Die Frau strahlt über das ganze Gesicht. «Unserem Igel geht es super. Jetzt darf er wieder zurück in meinen Garten.» Ihr Begleiter hält einen Karton in der Hand, darin ein fauchendes Stacheltier. Vor ein paar Wochen haben sie den Igel völlig dehydriert gefunden und zur Stiftung Wildstation Landshut in Utzenstorf BE gebracht. Dafür nahm das Duo aus Kilchberg BL einen langen Weg auf sich. «Die Igelpflegestellen bei uns waren alle überfüllt, darum haben wir herumtelefoniert, bis wir ihn schliesslich nach Utzenstorf bringen durften», erzählt die Finderin, bevor sie sich mit «ihrem» Igel auf die Rückfahrt in den Norden der Schweiz macht.

Die Wildstation Landshut liegt direkt neben dem gleichnamigen Wasserschloss im Emmental. Hierwurden seit der Gründung der Stiftung 2009 über 25 000 geschützte Wildtiere aufgenommen und versorgt. Die Leiterin, Dr. Ulrike Eulenberger, zieht Bilanz: «Das letzte Jahr stellte für uns eine erhebliche Herausforderung dar. Die Zahl der eingelieferten Wildtierpatienten stieg sprunghaft an, trotz oder vielleicht gerade wegen der Covid-Pandemie.» Die 43-jährige Leipzigerin ist mit Leib und Seele Tierärztin. Schon ihr Vater war Tierarzt, der Beruf wurde ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Nach ihrem Studium in Deutschland verschlug es Eulenberger zum ersten Mal in die Schweiz, wo sie im Zoo Zürich als Assistenzärztin tierische Patienten behandelte. «Da die Wildstation in Utzenstorf damals selber noch keine Tierärzte hatten, brachten sie ihre Tiere öfter zu uns, wo wir sie medizinisch versorgen konnten. Als die Stiftung dann eine Tierarztstelle ausgeschrieben hat, habe ich mich sofort beworben.» Das ist jetzt 13 Jahre her und seitdem hat sich viel getan.

«Tiere bleiben nur selten dauerhaft auf der Station.»

Unter der Leitung der engagierten Veterinärmedizinerin versorgen mittlerweile nun acht Angestellte und zwei Zivildienstleistende pro Jahrrund 3000 Tiere. «Neun von zehn der Tiere, die zu uns gebracht werden, haben ein ernsthaftes medizinisches Problem», berichtet Eulenberger. Sie hält daher nichts davon, Tiere zu «päppeln». «Privatpersonen sollten aus mehreren Gründen nicht versuchen, kranke Tiere in Eigenregie bei sich zu Hause zu pflegen. Erstens darf man es vom Gesetz her nicht, und zweitens sind die Probleme oft so gravierend, dass die Patienten in fachkundige Hände müssen.» Eulenberger betont, dass bei verletzten oder kranken Wildtieren daher unbedingt eine der Fachstellen telefonisch um Rat gefragt werden soll (Adressen und Kontakt siehe unten). Im Gespräch kann dann festgestellt werden, ob das Tier überhaupt Hilfe benötigt und wie man ihm diese am besten zukommen lassen kann.

Wildtiere gehören in professionelle Hände

Aus dem Kanton Bern, aber auch aus anderen Ecken der Schweiz landen viele geschützte Wildtiere mit gesundheitlichen Problemen auf der WildstationLandshut. Auch der Igel, den Simon Schürch gerade behandelt. Nachdem das Stacheltier in Narkose gelegt wurde, reinigt der 21-jährige Lehrling eine Wunde in der Leiste des Tieres. «Eigentlich wurde der Igel mit Husten eingeliefert. Um die Lunge abzuhören, mussten wir ihn in Narkose legen, sonst hätte er sich einfach eingekugelt und wir wären mit dem Stethoskop gar nicht rangekommen. Die Wunde haben wir dann erst bei der entsprechenden Untersuchung entdeckt.» Schürch hatte bei der Station bereits ein Jahr Zivildienst geleistet. Danach war für ihn ziemlich schnell klar, dass er Wildtierpfleger werden wollte. «Helfen zu können macht mir viel Freude», schwärmt Schürch. «Aber man muss sich auch bewusst sein, dass man die meiste Zeit Gehege reinigt, Futter vorbreitet und Wunden versorgt. Gerade Wildtiere streicheln wir praktisch nie. Erstens bedeutet das für die Tiere Stress, und zweitens sollen sie sich ja nicht an uns gewöhnen, sondern wieder ausgewildert werden, wenn sie gesund genug sind.»

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Praktisch so weit ist das kleine Eichhörnchen, welches in einer Box im Nebenraum auf sein Futter wartet. Es war als noch nacktes Jungtier aus dem Kobel gefallen und von der Mutter nicht mehr abgeholt worden. Nachdem es lange von den Pflegenden der Wildstation mit Ersatzmilch versorgt wurde, kann es nun bald in eine der Volieren auf dem Gelände der Station ziehen, wo es üben kann, sich in der Natur selber zu versorgen. Hier erkundigt bereits ein junger Iltis seine Umgebung. Er wurde mit möglichst wenig Menschenkontakt von Hand aufgezogen und darf demnächst raus in die Natur. Auch der Steinkauz in der Nachbarsvoliere hat sich gut von seinem Oberschenkelbruch erholt und schaut skeptisch von seinem Ausguck auf seine behandelnde Tierärztin hinunter. «Generell bleibt nur sehr selten einer unserer Gäste auf Dauer bei uns. Hat ein Tier aufgrund seiner Verletzungen keine Chance, in der Natur zu überleben, so erlösen wir es meistens gleich. Denn ein schwer beschädigtes Wildtier in Gefangenschaft kann kaum ein artgerechtes Leben führen», erklärt Ulrike Eulenberger. Einzig ein uralter Uhu, ein Waldkauz und eine Nebelkrähe leben dauerhaft auf der Station. «Sie sind unsere Botschafter.

Wildtier gefunden, was tun?
Wer ein krankes Wildtier oder ein verwaistes Jungtier findet, der soll sich unbedingt vorher telefonisch bei einer der Stationen melden und das weitere Vorgehen absprechen. Auf keinen Fall dürfen Wildtiere eingesammelt und ohne vorherige Absprache bei den Stationen vorbeigebracht werden. Bei Wildunfällen muss unverzüglich diePolizei informiert werden. Verletztes und verwaistes jagdbares Wild (z.B. Reh, Fuchs, Dachs) kann der jeweiligen kantonalen Wildhut beziehungsweise dem zuständigen Jagdaufsehenden gemeldet werden.

Die Nebelkrähe ist eine illegale Handaufzucht aus dem Tessin. Sie ist auf den Menschen fehlgeprägt und für ein Leben draussen in der Natur nicht gewappnet. Dafür freuen sich die Besucher, wenn sie bei uns auch mal ein Tier zu sehen bekommen», lacht Eulenberger. Denn die Wildstation sei kein Zoo, wie die Tierärztin betont. «Wir haben dafür einen Naturlehrpfad auf dem Gelände mit verschiedenen interaktiven Stationen und einen Teich, an dem sich Insekten und Amphibien beobachten lassen.» Am 11. Dezember eröffnet zudem während des jährlichen Chlousefests das neue Projekt «Erlebnispavillon Lebensraum Wald» als weitere Attraktion für Schulklassen und andere Interessierte. Es wird dann auch Bestandteil von Führungen und zahlreichen Veranstaltungen sein, die die Station durchführt. Eulenberger ist zufrieden. «Dank eines super Teams können wir nicht nur Tieren helfen, sondern auch das Bewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer für die Natur stärken.» Somit ist die Station nicht nur im individuellen Tierschutz, sondern auch im Natur- und Umweltschutz aktiv.

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Auf Freiwillige und Spenden angewiesen

Manche Besucher kommen, um zu bleiben. So auch Alfred Dätwyler, der bei einer Führung spontan fragte, ob vielleicht Hilfe benötigt werde. Heute sitzt er im Vogelraum und füttert gefiederte Patienten. «Zum Glück ist die Jungtiersaison bald vorbei», seufzt Dätwyler mit einem Lächeln. Der pensionierte Rechtsanwalt ist einer der über 50 Freiwilligen, die bei der Pflege der zahlreichen Tiere helfen. Gerade kümmert er sich um drei verunfallte Alpensegler. Die fragilen Vögel haben schon lange verstanden, wo die Futterquelle ist, und sperren eifrig ihre Schnäbel auf. «Bienendrohnen schmecken ihnen am besten. Die sind voller Proteine, das gibt Kraft», erklärt Dätwyler.

«Wilde Katze» oder Wildkatze?
Letztes Jahr wurden bei Tierärzten und einem Tierheim drei verwaiste Kätzchen abgegeben, die sich so gar nicht wie zahme Stubentiger verhielten. Wildhüter hatten dann den richtigen Riecher und brachten die Tiere zur Wildstation Landshut.Zusammen mit der Kora (Stiftung Raubtierökologie und Wildtiermanagement), dem Institut für Wildtiergesundheit der Universität Bern, dem Veterinär-medizinischen Labor der Universität Zürich und Wildtier Schweiz konnte bestätigt werden, dass es sich bei den Kitten nicht um Hauskatzen handelte. Zum ersten Mal sah sich die Stiftung damit vor der Herausforderung, junge Wildkatzen zu versorgen. Über 4000 Futtermäuse und 8 Monate später war es im Mai 2022 schliesslich so weit: Die drei halbstarken Katzen konnten in ihrem natürlichen Lebensraum freigelassen werden. Zwei wurden durch Kora mit einem Sender versehen, um die Bewegung und somit den Erfolg der Auswilderung verfolgen zu können.

Seine Kollegin Margrit Holzmann füttert derweilen einen Spatzennestling. Auch er kann als einer der letzten der rund 600 Jungvögel bald ausgewildert werden. Die Wildstation Landshut arbeitet eng mit anderen Pflegestellen und der Vogelwarte Sempach zusammen. Jedes Jahr finden Schulungen statt, beidenen Freiwilligen instruiert werden, wie mit den tierischen Patienten umzugehen ist. «Ohne Freiwillige könnten wir den Arbeitsaufwand nicht stemmen. Und auch finanziell sind wir zu hundert Prozent auf Spenden angewiesen, da wir weder vom Kanton noch vom Bund finanziert sind», betont Eulenberger. Manchmalwürden Personen, die ein Tier bringen eine Spende dalassen.

Auch die junge Frau, die jetzt bei der Tierannahme steht, zückt gerade ihr Handy und scannt den QR-Code auf dem Plakat. Sie hatte eine Amsel gebracht, die mit zugekniffenen Augen am Boden sass. «Wahrscheinlich ein Anflugtrauma», diagnostiziert Eulenberger. Der Vogel schien gegen eine Scheibe geknallt zu sein. Leider hat er die Kollision nicht überlebt: Als die Tierärztin den Karton öffnet, ist das Tier bereits tot. Die Bringerin nimmt es recht gelassen, sie hat nach der telefonischen Beratung bereits damit gerechnet, dass ihr Findling es vielleicht nicht schaffen würde. Trotzdem ist sie froh, überhaupt eine Anlaufstelle zu haben. «Ich wüsste nicht, was ich sonst gemacht hätte. Man möchte das Tier ja auch nicht einfach so da sitzen und leiden lassen», meint die junge Frau. Das Bewusstsein für den Wert der Natur hätte in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen, betont Eulenberger.

«Während Corona scheint vielen ein Licht aufgegangen zu sein, wie wertvoll die Natur eigentlich ist. Der eigene Garten oder der Wald um die Ecke wurde noch mehr zum Refugium. Plötzlich wurde den Leuten bewusst, dass das nicht alles selbstverständlich ist.» Eulenberger hofft, dass dieses Bewusstsein nicht so schnell verschwinden wird, sondern vielmehr dazu führt, dass die Menschen mehr Sorge zur Natur und Umwelt tragen. Nebst dem Überdenken des eigenen Handelns erhofft sich Eulenberger nicht zuletzt auch, dass mehr Menschen Umwelt- und Tierschutzprojekte unterstützen.

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Stiftung Wildstation Landshut BE

Jährlich landen rund 3000 verletzte oder kranke Wildtiere bei der Stiftung, wo sie tiermedizinisch betreut und artgerecht gepflegt werden, um später grösstenteils in die Natur zurückkehren zu können. Auch verwaiste Jungtiere werden aufgezogen und fit für ein Leben in Freiheit gemacht. Die Stiftung arbeitet eng mit den kantonalen Wildhütern und Naturschutzinstitutionen zusammen.

wildstation.ch

Tel. 032 665 38 93

Natur- und Tierpark Goldau SZ

In der Auffang- und Pflegestation des Tierparks Goldau werden kranke und verletzte Wildtiere, verwaiste Jungtiere und entlaufene Heimtiere betreut. Tierärztinnen und sowie Tierpflegende betreuen die Patienten, bis sie wieder ausgewildert werden können. Nebst Polizei, Feuerwehr und Wildhütern bringen auch Privatpersonen Pfleglinge vorbei.

tierpark.ch/tier-arten-naturschutz/auffang-und-pflegestation

Tel. 041 855 44 33

Greifvogelstation Berg am Irchel ZH

Das Programm der Stiftung PanEco kümmert sich um den Schutz von Greifvögeln und Eulen. Das 25 Mitarbeiter starke Team kümmert sich um geschwächte und verletzte Vögel und zieht auch Jungvögel zur Auswilderung auf. Zudem kann man auf der Station Führungen buchen und bei thematischen Events hinter die Kulissen schauen.

greifvogelstation.ch

Tel. 052 318 14 27

Eichhörnchenstation Buttwil AG

Die auf Hörnchen und Siebenschläfer spezialisierte Station zieht vor allem Jungtiere auf, kümmert sich aber auch um kranke und verletzte Patienten. Junge Eichhörnchen kommen, sobald sie alt genug sind, in eine Aussenvoliere, wo sie lernen, sich in einer natürlicheren Umgebung zurechtzufinden. Hier leben auch Tiere, die sich aufgrund eines Handicaps nicht auswildern lassen. Zuletzt verbringen die Tiere einige Wochen in der Auswilderungsvoliere in einem Waldstück im Kanton Luzern, bevor sie von dort aus in die Freiheit dürfen.

eichhoernchenstation.ch

Tel. 056 664 68 84 oder 079 465 16 94

Igelzentrum Zürich

Ein Team aus Fachleuten berät rund um das Thema Igel und betreut kranke und verletzte Tiere. Der Verein bietet viel Infomaterial, führt Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene durch und führt eine Liste lokaler Expertinnen und Experten, an die man sich wenden kann, wenn man einen kranken oder schmächtigen Igel gefunden hat.

igelzentrum.ch

Tel. 044 362 02 03

Fledermausschutz

Die Stiftung Fledermausschutz kümmert sich um die streng geschützten Flattertiere in der Schweiz. Wer eine junge, kranke oder verletzte Fledermaus findet, wird am Telefon zu den weiteren Schritten beraten und gegebenenfalls an regionale Pflegestellen weitergeleitet. Tiere mit medizinischem Betreuungsbedarf landen auf der Pflegestation beim Zoo Zürich, wo sie versorgt und dann später wieder ausgewildert werden.

fledermausschutz.ch

Tel. 079 330 60 60

Seglerstation Rümlang ZH

Am Boden sitzende Mauer- und Alpensegler sind immer ein Notfall und müssen schnellstens in fachkundige Hände. Um die fragilen Vögel kümmert sich das Seglerteam im Kanton Zürich. Auch hier wird telefonisch beraten und pflege-bedürftige Patienten werden auf der Station aufgenommen.

apus.tv

Tel. 079 663 71 84

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