Der Winter lässt manchmal länger auf sich warten, auch in den Alpentälern. Gut für manche Vogelarten. Doch es gibt auch solche, die sich von Schneeeinbrüchen überhaupt nicht stören lassen. Ideal sind Beobachtungsmöglichkeiten von einer Talseite aus, zum Beispiel im Lötschental im Wallis auf dem Weg von der Lauchernalp auf die Fafleralp. Da fällt die Sicht vom Weg der Talseite entlang direkt in die Wipfel der unterhalb wachsenden Bäume.

 

Abgeschiedene Welt

Der Himmel ist durchzogen, selten reissen die Wolken auf und lassen ein Fenster aus Hellblau aufblitzen. Manchmal fallen gar einige Regentropfen. Ideales Beobachtungswetter. Es hat kaum Wanderer unterwegs, die abgeschiedene Welt im Bergtal gehört den Tieren.

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Schwarmweise Erlenzeisige

Scharenweise flitzen Erlenzeisige aus Baumkronen. Sie landen in den Wipfeln von Birken und Lärchen, deren Nadeln sich goldgelb verfärben. Die Winzlinge krallen sich an die kleinen Zäpfchen und klauben Samen heraus. Die Männchen haben ein auffallend gelblich-schwarzes Gefieder. Fliegt der grosse Schwarm auf, blinken gelblich-grüne Gefiederfarben im Kollektiv auf. Später im Jahr, wenn Kälte und Schnee die Alpentäler im Griff haben, fliegen die Erlenzeisige in die Niederungen, wo sie sich beispielsweise über die Zäpfchen von am Fluss wachsenden Erlen hermachen.

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Trällernder Schwarzspecht

Plötzlich trällert eine helle, klare Stimme aus dem Tannenwald. Ein Schwarzspecht! Kurz darauf fliegt er in Wellenlinien an einen Wurzelstock, meisselt auf das halbmorsche Holz und findet vermutlich Kerbtiere.

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Meisenparadies

In dunklen Rottannen flattern auch Hauben- und Tannenmeisen, typische Bewohner der Voralpen. Auch sie suchen Samen und Insekten. Leise zischelnd macht ein Schwarm Schwanzmeisen auf sich aufmerksam, einfach zu erkennen am langen Schwanz. Die Schwanzmeise ist allerdings nicht näher mit den beiden anderen erwähnten Meisen verwandt. Sie hat im zoologischen System eine eigene Familie und steht den Laubsängern und Grasmücken verwandtschaftlich näher.

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Rufe aus der Vegetation

Ein typischer Bewohner von Alpentälern ist auch der Tannenhäher, der sich an diesem Nachmittag im Lötschental zwar durch sein Zetern bemerkbar macht, sich jedoch nur während kurzen Momenten fliegend zeigt. Auch der exotische Ruf des Grünspechts hallt immer mal wieder durch das Tal, ohne dass sich der grosse Vogel zeigt. Die Art ist von der Baumgrenze an bis ins Mittelland verbreitet. Sobald Schnee fällt, wird der Grünspecht in tiefere Lagen fliegen.

 

Absoluter Höhepunkt: der Fichtenkreuzschnabel

Plötzlich fallen rötliche Punkte auf dem Wipfel einer Rottanne auf. Männliche Fichtenkreuzschnäbel ruhen sich auf den obersten Tannästen aus, andere flattern noch im Dunkelgrün. Sie leben in diesem Jahr im Paradies, denn ihre Nahrung ist reichlich vorhanden. Auch die Schweizerische Vogelwarte Sempach meldet: In diesem Jahr wurden so viele Fichtenkreuzschnäbel beringt wie noch nie zuvor.

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So viele wie noch nie

Auf dem Col de Bretolet in den Walliser Alpen in der Gemeinde Champéry werden seit 1958 Vögel in Netzen gefangen und beringt. 2023 wurden dort zwischen August und Oktober mehr als 2500 Fichtenkreuzschnäbel beringt – ein Rekord! Der nomadische Finkenvogel ist meist in kleinen Schwärmen unterwegs und hat es auf die Samen von Nadelbäumen abgesehen. Mit dem typischen, gekreuzten Schnabel klaubt er besonders die Samen von Fichten aus den Zapfen. Hat es viele Zapfen mit Samen, sind die Fichtenkreuzschnäbel nicht weit. Und 2023 scheint ein sogenanntes Mastjahr zu sein, also ein Jahr, wo die Rottannen oder Fichten besonders viele Zapfen bilden.

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Samen und Maden

Fichtenkreuzschnäbel fliegen hunderte wenn nicht tausende von Kilometern, um Fichtensamen zu finden. Sind sie reichlich vorhanden, brüten sie sogar im Winter. Sie bauen Nester bei Schnee und ziehen bei grösster Kälte ihre Jungen auf. Von Bruten bei Züchtern ist bekannt, dass sie aber nicht nur die Samen der Zapfen fressen, sondern darin oft auch Maden vorfinden.

 

Fenster in die Bervogelwelt

Vom Wanderweg der Bergflanke im Lötschental entlang fallen die vielen Tannenzapfen auf. Auch anderswo in den Bergen sind solche Einblicke möglich, beispielsweise auf dem Gommer Höhenweg im Goms im Wallis. Fantastische Fenster zur Natur in den Bergen, auch im Winter.