Zwischen Laupen und Gümmenen im Sensetal fährt schon lange kein Zug mehr. Und trotzdem sind die Schienen nicht ungenutzt. Sobald im Frühling kein Schnee mehr liegt, erobern Schienenvelos die idyllische Flussebene im Kanton Bern. Mit reiner Muskelkraft angetrieben, pedalt man gemütlich auf den 4,5 Kilometern durch die renaturierte Laupenau und erreicht dabei Spitzengeschwindigkeiten von12 bis 15 Kilometern pro Stunde.

Erich Scheidegger hat das in der Schweiz einzigartige Schienenvelounternehmen 1995 gegründet. Dass ausgerechnet er die Infrastruktur übernahm, ist kein Zufall, denn er war der letzte Direktor der Sensetalbahn. «Ich fand es schade, dass die Schienen ungenutzt durch die Landschaft führten und vor sich hinrosteten. So entschied ich mich, das Gelände zu kaufen und für Freizeitaktivitäten zur Verfügung zu stellen», erzählt Scheidegger. Die 13 Velos stammen aus den Vogesen in Frankreich, wo Schienenvelos und Freizeit-Draisinen häufiger anzutreffen sind. Jede der Konstruktionen wiegt zwischen 120 und 150 Kilogramm und kann daher erst ab zwei Personen bewegt werden. «Alleine wäre es ein Knorz», schmunzelt Scheidegger. Denn die Velos müssen am Streckenende gewendet werden. Entsprechend buchen vor allem Familien und kleine Gruppen die Schienenvelos; eine Reservation ist verpflichtend, damit alles rechtzeitig organisiert werden kann.

Mehr als nur Velofahren

Am Ende der Strecke, auf dem Wittenberg, erwartet die Ausflügler eine kleine Freizeitanlage mit verschiedenen zu buchbaren Attraktionen wie Armbrust-, Blasrohr- und Bogenschiessen, Platzgen und Plauschhornussen. Unentgeltlich stehen ein grosser Grillplatz, Gartenschach, Boggia und ein Spielplatz zur Verfügung. Falls eine Gruppe ein Catering wünscht, so greift Erich Scheidegger gerne selber zur Kochschürze: «Egal, ob Spaghettiplausch, Fondue oder Grillparty, zusammen mit meinem Team sorge ich auch für das leibliche Wohl.» An den Wochenenden im Sommer können die Gäste am kleinen Kiosk zudem Snacks, Getränke und Glace kaufen. Das Schienenvelo und die Aktivitäten am Wittenberg sind für Erich Scheidegger ein Herzensprojekt. Denn leben kann er davon nicht. Umso mehr ärgert es ihn, wenn er Geld in die Reparatur von mutwilligen Schäden an den Velos investieren muss. «Zu viele Besucher spielen gerne ‹Putschauto›, aber dafür sind die Schienenvelos nun mal nicht gedacht», mahnt der Pensionär. Dafür hat er aber auch keine Restriktionen, wer die Velos fahren darf. Gerade auch für Familien ist eine Schienenvelofahrt ein schönes Freizeiterlebnis. «Kinder kommen schon im Alter von etwa sechs Jahren an die Pedale. Vorher fahren sie auf dem Schoss eines Erwachsenen mit», so Scheidegger.

Ursprünglich wurden Draisinen und Schienenvelos dazu verwendet, um Inspektionen von Eisenbahnstrecken durchzuführen sowie Arbeiter und Werkzeug zu transportieren. Der Name «Draisine» geht dabei auf den Erfinder Karl Drais zurück, der 1842 ein solches Fahrzeug erstmals für die damals Grossherzoglich Badische Staatseisenbahn in Deutschland erprobte. Im Bergbau, in dem weite Strecken mit Gleisen zum Abtransport der Rohstoffe ausgestattet sind, werden die Draisinen als «Grubenfahrrad» bezeichnet. Damit kommen die Bergleute schneller zu ihren Einsatzorten als zu Fuss. Die Handhebeldraisine, bei der das Gefährt mit rhythmischen Auf-und-Abbewegungen angetrieben wird, kam hauptsächlich in Amerika zum Einsatz, wo es als häufiges humoristisches Element in Slapstick- und Zeichentrickfilmen zu sehen ist.

Dafür, dass es im Sensetal nicht zu ungewollten Slapstick-Einlagen kommt, sorgen diverse Regeln für die Schienenvelofahrt. So muss vor dem Antritt der Fahrt der Sattel auf die richtige Höhe eingestellt werden, sodass man gut an die Pedale kommt. Bei den Strassenquerungen ist darauf zu achten, dass die Schienenvelos keinen Vortritt haben und entsprechend rechtzeitig zu bremsen sind. Sollte unterwegs eine Gruppe entgegenkommen, so ist das kein Problem. Die Velos werden dann jeweils um 180 Grad gedreht und getauscht, und schon kann die Fahrt weitergehen.


Über die Rheinbrücke

Zwischen Ramsen und Hemishofen (SH) führt eine kurze still-gelegte Bahnstrecke bis über die Rheinbrücke. Zwischen April und Oktober können hier an Sonn- und Feiertagen Schienenvelos gemietet und sogar die Rheinbrücke damit befahren werden. Wer es noch gemütlicher mag, der kann eine Fahrt mit dem Dampfzug buchen, die dieses Jahr noch am 10. September und 1. Oktober stattfindet.

etzwilen-singen.ch

Draisinenrennen Basel

Seit 2016 findet in Basel jedes Jahr auf dem Gleisbogen Dreispitz ein Drasinen-Derby statt. Auf selbstgebauten, mit reiner Muskelkraft angetriebenen Schienengefährten wetteifern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur darum, wer der oder die Schnellste, sondern auch der Originellste ist. Das diesjährige Rennen findet am 9. September statt.

draisinenrennen.ch