Über vierzehn Alpenpässe
In schwindelerregenden Höhen auf der Via Alpina
Man muss nicht unbedingt in die Ferne reisen, um etwas Aussergewöhnliches zu erleben. Wie wäre es zum Beispiel diesen Sommer einmal zu Fuss quer durch die Schweiz zu wandern. Inklusive vierzehn schweisstreibenden Alpenpässen in sieben Kantonen.
Die Via Alpina ist ein Weitwanderwegnetz, das die acht Alpenstaaten Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Slowenien, Italien, Monaco, Frankreich und Deutschland miteinander verbindet. Fünf verschiedene Routen, nach Farben benannt, führen über 5000 Kilometer durch die spektakuläre Bergwelt der Alpen. Der rote Weg ist mit 2540 Kilometern dabei die längste Wanderung und führt als einzige durch alle acht Länder.
Wer es etwas gemütlicher angehen will, für den bieten sich kürzere Strecken auf der Via Alpina an. Der Grüne Weg, in der Schweiz auch als nationale Route 1 bekannt, ist je nach Kondition in etwa drei Wochen zu schaffen und eignet sich somit für abenteuerliche Sommerferien. Wanderlustige können dabei auf 380 Kilometern den Wegweisern von Vaduz in Liechtenstein bis nach Montreux an den Genfersee folgen, einmal quer durch die Schweizer Alpen.
Wer sich auf die Via Alpina einlässt, muss sich bewusst sein, dass enorm viele Höhenmeter überwunden werden müssen. Wo es einen Berg hinaufgeht, geht es garantiert auf der anderen Seite wieder steil herunter. Manchmal mehrmals am Tag. Um es in Zahlen auszudrücken: 23'600 Höhenmeter Aufstieg gilt es auf der Strecke zu bewältigen, 24'800 Höhenmeter geht es hinunter. Zwar können Wanderer an touristisch zugänglichen Orten Seilbahnen nutzen, um Höhenmeter einzusparen, doch viele der Pässe sind abgelegen und nur zu Fuss erreichbar. Dia Via Alpina ist eine Mischung aus einsamen Wegen und touristischen Hotspots.
Zur Alp Gaflei, dem Ausgangspunkt in Liechtenstein, kommt man bequem per Postauto. Als Willkommensgeschenk offeriert die Via Alpina erst einmal einen steilen Abstieg von mehr als 1'000 Höhenmetern, der in die Knie geht. Als Belohnung sieht man dafür mit etwas Glück Gämsen und kann das herrschaftliche Fürstenschloss über Vaduz bestaunen. Schon bald danach markiert eine überdachte Holzbrücke die Grenze zur Schweiz. Ein langer und etwas öder Weg zieht sich nun durch das Rheintal bis nach Sargans. Wer sich diesen ersparen möchte, startet seine Wanderung am besten direkt im Zentrum des Sarganserlandes.
Ist diese Strecke überstanden, folgt die Via Alpina dem Fluss Seez immer bergauf durch das dicht bewachsene und einsame Weisstannental und weiter durch Steinbockgebiet zur Alp Siez. Diese zu den modernsten der Schweiz zählenden Alpen, bezieht ihre Milch aus den umliegenden Alpen direkt per Pipeline.
Über den steilen Foopass erreichen Wanderer das Glarnerland. Auf luftigen Graten führt die Via Alpina an Arnika und Edelweiss, einsamen Alpen und schmucken Bergdörfern vorbei. Immer mit dabei: haarsträubende Passübergänge mit steilen und schmalen Wegen, bei denen vor allem bei Regen und Schnee Vorsicht geboten ist.
Wer zu früh im Jahr startet, wird mit Schnee rechnen müssen und sollte mit besonderer Vorsicht unterwegs sein. Vor Juli wird eine komplette Durchwanderung der Via Alpina nur in schneearmen Jahren möglich sein, da hoch gelegene Pässe wie das Hohtürli im Berner Oberland noch geschlossen sein können.
Nachdem der Wanderer die grösste Schweizer Alp im Urnerboden, die bis zu 1200 Kühe ernährt, hinter sich gelassen hat, erreicht er die Zentralschweiz. Nun geht es weiter über gut erschlossene Aussichtsberge vorbei an klaren Gebirgsseen, die bei warmen Temperaturen zum Baden einladen. Durch den Urner Hauptort Altdorf führt die Via Alpina den Wanderer nach Engelberg in Obwalden und weiter zur Engstligenalp, die den Übergang ins Berner Oberland markiert.
Immer mit Sicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau verläuft der Weg durch eine grandiose Bergkulisse mit charakteristischen Holzchalets. Direkt unterhalb der Eiger-Nordwand kann man waghalsige Alpinisten beobachten, auf der Kleinen Scheidegg einen Abstecher auf das Jungfraujoch machen oder auf den Spuren von James Bond durch Mürren wandeln. Höhepunkt dieser Etappen bildet der Aufstieg zur Blüemlisalphütte, dem mit 2840 Metern höchsten Punkt der Via Alpina.
Auf dem Weg nach Adelboden und weiter in das Simmental stehen die Chancen gut, Gämsen und Steinböcke zu beobachten. Durch den Lebensraum des Luchses geht es weiter ins mondäne Gstaad, bevor der Wanderer in L’Etivaz endgültig die Sprachgrenze überquert. In diesem kleinen französischsprachigen Dorf werden 22'000 Laibe des gleichnamigen Käses gelagert, bevor sie nach Paris und New York verschifft werden. Der Wanderer befindet sich nun im Kanton Waadt, dem letzten Kanton auf seiner Wanderung. Das Ende der Via Alpina ist nun in greifbarer Nähe.
Noch steht ein letzter grosser Aufstieg auf den Rochers de Naye, den Hausberg von Montreux bevor. Oben angekommen, geniesst man eine herrliche Aussicht auf den Genfersee, das Mont-Blanc-Massiv, die Jungfrauregion, bis hin zu den Freiburger Voralpen. Die Via Alpina fordert den Körper, gibt im Gegenzug aber herrliche Naturerlebnisse und Glücksmomente zurück. Etwas wehmütig nach dieser erlebnisreichen Fernwanderung beginnt der Abstieg nach Montreux, dem offiziellen Endziel des Grünes Weges.
Auch wenn die Via Alpina ein Wanderweg mit echtem Abenteuerfeeling ist, befinden wir uns immer noch in der Schweiz, wo Übernachtungs- und Einkaufsmöglichkeiten nie weit entfernt sind. Auch wer im Schneeregen und dichtem Nebel über einen Pass klettert und meint, er sei dem Erfrierungstod nahe, kann sich meistens in ein nahegelegenes Bergrestaurant retten. Die Schweizer Via Alpina eignet sich daher wunderbar als Einstieg in das alpine Weitwandern. Und wer dann immer noch nicht genug hat, wandert von Montreux aus einfach weiter auf der Via Alpina bis nach Monaco an der französischen Mittelmeerküste.
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