Klangforschung
Vom Zwitschern bis zum Plätschern: Noémie Delaloye dokumentiert Naturklänge
Noémie Delaloye kommuniziert nicht mit Ausserirdischen und zieht auch nicht mit einer Vogeltränke durchs Land. Doch mit ihrem Equipment, das aus Aufnahmegeräten, Kopfhörern, Mikrofonen, einer Satellitenschüssel, Stange und Stativ besteht, fällt sie unweigerlich auf.
Es ist eine Leidenschaft, der Noémie Delaloye seit der Jugendzeit nachgeht und die sie laufend perfektioniert hat: das Sammeln von Naturklängen. «Oft hört man in der Natur mehr, als man sieht», gibt sie zu bedenken. Vor allem in einem Wald, Schilfgebiet oder mitten in der Nacht sind es Geräusche und Klänge, die uns Orientierung verschaffen, uns den Weg weisen und uns erahnen lassen, welche anderen Lebewesen in der Nähe rascheln, pfeifen, gurren oder zirpen.
Noémie Delaloye fängt die Geschichten der Natur akustisch ein und macht sie anderen Menschen zugänglich. Ein Gesang, ein Krähen, ein Summen, ein Zwitschern, ein Plätschern: Jeder Ton, den die 40-jährige Genferin erhascht, erzählt etwas, entführt uns in eine Szenerie. Der Frühling tönt anders als der Herbst, ein Jungtier anders als ein Elternteil. Doch bis Noémie Delaloye einen Klang eingefangen hat, braucht es viel Ausdauer, Erfahrung und ein Quäntchen Glück.
Störgeräusche und Zwischentöne
«Ich gehe oft auch mit leeren Händen nach Hause», sagt die ausgebildete Apothekerin. Zwar gibt es Tierarten, bei denen ihre akustische Ausbeute gut ist, andere jedoch sind selten, scheu, misstrauisch oder in Lebensräumen unterwegs, wo mit dem Mikrofon nur schwer hinzukommen ist. Oder die akustische Entourage macht ihr einen Strich durch die Rechnung: «Mit der Bachstelze ist das zum Beispiel so eine Sache. Ihren Klang zu erfassen, ist höchst anspruchsvoll, hält sie sich doch fast immer in der Nähe eines lauten Wasserlaufs auf», so Delaloye.
Ihre Ausflüge folgen selten einem fixen Plan. Oft lässt sie sich vom Zufall und von spontanen Eingebungen treiben und nähert sich einem Tier über das Gehör an. Hat sie jedoch ein fixes Ziel, gestalten sich die Vorbereitungen auf eine Klangexpedition schwieriger: «Dann setze ich mich mit der Tierart und ihrem Verhalten gezielt auseinander und suche einen Ort, wo ich die bestmögliche Geräuschkulisse vorfinde.» Pläne, die ein leichter Regen oder Wind schnell zunichtemachen kann. «Häufig brauche ich mehrere Anläufe, um einen Klang einzufangen», sagt die umtriebige Ornithologin. Und meistens bleibt es nicht bei der akustischen Dokumentation der jeweiligen Tierart. «Ich versuche bei meinen Aufnahmen auch, das Verhalten des Tiers und die Klangumgebung hörbar zu machen.»
Geduld, Geschick und Glück
Hin und wieder lässt sie die Mikrofone auch an einem bestimmten Ort stehen, um die Geräusche von nachtaktiven Zugvögeln einzufangen. 100 bis 200 Vögel kann sie mittlerweile anhand ihrer Stimme identifizieren. Und mit jedem Tag werden es mehr. Dutzende dieser Stimmen hat sie auf ornitho.ch dokumentiert. Doch eigentlich interessiert sie sich für alle Tierarten – Amphibien, Reptilien, Säugetiere, Insekten –, aber auch für Klänge von Orten mit natürlichem Nachhall wie Wäldern, Seen und bestimmten Klippen. «Besonders gut mag ich den bizarren Gesang des Alpenschneehuhns oder die sanften Rufe der Erdkröte», erzählt sie. In bester Erinnerung geblieben sind ihr auch die singenden Schwäne im Frühling, deren Klang aussergewöhnlich war. Diese Aufnahme habe ihr einiges an Durchhaltevermögen abverlangt, ihrer Arbeit aber auch viel Aufmerksamkeit eingebracht.
Noémie Delaloyes Passion ist körperlich anstrengend: Manchmal sind es klirrend kalte Tage, kaum zu ertragende Hitze oder Insekteninvasionen, die ihr bei ihrer Arbeit in die Quere kommen. Manchmal aber auch Störfaktoren wie der Verkehr auf der Strasse, der Schiene oder in der Luft, Hochspannungsleitungen, Radarwellen, Menschen, Gewässer oder die eigenen quietschenden Schuhe, die die Aufnahme vermasseln. Die Früchte ihrer Arbeit finden sich auf ihrem Blog, aber auch auf Tonträgern und anderen audiovisuellen Produkten wie einem Dokumentarfilm über den Luchs. Und dann ist da noch die Co-Kreation «Ouìkya», ein musikalisches Abenteuer, das die Musiker Didier Métrailler und Emilie Vuissoz von «Le Chant des Lieux» auf der Basis von Delaloyes Klängen ausgearbeitet haben. Nach der Uraufführung im Wallis soll das Stück auch in anderen Regionen der Schweiz zu hören sein.
Ein bedrohter Lebensraum
Eine weitere Priorität ist der Austausch mit Gleich-gesinnten. Was ihr Mann Gaëtan Delaloye 2003 mit der Plattform ornitho.ch begonnen hat, läuft heute unter dem gemeinsamen Unternehmen Biolovision weiter. Diese Plattform macht die Naturbeobachtungen, die Hunderttausende von Menschen mithilfe der AppNaturaList oder einer lokalen Webplattform erfassen, online einem breiten Publikum zugänglich. Das ehemals kleine, ehrenamtliche Projekt einer Gruppe von Genfer Hobbyornithologen ist heute ein Projekt von internationaler Bedeutung.
Was in den fast 20 Jahren seit der Gründung auffällt: «Die Verbreitung der Vogelarten hat sich stark verändert, weil der Lebensraum und das Klima nicht mehr gleich sind. Vor allem in landwirtschaftlichen Zonen lässt sich bei den Arten ein deutlicher Rückgang feststellen», sagt sie. Der Lebensraum der Vögel werde wegen vermehrter Bautätigkeit, Umweltverschmutzung und Freizeitaktivitäten immer stärker bedroht.
Hier setzt Biolovision an, das von der Schweizerischen Vogelwarte und europäischen Partnern mitfinanziert wird: «Indem wir lokal und international zusammenarbeiten und die Beobachtungen skalieren, können wir die aktuellen Herausforderungen für Vögel und andere Tiere besser verstehen und die richtigen Entscheidungen treffen», ist die Klangforscherin überzeugt. «Wir müssen den wahren Wert der Natur erkennen und ihr wieder den Raum geben, den sie braucht, um ihr Gleichgewicht zu finden», so ihr eindringlicher Appell. [IMG 2]
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