Die Männchen der Bartmeise machen ihrem Namen alle Ehre. Zwei schwarze Zeichnungen, die sich von der Augen- und Schnabelgegend zu einer Spitze bis zum oberen Hals ziehen, sehen wie Bärte aus. Beim Weibchen fehlt diese typische Zeichnung. Die Bartmeise sieht nicht nur aus wie ein Exot, sie ist auch einer. Mit Meisen, wie etwa der Kohl- und der Blaumeise, hat die Art systematisch nichts zu tun.

Sie sieht lediglich meisenähnlich aus. Wo sie nun in der Zoologie systematisch zugeteilt wird, ist je nach Quelle unterschiedlich. Eine gängige Meinung ist, sie zur Gruppe der asiatischen Timalien zuzurechnen. Andere wiederum führen sie monotypisch, das heisst als einzige Art der Familie Panuridae. Klar ist: Die Bartmeise lebt als einziger Vertreter einer vorwiegend in tropischen Regionen verbreiteten Familie in der Schweiz.

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Im Schilfmeer

Die Bartmeise ist allerdings nicht einfach zu beobachten. Sie lebt verborgen im Schilfgürtel des Neuenburgersees, teilweise auch am Bieler- und am Bodensee. Wie ist sie dort zu finden und wo genau? Am besten wohl, man reist ins Fanel.

Dabei handelt es sich um ein Naturschutzgebiet von internationaler Bedeutung. Tatsächlich wird die Bartmeise auch als typische Art der Grande Gariçaie geführt, der südlichen Uferlandschaft des Neuenburgersees mit ihren ausgedehnten Schilfgürteln. Sie wird in verschiedenen Schutzgebieten auf Schildern angegeben. Trotzdem bleibt ihre Beobachtung aber meist aus. Wo ist die Bartmeise?

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Kleine braune Federbälle

Das Röhricht raschelt und wiegt sich im Wind. Plötzlich schiessen, wie Bälle aus dem Schilf, braune Punkte und verschwinden sofort wieder darin. Von der Beobachtungsplattform im Fanel aus ist der Überblick gut, zumindest nördlich bis zum See und südlich über die Schilflandschaft. Doch was verbirgt sich darin? Waren die kleinen braunen Bälle Bartmeisen?

Ein Ornithologe mit Spektiv, einem Beobachtungsfernrohr, weist jedenfalls darauf hin, dass es sich um Bartmeisen gehandelt habe. Es wäre doch schön, den dekorativen Bart auch zu sehen. Dafür müssten die Vögel etwas länger oben in den Halmen verweilen. Lange tut sich gar nichts mehr. «Wind mögen sie nicht», wispert der Vogelbeobachter und richtet sein Fernrohr wieder zum See zu den vorgelagerten Vogelinseln. Die Bartmeisen bleiben unsichtbar.

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Der Hinweis

Ein Jahr später in den Walliser Bergen, überhaupt nicht im Gebiet der Bartmeisen, folgt der Tipp einer älteren Ornithologin: «Von der linken Mauer des Broyekanals aus, die in den Neuenburgersee führt, ergeben sich gute Beobachtungsmöglichkeiten für Bartmeisen.» Sie tummelten sich im schmalen Schilfgürtel, meint die Dame und lächelt. Zum Beweis zeigt sie auf dem Display ihrer Kamera fantastische Bilder.

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Auf der Fährte

An einem sonnigen, windstillen Frühlingstag im März bewahrheitet sich der Hinweis. Die Hafenmauer zieht sich lange in den See, rechterhand der stille Kanal, der den Murten- mit dem Neuenburgersee verbindet. Kormorane schnarren von der anderen Seite weit entfernt auf einem Baum.

Wie kommt man hin?
Von Ins führt die Postautolinie Nr. 535 in Richtung Avenches nach Cudrefin, La Sauge. Morgens und abends meist stündlich, während des Tages alle zwei Stunden. In La Sauge befindet sich das bekannte Birdlife-Zentrum. Ein Weg führt dem Kanal entlang bis weit heraus in den Neuenburgersee. Auf dem letzten Stück der Mauer, im See, befindet sich links Schilf. Dort tummeln sich bei Glück Bartmeisen.

Der Marsch entlang des Kanals geht immer weiter, bis die eigentliche Mauer beginnt, bestehend aus grossen, zusammengefügten Steinen. Nun fallen die Weiden und Erlen linkerhand ab, Sumpf macht sich breit, je weiter die begehbare Mauer in den See führt. Die Schreie einzelne Mittelmeermöwen gellen in den Morgen, Lachmöwen zetern. Hinter einem schmalen Schilfgürtel mit Schlick lecken müde Wellchen des Sees über den Sand. Plötzlich zischelt es nasal aus dem dürren, hellbraunen Röhricht. Da sind sie, die Bartmeisen!

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Wundervolle Erscheinung

Da der Schilfgürtel schmal ist, ergeben sich Beobachtungsmöglichkeiten. Im Morgenlicht krallt sich ein Männchen zuoberst an einen Schilfhalm und nestelt an den Samen. Ein Kumpan flattert weiter hinten. Nun zeigen sich die pechschwarzen Bärte im goldenen Sonnenlicht, der gelbliche Schnabel leuchtet, das bräunliche Bauchgefieder wirkt seidig.

Die Bartmeise ist eine wundervolle Erscheinung! Weibchen scheinen zu fehlen. Es sind vier Männchen, die einander, immer nasal rufend, nachfliegen, tief im Schilf verschwinden und sich dann flatternd am Halm hocharbeiten. Das ist der Moment für den Vogelbeobachter. Mehrheitlich sitzen sie in der mittleren und unteren Schilfschicht, wo sie ganz aus dem Blickfeld verschwinden.

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Paare bleiben zusammen

Zwischen 1900 und 1970 gelangen nur vier Nachweise der Bartmeise in der Schweiz. Erst ab 1976 konnten sichere Bruten am Neuenburgersee verzeichnet werden. Meist wird das Nest in Schilfhalme im April gebaut. Das beansprucht zwei bis drei Tage. Vier bis sechs Eier werden gelegt, beide Paarpartner beteiligen sich an der Brut, die zehn bis 14 Tage dauert. Die Nestlingszeit der Jungen dauert elf bis 13 Tage. Nach dem Ausfliegen werden sie noch gut eine Woche vom Männchen mit Futter versorgt, während das Weibchen meist schon eine zweite Brut beginnt. Es sind bis zu drei Jahresbruten bekannt. Paare scheinen über mehrere Jahre zusammenzubleiben.

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Verletzlicher Bestand

Die Bartmeise ist ein seltener Vogel geblieben. Meist ist es ein Standvogel, das heisst, die Bartmeise bleibt das ganze Jahr über in der Schweiz. Während sie sich vom Frühling bis in den Herbst von Insekten ernährt, pickt sie im Winter Samen, eben auch diejenigen der Schilfhalme. Die Bartmeise lebt gesellig in kleinen Schwärmen. Durch ihr braunnuanciertes Gefieder fällt sie kaum auf im Schilf und bleibt darum wohl meist vor den Blicken neugieriger Menschen verborgen. Gemäss der Schweizerischen Vogelwarte Sempach gibt es nur 80 bis 110 Paare in der Schweiz, der Bestand wird als verletzlich eingestuft.

Idealer Beobachtungsort

In grossen Schilfflächen ist es ein Zufall, wenn sich Bartmeisen bis zum Rand vorarbeiten. Im schmalen Schilfgürtel links der Mauer des Broyekanals, die in den Neuenburgersee führt, scheinen sie sich regelmässig zu tummeln. Der Beobachter steht leicht erhöht und hat eine optimale Einsicht. Wenn es windstill ist, sind die Chancen gut. Auf jeden Fall flitzen die vier Männchen noch lange im Schilfstreifen auf und ab, bis sie unvermittelt über ein Stück See in die grosse Schilffläche in Richtung Cudrefin flattern. So gut wie am frühen Morgen haben sie sich nachher nicht mehr präsentiert.

Steckbrief
Name: Bartmeise (Panurus birmanicus)
Vogelgruppe: Timalien
Lebensraum: Feuchtgebiete mit Schilfgürteln
Zugverhalten: Standvogel und Kurzstreckenzieher
Höchstalter gemäss Beringung in der Schweiz: 5 Jahre