erkrankungen am Bewegungsapparat sowie neurologische Beschwerden therapiert.

Von der wundersamen Wirkung des salzhaltigen Wassers bei Rheinfelden wurde bereits 1644 berichtet. Genau 200 Jahre später erhielt ein Wirt die erste staatliche Konzession zum Bezug der geförderten Natur- und Ursole für zwei Badewannen. 1882 eröffnete das «Grand Hôtel des Salines au Parc», aus dem das «Park-Hotel am Rhein» hervorging. Das Wasser des Thermalbads und des Wellnessbereichs «sole uno» wird in der Saline Rheinfelden-Riburg gefördert, über eine Pipeline dorthin geleitet und dann auf 33 bis 36 Grad erwärmt. Wer in das Intensiv-Solebecken eintaucht, fühlt sich wie im Meer: Es hat zwölf Prozent Salzgehalt. Das Wasser wirkt entspannend, regt den Kreislauf an, entlastet bei der Reha die Gelenke und hilft bei Hautproblemen.

Salz steht ebenfalls im Zentrum der Therme im knapp 46 Kilometer östlich rheinaufwärts gelegenen Bad Zurzach. Als eine Sodafabrik 1914 auf der Suche nach Salz Sondierbohrungen durchführte, sprudelte aus dem Bohrloch plötzlich und auf eigenen Druck 39,9 Grad warmes Wasser. Daran nicht interessiert, schloss man das Loch wieder. Doch eine Analyse des Wassers förderte zutage, dass es sich um ausgezeichnetes Heilwasser handelte. In den 1950er-Jahren begann die Thermalquellen AG, die 14 Wannen der ersten Badebaracke mit dem Wasser der Glaubersalz-Quelle zu speisen. Es enthält viele zusätzliche Mineralstoffe und lindert Rheuma-, Wirbelsäule- und Gelenksbeschwerden. Bad Zurzach hat zwar eine der jüngsten Thermen der Schweiz, mit neun Becken ist sie die grösste im Land.

Wirksam gegen Kinderlosigkeit

Dies, weil die Attraktion der Thermen zu gross war – vor allem für Frauen, die sich erhofften, hier in Abwesenheit ihrer Ehemänner vom Makel der Kinderlosigkeit zu befreien. Doch dürfte mehr der Liebhaber auf Zeit, der Kurschatten, seinen Beitrag zum Ruf Badens als fruchtbarkeitsförderndes Heilbad geleistet haben, schreibt Andrea Schaer, die während des Badener Bäderneubaus die archäologischen Untersuchungen leitete, in der Zeitschrift «Wege und Geschichte».

Für viele Frauen der Oberschicht seien die mehr- wöchigen Kuren lange Zeit die einzige Möglichkeit gewesen, ohne männliche Begleitung zu reisen. Manch eine kam tatsächlich zum ersehnten Nachwuchs. Und im Gegensatz zum reformierten Zürich durften sie im katholischen Baden ihren opulenten Schmuck und ihre neueste Garderobe zeigen. Bis weit ins 19. Jahrhundert liessen sich gemäss Schaer viele feine Damen die jährliche Badenfahrt deshalb im Ehevertrag garantieren.

Das 19. und frühe 20. Jahrhundert standen ganz im Zeichen florierender Thermen. 350 Heilquellen sollen damals in Betrieb gewesen sein. Sie profitierten vom in Europa aufgekommenen Luxustourismus, von der neu entwickelten Bäderheilkunde, der Balneologie, und von wissenschaftlichen Abhandlungen über die Wirksamkeit von Wasser gegen akute und chronische Gebrechen. Feinere Analysemethoden liessen zielgerichtete Therapien für die jeweiligen Krankheiten zu.

Die Kurorte boten eigens Behandlungen an für Schwäche, nervöse Störungen, Rheuma, Herz- und Nervenleiden, Blutarmut oder Hautausschläge. Auf den Programmen standen etwa Dampf-, Schlamm- und Inhalationsbäder oder Trink- und Molkekuren. Für letztere reisten Lungenkranke aus dem In- und Ausland ins appenzellische Gais, seitdem ein Patient 1749 dort nach dem Trinken von Ziegenmolke gesund wurde.

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Dank neuen Schweizer Eisenbahnlinien – die erste verband seit 1847 Zürich und Baden miteinander – war die Anreise einfacher. Mit der Eröffnung der Strecke nach Davos verlor ab 1890 die Reise in die Berge ihren Schrecken. In der Höhe, fand der deutsche Arzt Alexander Spengler heraus, geht es Tuberkulosekranken besser. Seit er 1865 einen Landsmann von der gefürchteten Lungenkrankheit heilte, war Davos berühmt für seine Klimatherapie.

Die Patienten verbrachten viele Stunden liegend im Freien oder in offenen Hallen. Dem Davoser Zauberberg setzte Thomas Mann 1924 ein literarisches Denkmal. Das Dorf im Prättigau war aber nicht der einzige erfolgreiche Luftkurort. In Kaltbad auf der Rigi, wo im 16. Jahrhundert Barthli Joler nach einem Bad in der fünf Grad kalten Quelle gesund wurde, entstand ab 1868 ein Nobelhotel, wo sich Lungenkranke kurierten. Andere Gäste tranken literweise heisse Alpenmilch, die als besonders gesund galt.

Vorreiter der grossen Hotellerie

Badekuren dauerten wochen- oder monatelang. «Sie mussten immer auch Erholung sein», heisst es im HLS. Denn man erkannte, dass viele Krankheiten von Überarbeitung oder der falschen Lebensweise in den Städten herrührten. Leisten konnte sich dies freilich nur die Oberschicht. Doch die reiste in Scharen in die Schweizer Kurorte, auch angelockt von prunkvollen Grand Hotels im opulenten Stil der Belle Époque. Sie verfügten über Lifte, elektrisches Licht und Zentralheizungen.

Die Bäder waren wichtige Schrittmacher des Hotelkomforts. Orte wie Yverdon, Bad Ragaz, Schinznach Bad oder Vals legten vor 120 Jahren den Grundstein für den heutigen Wellness-Tourismus. Auch für die Zerstreuung der Gäste war gesorgt. Sie lustwandelten im Kurpark oder auf Promenaden. Damensalons, Fumoirs oder eigene Orchester gehörten zur Ausstattung eines jeden Kurorts, der etwas auf sich hielt.

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Dann aber beendete 1914 der Erste Weltkrieg die Blütezeit der Thermen abrupt. Die noblen Orte versanken in einen Tiefschlaf. Einige begannen in den 1920er-Jahren, die heruntergekommenen Anlagen zu modernisieren – und dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Davon erholten sich viele kleine und einfachere Bäder, die vor allem für die breite Bevölkerung eine wichtige Rolle gespielt hatten, nicht mehr. Sie verschwanden von der Landkarte, nachdem sich in der Nachkriegszeit das Baden immer mehr zum Freizeitvergnügen und das Schwimmen zum Sport entwickelte.

Die medizinische Kur und die postoperative Reha traten an ihre Stelle. «Unter diesen Vorzeichen konnten sich einige traditionellen Bäder mit besonderer Wirkung wieder entfalten und andere neu beginnen», so das HLS. 1955 wurde die Thermalquelle Zurzach gebohrt, ein Jahr später die Therme von Bad Ragaz wieder eröffnet und später modernisiert. Die Therme Vals befindet sich in Gebäuden aus den 1960er-Jahren. Später erlebte Yverdon-les-Bains einen anhaltenden Aufschwung und Rheinfelden wurde ein Kurzentrum.

In Baden eröffnete 1964 das damals grösste Thermalhallenbad der Schweiz. Aber die älteste Bäderstadt des Landes verschlief den Wellnesstrend und fiel hinter ihre innerkantonale Konkurrenz in Rheinfelden, Schinznach Bad und Bad Zurzach. Vor einem Jahr schaffte es auch Baden, mit der Eröffnung der neuen, von Stararchitekt Mario Botta gebauten Wellnesstherme «Fortyseven» sein altmodisches Image abzustreifen. Die Quellen, die immer sprudelten, zeigen wieder ihre Wirkung.

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