Wie übermütige Teenager, die gerade Schabernack getrieben haben, kommen die zwei Trampeltiere um die Ecke gelaufen. «Wahrscheinlich haben sie wieder eine unserer älteren Damen geärgert», erklärt Ulli Runge. «Die beiden Halbstarken testen momentan gerne ihre Grenzen aus.» Seit 2008 betreibt der gebürtige Deutsche mit seiner Partnerin den Kamelhof im Thurgau. Auf ihrem Olmerswiler Hof sind alle drei Varianten der Grosskamele zu finden: das Trampeltier (zwei Höcker), das Dromedar (ein Höcker) und ein Mischling, ein sogenanntes Tulu. Ulli Runge ist Tierpfleger mit mehr als 25 Jahren Kamelerfahrung. Nach seiner Ausbildung in Deutschland war er für verschiedene Zoos tätig und betreute dort vor allem Grosskamele und Giraffen.

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Inzwischen gilt er europaweit als Ansprechpartner für alle Kamelfragen und trainiert neben der Arbeit auf dem Kamelhof auch erfolgreich externe Kamele. «In der Schweiz ist eine Haltebewilligung für Kamele vorgeschrieben, was ich sehr befürworte, da falsche Haltung für die eigentlich recht robusten Tiere fatale Folgen haben kann.» Das weiss man auf dem Kamelhof aus erster Hand, denn der Hof dient auch als Altersresidenz beziehungsweise Gnadenhof für ältere oder kranke Kamele. Hier finden sie einen artgerechten und würdigen Lebensabend auf schönen Weiden mit viel Auslauf und erhalten die nötige fachgerechte Pflege.

Familienmitglieder mit Höcker

So bekam beispielsweise Sambal, der unter starker Gelenksarthrose litt, die wohl weltweit erste Orthese für ein Kamel. Diese bescherte ihm noch zwei weitere glückliche Lebensjahre in der Herde. «Ende 2022 hat sich sein Zustand leider plötzlich so verschlimmert, dass wir ihn erlösen mussten», berichtet Runge immer noch etwas bedrückt. «Wenn wir uns von einem Tier verabschieden müssen, ist das immer sehr traurig. Sie gehören einfach zur Familie.» Es überwiege jedoch das gute Gefühl, da man schon so vielen Kamelen geholfen habe. Da gab es zum Beispiel noch Baikal, die man aus einem winzigen, dunklen Verschlag mit einer ebenso winzigen «Aussenanlage» retten konnte.

Oder Shimi, der als 6-jähriger Hengst etwa so gross wie sonst ein 1,5-jähriges Jungtier war und viel zu wenig Gewicht auf die Waage brachte. Beiden konnte durch die grossen Bemühungen des Kamelhofes geholfen werden.«Obwohl Kamele sehr extreme Lebensbedingungen gewohnt sind, ist ihre Haltung in Europa anspruchsvoller, als es die meisten Laien erwarten. Ihre Bedürfnisse unterscheiden sich stark von denen anderer grosser Pflanzenfresser, die üblicherweise in der Schweiz gehalten werden», erklärt Runge. Sie bräuchten als Nahrung Heu, Gras und vor allem aber Äste. Ältere Kamele, die nicht mehr alle Zähne hätten, würden zusätzlich noch mit extra weichem Spezialfutter versorgt.

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Kamele erfreuen sich grosser Beliebtheit. In Europa sind sie zwar als Nutztiere bisher eher unwichtig, aber weltweit spielen sie eine grosse Rolle. Vor allem im arabischen Raum werden sie viel als Milchlieferanten und Arbeitstiere eingesetzt. Hierzulande werden Kamele nach wie vor eher selten als Nutz- oder auch Haustiere gehalten. «Auch in der Schweiz, welche die Kamelhaltung europaweit am strengsten regelt, hat der Kamelbestand in den letzten Jahren stark zugenommen», berichtet Ulli Rungewenig erstaunt. «Kamele sind einfach sympathische Tiere. Jedes hat seine eigene Persönlichkeit und Charakter. Sie können dickköpfig und stur sein, aber genau so gerne kuscheln sie auch», erklärt uns der Kamelexperte, während eins der Tiere vertrauensvoll seinen Kopf in Ulli Runges Arme legt.

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Dieser Schmuser ist sicher kein Wildtier. Vorsicht ist aber trotzdem geboten, denn im Eifer des Gefechts können die massigen Tiere Ungeübte schnell mal über den Haufen rennen. Doch wir hätten recht: «Sämtliche Kamele in Zoos, Zirkussen und Privathaltung, aber auch in allen Wüstengebieten der Welt sind domestizierte Nutztiere. Einzig das zweihöckrige Wildkamel oder Khavtgai (camelus ferus) ist eine echte Wildform unter den Gross- bzw. Altweltkamelen.

Von ihnen wird derzeit kein einziges Exemplar in einem Zoo oder sonst in menschlicher Obhut gehalten. Und im Gegensatz zu 17 Millionen Dromedaren und zwei Millionen Trampeltieren wird der Bestand an Wildkamelen auf höchstens 900 Tiere weltweit geschätzt. Damit zählt das Wildkamel zu einer der am stärksten bedrohten Grosstierarten. Um ihr Überleben ist es nicht gut gestellt.

Da geht es den Tieren bei Ulli und Karin bedeutend besser. Genüsslich grasen die Trampeltiere auf der weitläufigen Weide und warten darauf, zum nächsten Ausflug abgeholt zu werden. Über die Zeit hat sich der Kamelhof nämlich zu einem beliebten Ausflugsziel für Familien entwickelt und bietet verschiedene Aktivitäten an, unter anderem Kamelreiten oder halbtägige Trekkings mit Kamelen und Lamas. Zudem gehören Führungen auf dem Hof, Vorträge und Auftritte an Festen zum Standardangebot. Wer also ein bisschen Exotik mitten im Thurgau erleben möchte und mehr über die höckrigen Trampelfüssler erfahren will, ist auf dem Kamelhof genau an der richtigen Adresse.