Wenn es dunkel wird, werden sie aktiv. Ihre Rufe hallen durch den finsteren Wald, ihr Flug ist lautlos. Anders als Vögel sonsthaben sie ein Gesicht mit zwei starren, leuchtenden Augen. Vielleicht werden Eulen wegen all dieser Eigenschaften in vielen Naturreligionen als Bindeglieder zwischen den Welten verehrt. Bereits seit der Antike gilt besonders der Steinkauz als Symbol der Weisheit. Bis heute werden Eulen von Bibliotheken, Buchhandlungen, Verlagen und Universitäten als Symbol geführt. Der hübsche Vogel mit zitronengelben Augen war der Liebling der griechischen Göttin Athene und wurde zu ihrem Symbol. Die Gattungsbezeichnung des Steinkauzes, Athene, weist auf diese uralte Beziehung hin. Bereits als in Tücher gehüllte Stoiker bis in die Nacht philosophierten, flogen lautlos am Hügel der Akropolis Steinkäuze. Sie wurden zum Wappentier Athens und als Wahrzeichen auf Münzen geprägt. Athen war wohlhabend. Und so entstand das Sprichwort «Eulen nach Athen tragen». Es war nicht notwendig, in die reiche Stadt Athen noch zusätzliche Münzen, eben Eulen, zu bringen.

Nicht nur ein Symbol für Weisheit

Die Eule steht zwar in vielen Kulturen als Symbol für Weisheit, doch mit ihrem Ruf in dunkler Nacht wird auch Unheil in Verbindung gebracht. Dies hat sich in der Literatur niedergeschlagen. «Ich hörte die Eule, sie rief meinen Namen» ist der Titel eines 1967 erschienenen Romans von Margaret Craven, in welchem ein junger kanadischer Vikar, der zu den Indianern an der Pazifikküste geschickt wird, krank wird und schliesslich stirbt. Auch hierzulande wurde der Ruf des Waldkauzes mit dem Tod in Verbindung gebracht. Der nächtliche Ruf «kuwitt!» wurde als Ankündigung des nahenden Todes verstanden. Er hört sich ähnlich an wie «komm mit!». Die Leute waren sicher: Bald würde im Dorf jemand sterben. Wie tief dieser Glaube verwurzelt ist, zeigt die Tatsache, dass viele Menschen auch heute noch erschauern, wenn in der Nacht ein Käuzchen ruft. Dabei handelt es sich aber nur um die Antwort des Weibchens auf den flötenden Ruf des Männchens.

«Der nächtliche Ruf ‘kuwitt!’ wurde als Ankündigung des nahenden Todes verstanden.»

Eulen wurden schon früh Teil der Lebenswelt des Menschen, ob als weise, ruhige Boten der Nacht, als Unheilsverkünder oder als Helfer. So wie die Schleiereule in der Schweiz. Wann sie nun zur Kulturfolgerin wurde, ist nicht klar. Das Wissen, das Scheunentor für die Nachtjägerin offen zu lassen, sei bis heute in der ländlichen Bevölkerung verwurzelt, sagt die Biologin Bettina Almasi. Die Schleiereule verschlafe den Tag im Gebälk und gehe des Nachts auf Mäusejagd. Das ist auch heute noch so, beispielsweise in der Ostschweiz.

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Überraschung im Nistkasten

Die Sonne scheint, es ist heiss mitten im Juli in Wilen bei Neunforn im Kanton Thurgau. Doch dort, wo sich Bettina Almasi befindet, ist es düster. Sie kämpft sich im Dachstock eines Stalls über grossen, runden Strohballen durch Spinnweben eine Leiter empor. Zuoberst im Giebel unter den Ziegeln hängt ein länglicher Nistkasten. Bettina Almasi hebt den Deckel, ein Lächeln huscht über das Gesicht der jungen Biologin. Sie fischt vier Federknäuel aus dem 70 × 45 × 45 Zentimeter grossen Holzkasten heraus, verstaut sie in einzelnen Stoffsäckchen und steigt flugs wieder die Leiter hinab.

Heil unten angekommen, setzt sie sich im Stalleingang auf den Boden, lehnt an die Wand, öffnet einen Stoffbeutel und entnimmt ihm eine junge Schleiereule. Die Ornithologin Bettina Almasi beringt gekonnt junge Schleiereulen im Kanton Thurgau. Dafür hat sie eine Spezialausbildung absolviert. Sie erklärt: «Freiwillige der Vogelschutzorganisation Birdlife Thurgau kümmern sich um den Schutz der Schleiereulen.» Jede freiwillige Mitarbeiterin kontrolliere 30 bis 40 Nistkästen. Um mehr zum Leben der Mäusejäger zu erfahren, damit sie auch besser geschützt werden können, werden die Jungen beringt. «Es handelt sich dabei um einen vom Bundesamt für Umwelt bewilligten Einsatz», betont Almasi. Das Federknäuel in ihrer Hand regt sich kaum. Flaum steht vom Kopf ab, der sich teilweise schon im Adultgefieder zeigt. «Klar, sie sind müde, wir haben sie mitten im Tiefschlaf überrascht», sagt Almasi. Mit einer Zange befestigt sie vorsichtig den Aluminiumring mit der Nummer M070147 am rechten Fuss. Neben ihr kniet Cilia Besançon. Sie ist die Präsidentin des Natur- und Vogelschutzvereins Neunforn, kümmert sich als Freiwillige um den Schleiereulenschutz und trägt die Angaben in eine Liste ein. Auch die Flügellänge von 21,4 Zentimetern und das Gewicht von 460 Gramm werden notiert.

Almasi erklärt: «Aufgrund der Flügellänge und des Gewichts können wir den allgemeinen Nährzustand der jungen Eulen ermitteln.» Sie sei sehr gut gefüttert worden, stellt Almasi fest. Normalerweisedie würden die Jungen mit zwei Mäusen pro Tag durch ihre Eltern gefüttert. Schnell sind vier Jung-Schleiereulen beringt, vermessen und gewogen. Almasi klettert wieder die Leiter empor und setzt die um die 40 Tage alten Jungen zurück in den düsteren Nistkasten.

«Jetzt stören wir die Altvögel nicht, denn sie schlafen, wenn die Jungen bereits ein gewisses Alter haben, ausserhalb des Nistkastens.» Als Mutter könne sie es gut verstehen, dass die Altvögel auch mal Zeit für sich benötigen würden, fügt Bettina Almasi schmunzelnd an. Genau dieses Bedürfnisses wegen sind im Dachgiebel zwei Nistkästen angebracht. Doch den zweiten Kasten können die Schleiereuleneltern in diesem Jahr nicht als Schlafzimmer benutzen, denn dort ziehen zwei Turmfalken ihre Brut auf.

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«Die Euleneltern schlafen tagsüber wohl irgendwo in einem Baum oder im Düstern einer Scheune», meint Almasi. Nachts dann gehen sie auf die Jagd in offenen Gebieten. «Sie orten Mäuse mit ihrem Gehör», erklärt die Biologin. Schleiereulen hörten im höheren Bereich als der Mensch. «Sie haben asymmetrisch angeordnete Ohren.» Das bedeute, dass es eine leichte Zeit- und Lautstärkenverschiebung gebe. «Dadurch können sie einen Ton noch besser lokalisieren, sie hören somit dreidimensional.» Bei der Aufzucht ihrer Jungen teilen sich die Altvögel die Arbeit. «Die Männchen jagen und bringen die Mäuse zum Nistkasten. Das Weibchen beisst den Kopf der Mäuse ab, frisst ihn und verfüttert den Rest den Jungen», sagt Bettina Almasi. Wenn das Weibchen während der Jungenaufzucht ums Leben komme, bringe das Männchen zwar weiterhin Mäuse, lege sie aber einfach im Nistkasten ab. «Das Männchen beisst den Kopf nicht ab, die Jungen verhungern dann neben einem Berg toter Mäuse», berichtet Bettina Almasi. Die Geschlechter können äusserlich nur am Brutfleck unterschieden werden, der sich beim Weibchen in der Brutzeit bildet. Dabei handelt es sich um eine nackte, gut durchblutete Stelle am Bauch, sodass die Eier bei der Brut direkt zur warmen Vogelhaut Kontakt haben.

Wenn alles reibungslos funktioniert, kann Almasi anhand der Gewölle, welche die Schleiereulen ausscheiden, sogar die Mäuseart bestimmen. «Die Magensäure von Schleiereulen ist nicht so aggressiv, sodass beispielsweise die Mäusezähne nicht verdaut werden.» Denn beim Gewöll oder Speiballen handelt es sich um unverdaute Nahrungsreste, die von der Schleiereule in einem Klumpen ausgewürgt werden.

Bettina Almasi und Cilia Besançon reisen nun weiter zu einem anderen Nistkasten im Ort. «Hier ist ideales Schleiereulengebiet», sagt die Biologin strahlend. Zwar seien Nistkästen wichtig, doch zum Überleben der Schleiereulen seien Ressourcen in der Kulturlandschaft auch essenziell. Almasi zeigt, was sie meint: Eine Scheune steht direkt an einer dichten, artenreichen Hecke, angrenzend tragen Hochstammapfelbäume Früchte, und an den Feldrändern stehen halbhohe Sitzwarten – Stangen mit einem etwa 20 Zentimeter langen Querast. «Gerade die Sitzwarten sind enorm wichtig für Schleiereulen», betont Bettina Almasi. Dort könnten sie in der Nacht ansitzen und horchen, bevor sie sich auf Mäuse stürzten.

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Ein typischer Kulturfolger

Auch hier ist zuoberst in der alten Tabakscheune ein Nistkasten angebracht. Man erreicht ihn über eineschmale Treppe von einem Zwischenboden aus. Während sich der Kasten geschützt im Innern befindet, ist von aussen nur das etwa 15 Zentimeter breite Schlupfloch zu sehen. In diesem Nistkasten wurden fünf Eier gelegt, drei Junge werden aufgezogen. Zum Zeitpunkt der Kontrolle und Beringung sind sie etwa 22 Tage alt.

Schleiereulen legen ihre Eier auf den mit Torfersatz bedeckten Boden von Nistkästen, meist jeden Tag eines. Da sie ab dem ersten Tag brüten, ergeben sich grosse Altersdifferenzen bei den Jungen. Ein Gelege kann maximal elf Eier enthalten.

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Frühstens Ende Februar beginnt das Weibchen mit dem Legen. «In diesem Jahr sind sie spät dran», sagt Almasi. In guten Jahren ziehen sie zwei Bruten auf. Es ist unbekannt, warum diese Eulen in der Schweiz fast nur in Nistkästen in Scheunen und Ställen brüten. Was machten die Nachtjäger, bevor der Mensch Gebäude erstellte? Bettina Almasi weiss, dass Schleiereulen in Schottland in Baumhöhlen brüten. Das sei aus der Schweiz aber nicht bekannt. Wenn kein Nistkasten vorhanden sei, könne es sein, dass sie frei auf einem Balken brüten. «Doch dort ist die Brut durch Marder gefährdet.» Sicher ist: Schleiereulen benötigen düstere Verhältnisse, damit sie brüten und sich sicher fühlen. «Es sind typische Kulturfolger, vieles ergibt sich vermutlich durch Prägung», sagt die Forscherin der Schweizerischen Vogelwarte. Das heisst: Schleiereulen, die in Nistkästen aufwachsen sind, suchen sich dann als Altvögel wieder eine genau solche Situation.

Nach einer Nestlingszeit von 55 bis 65 Tagen fliegen die Jungen aus. «Die Familie bleibt allerdings noch rund einen Monat zusammen», sagt Bettina Almasi. Dann würden sich die Jungeulen neue Territorien suchen, im nächsten Jahr seien sie bereits geschlechtsreif. «Männchen bleiben eher im Gebiet als Weibchen.» Weibchen flögen bis zu 800 Kilometer weit. Das weiss man dank den Aluminiumringen, die Bettina Almasi an den Beinen der Jungen befestigt. Nebst der Nummer ist dort «urgent retour» und «Vogelwarte Sempach Helvetia» eingraviert. Anhand der Nummer, die in ein System eingetragen wird, wissen die Verantwortlichen der Vogelwarte genau Bescheid, wo die Schleiereule ausgeflogen ist. Viele sterben, bevor sie sich überhaupt fortpflanzen können. «80 Prozent der Jungen überleben das erste Jahr nicht. Sie werden Opfer von Fahrzeugen, fliegen in Stromleitungen oder werden auch vom Uhu geschlagen», sagt die Forscherin.

Schleiereule (Tyto alba)

Die Schleiereule kommt in zahlreichen Unterarten in einem riesigen Verbreitungsgebiet in Europa, Asien, Nordamerika, Afrika und Australien sowie auf zahlreichen Inseln vor. Auch innerhalb einer Unterart können die Gefiederfarben verschieden sein. Wegen ihres riesigen Verbreitungsgebiets ist die Schleiereule nicht gefährdet. In der Schweiz gilt die Art allerdings als potenziell gefährdet und wird von der Schweizerischen Vogelwarte als Prioritätsart der Artenförderung bezeichnet.

Während sie mit einer langen Leiter auf dem Autodach zum nächsten Nistkasten im Thurgauer Dorf Nussbaumen fährt, erzählt sie: «Die meisten Erkenntnisse zur Schleiereule in der Schweiz gewannen wir aus der Population im Seeland im Grossen Moos.» Dort lebe die höchste Dichte an Schleiereulen. «Wir haben dort auch die Habitatwahl untersucht», sagt Almasi. Sie betont: «Wichtig für Schleiereulen sind strukturierte Landschaften mit extensiven Wiesen, Buntbrachen und Hecken, die gerne als Sitzwarte genutzt werden.

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Bettina Almasi beschäftigt sich seit 2004 im Rahmen ihrer Forschungsarbeit an der Schweizerischen Vogelwarte intensiv mit Schleiereulen. Sie arbeitet mit Professor Alexandre Roulin zusammen, der seit Jugendzeit von Schleiereulen fasziniert ist und die Schleiereulenpopulation in der Broye-Ebene erforscht. Almasi schrieb bereits ihre Doktorarbeit über Schleiereulen. Dort untersuchte sie den Einfluss von Stressfaktoren auf die Brut. «Solche mit grösseren schwarzen Punkten auf der Brust und dem Bauch sind stresstoleranter», sagt die Biologin. Vögel faszinieren Bettina Almasi seit ihrer Diplomarbeit, die sie zur Vogelzugforschung in der Sahara verfasste.

Der Nistkasten in Nussbaumen ist als einziger gut zugänglich. Er ist an einer am Hang stehenden Scheune angebracht. Hinter einem abgestellten Traktor öffnet Almasi den Deckel und freut sich: «sechs Junge!». Ein grosser Erfolg, denn der Nistkasten wurde neu andiesem Standort angebracht. Vorher brütete das Paar weiter unten in einer Scheune, die gegenwärtigrenoviert wird. Dank den Kontrollen und der Beringung ist mehr bekannt zur Schweizer Schleiereulenpopulation. Auch diese sechs Federknäuel schauen verschlafen. Nur das älteste schlägt etwas mit denFlügeln. Die Beringungs-Prozedur ist schnell vollzogen, sodass sie bald wieder im Düstern ihres Kastens sitzen. Hoffnungsvoller Nachwuchs einer unverwechselbaren, schönen Eulenart.

Greifvogelpark Buchs
Der Park wurde 2001 eröffnet und seither auch stetig erweitert. Auf einem über   10´000 Quadratmeter grossen Gelände können vom Andenkondor bis zur Zwergohreule ganz unterschiedliche Greifvogel- und Eulenarten beobachtet und bewundert werden. Der Park ist vom 1. April bis zum 31. Oktober von Mittwoch bis Freitag von 10 bis 17 Uhr offen, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr. In der übrigen Zeit ist der Park von Freitag bis Sonntag von 13 bis 16 Uhr geöffnet. Die Flugschau findet vorwiegend samstags und sonntags um 15 Uhr statt.
www.greifvogelpark.ch

Unsichtbare Eulen

Vielleicht hört jemand auf dem Land des Nachts den heiseren Ruf der Schleiereule in der Nähe einerScheune. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass im frühen Frühling ein Waldkauz sein «Kuwitt» flötet, sobald die Nacht ganz hereingebrochen ist. Er hat irgendwoversteckt in einem Baum oder in einer Höhle den Tag verbracht. Wenn die Lichter in den Fenstern immer weniger werden, beginnt seine Zeit. Die Chance, eine Eule in der Natur zu beobachten, ist sehr gering. Im Greifvogelpark in Buchs SG ist es jedoch möglich, die meisten Eulenarten, die in der Schweiz vorkommen, zu sehen. Hinzu kommen noch zahlreiche andere Arten.

«Der Waldkauz ist die einzige einheimische Eulenart, die sich dem Menschen angepasst hat», sagt Lucien Nigg. Seit er sich erinnern kann ist der Gründer und Besitzer des Greifvogelparks Buchs mit den Eulen eng verbunden. Heute gehören ihm und seiner Frau Zora die grösste Eulen- und Raubvogelsammlung der Schweiz. «Es war schon lange mein Traum, einen Park zu gründen», sagt der 68-Jährige. Auch seine Frau ist mit Leib und Seele dabei. Sie kümmere sich um das Training der Schauvögel, um Präsentationen und um alles Administrative, sagt sie.

«Der Waldkauz hat sich im Laufe der Jahre dem Menschen angepasst.»

Der Schritt zum Park erfolgte 1998. «Wir hatten rund um unser Haus Eulenvolieren», erinnert sich der Eulenexperte. Vor allem die Zwergohreule habe in der Nacht wie eine quietschende Türe gerufen. «Man hörte sie weit, sodass Nachbarn reklamierten.» Für Niggs war dies der Auslöser, mit der Planung des Parks zu beginnen. Und am 23. Juni 2001 eröffneten sie ihn. Seither ist er stetig gewachsen. Die Zwergohreule ist ein seltener, aber regelmässiger Brutvogel im Wallis und im Tessin. Sie ernährt sich hauptsächlich von Heuschrecken und anderen Grossinsekten. Im Herbst zieht sie in die Sahelzone und in Afrikas Savannen, wo sie überwintert.

Ein Park für Eulen

Lucien Nigg ist seit je mit Tieren verbunden. Er wuchs auf einer Hühnerfarm auf und erlernte den Beruf des Kaminfegers. «Während der Arbeit sah ich einmal bei jemandem Steinkäuze. Ich konnte dann auch ein Paar übernehmen», erinnert er sich an seine Anfänge. Schon als Kind hätten ihn Eulen und Greifvögel besonders fasziniert. Es sei ein langer Weg gewesen, bis er sich das Wissen über diese Vögel angeeignet habe. «Ich las alles, was mir über Eulen und Greifvögel in die Hände kam, und besuchte private Züchter, Zoos und Vogelparks in Norddeutschland», erzählt der Greifvogel- und Eulenspezialist. Freitagabends sei er in deutsche Parks und zu Züchtern gefahren, habe dort diskutiert, mitgearbeitet, gelernt und sei am Sonntagabend wieder zurückgereist. Langsam baute er durch Kontakte seine Sammlung auf.

Nahrungskette
Eulen sind am Ende der Nahrungskette, was zu einem Problem führen kann. Pestizide und Insektizide sammeln sich in den Pflanzen an, deren Wurzeln Mäuse fressen. Eulen jagen die Mäuse. Die in den Mäusen angesammelten Pestizide führen meist nicht zum Tod der Eulen, doch sie können bewirken, dass Embryonen in den Eiern absterben.

Allein die Welt der Eulen ist ein Kosmos für sich, denn sie kommen in etwa 200 Arten und auf allen Kontinenten ausser der Antarktis vor. Meistens sind sie nachtaktiv. Nur bei wenigen Arten zeigen sich äusserliche Geschlechtsunterschiede wie bei der Schneeeule, wo das Männchen rein weiss ist, im Gegensatz zum braun gesprenkelten Weibchen. Es ist Lucien Nigg ein Anliegen, Menschen auf Vögel aufmerksam zu machen, die nicht im Rampenlicht stehen, die, wie die Eulen, normalerweise niemand sieht. In seinem Park haben Besucherinnen und Besucher Eulen als Gegenüber. So wie die Weissgesichtseule.

Die Afrikanerin mit besonders markantem, hübschem Gesicht sitzt auch bei Sonnenschein in der Nähe des Frontgitters und äugt aufmerksam, wer da vor ihrer Voliere durchschlendert. Da blicken die Schleiereulen weitaus verschlafener aus dem hinteren Bereich ihrer Voliere. Eine sitzt neben einem Kasten, der aussieht wie ein offenes Scheunenfenster. «Wir zeigen die Eulen, wie sie leben», sagt Nigg. Andere Arten seien Wald- oder Tundra-Bewohner. Und entsprechend werde ihr Gehege gestaltet und auch die Bodenbeschaffenheit festgelegt. «Ungefiltertes ultraviolettes Sonnenlicht ist auch für die Nachtjäger Eulen wichtig», betont Nigg. Manche würden sich tagsüber direkt in die Sonne setzen. Jedes seiner Gehege hat einen überdachten hinteren sowie einen offenen vorderen Bereich, wo teilweise Büsche wie Ahorn, Föhren, Schneeball und Buchen wachsen. «Jede Eulenart muss einen trockenen Rückzugsbereich haben», betont Nigg. Das sei besonders auch im Winter wichtig. «Nicht die Kälte ist das Problem, sondern die Feuchtigkeit, auch bei tropischen Arten», sagt Nigg. Aspergillose, einer Pilzerkrankung der Atemwege, könne beispielsweise so vorgebeugt werden.

Phänomenales Gehör, grosse Sehschärfe

Zu den Tropeneulen im Greifvogelpark gehören weiter Malaien- und Rotfusskäuze aus Südamerika. Auch in diesen Regionen kann es kalt werden, etwa in höheren Lagen. Darum sind diese Arten kältetolerant. Nordische Arten seien besonders im Sommer anfällig für eine Form der Malaria. Er habe das Problem in seinemBestand aber noch nicht gehabt. «Man muss altes, stehendes Wasser in der ganzen Anlage vermeiden.» Durch eine ganze Volierenreihe führt somit beispielsweise ein Bachlauf. Bade- und Trinkwasser für die Eulen wird täglich gewechselt. Hygiene sei ohnehin das A und O. «Krankheiten kann so gut vorgebeugt werden.» Er entwurme seinen Bestand nicht prophylaktisch, sagt Nigg. Wer Eulen halten will, muss auch eine fachspezifische berufsunabhängige Ausbildung (FBA) absolvieren. Lucien Nigg gibt als Experte solche Kurse in seinem Park. Kenntnisse zur Ernährung von Eulenartengehören zur Ausbildung eines Halters.

«Eine Eule hat ein Gesichtsfeld wie dasjenige eines Parabolspiegels», sagt Nigg. Sie könne den Kopf um ganze 270 Grad drehen, die Augen seien fix. Aus diesem Grund könne sie etwas, das direkt vor ihrem Schnabel liege, kaum wahrnehmen, ganz im Gegensatz zu etwas Winzigem in der Ferne. Doch zuerst ortet sie die Beute mit ihrem phänomenalen Gehör. «Wir haben Versuche mit einem Unternehmen für Hörgeräte gemacht. Bei manchen Geräuschen hörten wir gar nichts, die Eulen aber reagierten», erzählt Lucien Nigg.

Eine Eule fliegt geräuschlos. Warum, demonstriert Nigg an einer Schwungfeder des Uhus. Die Schaftenden sind ausgefranst. Deswegen fliegen Eulen lautlos. Die Eulenfeder ist kammartig und fühlt sich wie Seide an, im Gegensatz zu Federn von Raubvögeln. Und so tropft Regen einfach ab.

Lucien Nigg erachtet es auch als wichtig, seine Eulen abwechslungsreich zu füttern. «Sie erhalten tote Eintagsküken, Mäuse, Ratten, Hühner, Fleischstücke vonKaninchen oder anderen Tieren. Pro Jahr verfüttern wir 20 000 Kilo Fleisch», stellt er klar. Der Eulenfreund betont aber, dass beispielsweise die Zwergohreule nebst Mäusen auch Insekten benötige. «Wir füttern zweimal in der Woche Mehlwürmer.» Bei dieser abwechslungsreichen Ernährung sei es nicht nötig, das Futterzusätzlich mit Kalk- und Vitamingaben anzureichern. Eine Eule müsse jeden zweiten Tag Nahrung haben, anders als Raubvögel. «Darum jagt sie auch bei Wind und Wetter.»

Eulen der Schweiz

Raufusskauz (Aegolius funereus) – brütet spärlich im Jura und im Alpenraum, bis zu 3000 Paare
Schleiereule (Tyto alba) – brütet sporadisch im Tiefland, bis 1000 Paare
Sperlingskauz (Glaucidium passerinum) – nicht gefährdet, brütet zerstreut im Alpenraum, bis zu 2000 Paare
Steinkauz (Athene noctua) – bedroht, bis zu 150 Paare
Sumpfohreule (Asio flammeus), ganz selten auf dem Durchzug
Uhu (Bubo bubo) – selten, bis zu 220 Paare
Waldkauz (Strix aluco) – im ganzen Land verbreitete Art, bis zu 8000 Paare
Waldohreule (Asio otus) – verbreitet in Jura und Mittelland, bis zu 3000 Paare
- Zwergohreule (Otus scops) – sehr selten, lokal, zieht weg im Winter, bis zu 40 Paare

Jagdtrieb ist angeboren

Wichtig sind Lucien Nigg Zuchterfolge, da zahlreiche Arten selten geworden sind. «Etwa vom Steinkauz gibt es in der Schweiz nur noch rund 150 Brutpaare.» Das Problem sei, dass der Lebensraum grossteils verschwunden sei. Nigg simuliert in der Voliere mit einem langen, hohlen Ast die Situation im Obstbaumgarten. Dies scheint zu funktionieren, denn er hatregelmässig Nachzuchten dieser seltenen Art.

Eulenarten seien weniger anspruchsvoll in der Partnerwahl, dafür komme es auf die Nistgelegenheit an. «Die Waldohreule beispielsweise brütet offen, etwa in Krähennestern», sagt Nigg. Es handelt sich um einen verbreiteten Brutvogel im Jura und im Mittelland, der offene und halb offene Landschaften mit Wiesen und Feld-gehölzen bevorzugt. Nigg stellt entsprechende Nisthilfen zur Verfügung. Der Sperlingskauz sei ein typischer Höhlenbrüter. Dieses mit etwa 16 Zentimeter Länge kleinste Käuzchen der Schweiz lebt in Nadel- und Mischwäldern zerstreut im südwestlichen Jura, in den Voralpen und den Alpen. Der Uhu brüte am Boden, der Raufusskauz lebe oft in Symbiose mit dem Schwarzspecht. «Der Schwarzspecht meisselt die Höhlen, der Kauz brütet schliesslich darin.» Da Lucien Nigg die Eigenheiten jeder Art kennt, gelingt die Zucht in seinem Park gut. Nachzuchten tauscht er mit anderen Zoos und Vogelparks. So freut er sich: «Neu werden wir bald den Blass- oder Milchuhu halten.» Dieser afrikanische Uhu wird die Europäischen Uhus, die Sibirischen Uhus, die heller im Gefieder sind als die europäischen, und die Fleckenuhus aus Afrika und Arabien im Park ergänzen.

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Euleneier sind weiss, ihre Anzahl ist entsprechend der Art unterschiedlich. Während er vom Afrikanischen Waldkauz auch schon Gelege mit lediglich einem Ei gehabt habe, lege die auch tagaktive Sperbereule aus der Taiga bis zu zwölf Eier, Schneeeulen zwischen acht und zehn. Die Brutzeit daure immer mindestens 28, bei manchen Arten bis zu 35 Tage.

Die Jungeulen sind erst ab dem Alter von zwölf Wochen selbständig. Der Eulenfreund erklärt: «Wenn sie ausfliegen, sind sie noch auf Futtergaben durch die Mutter angewiesen. Dann sitzen sie irgendwo imunteren Bereich des Gehölzes oder auf dem Boden.» Diese Jungen werden Astlinge genannt. Der Flaum, der teilweise noch vom Kopf oder übrigen Gefieder absteht, verrät sie als Junge. Die Jungen werden noch einige Tage bis Wochen gefüttert, bis sie selbst auf die Jagd gehen. Der Jagdtrieb muss nicht erlernt werden, er ist angeboren. Lucien Nigg weiss: «Uhus erreichen in der Natur ein Alter zwischen 25 und 35 Jahren, unterMenschenobhut werden sie aber über 40 Jahre alt.» Auch Amadeus ist ein Uhu. Er schreit heiser in einer Voliere, als er Zora Nigg erblickt. Sie spricht mit sanfter Stimme mit dem samten wirkenden Federbausch mit rot leuchtenden Augen und stülpt einen Lederhandschuh über ihre rechte Hand. Alle Eulen haben starke Füsse und spitze Krallen, damit sie ihre Beute gutergreifen können. Der Uhu kreischt, schnäbelt, hüpft auf die Hand und breitet seine Schwingen aus. «Wir führen am Wochenende nebst Raubvögeln und Geiern auch Eulen in der Freiflugschau vor, erklärt Zora Nigg.

«Wir ziehen die Eulen für die Flugschau vomzehnten Lebenstag an von Hand auf, um sie an den Menschen zu gewöhnen», sagt Zora Nigg. Amadeus ist jetzt vier Monate alt. Er könne etwa 20 Prozent von dem, was er alles lernen müsse. «Es dauert ein Jahr, bis eine Eule fertig trainiert ist», sagt Zora Nigg. Sie arbeitet mit verschiedensten Eulenarten und führt sie schliesslich einem staunenden Publikum vor. Eulen-begegnungen auf Augenhöhe im Greifvogelpark Buchs, lautet das Motto von Zora Nigg bei den Vorführungen. So folgt man dem «Kuwitt» gerne, denn es heisst doch eher: «Komm mit und begib dich auf einen Rundgang durch die Welt der Eulen.» Ob in Feld und Wald, im Park oder hier im Heft.