Manche verwechseln sie mit Damhirschen, da Sikahirsche mit 64 bis 100 Zentimetern etwa gleich gross sind und ebenfalls von Mai bis September ein Sommerkleid mit in Längsreihen angeordneten weissen Flecken im rotbraunen Fell tragen, die im Winter so blass sind, dass sie kaum zu sehen sind. Damit aber hat es sich mit den Ähnlichkeiten.

Im Gegensatz zum in Europa heimischen Damhirsch stammt der Sikahirsch – wie sein wissenschaftlicher Name Cervus nippon verrät – aus Südostasien und aus dem Fernen Osten. In der japanischen Stadt Nara gelten die beim viel besuchten Schrein lebenden Hirsche als göttliche Boten. Dass die Art auch in Europa wild lebend anzutreffen ist, ist einem Zufall geschuldet.

1890 schickte der japanische Kaiser Meiji Gesandte nach Frankreich. Mit im Gepäck hatten sie einen Sikahirschbock und eine Sikahirschkuh. «Damit hatten die Franzosen allem Anschein nach nicht gerechnet», schrieb der Neuenburger Philippe Veuve, Mitglied der Stiftung zum Schutz der Hirsche von Nara, im Kleinwiederkäuer-Magazin «Forum». Weil sie keinen Platz im Jardin des Plantes in Paris fanden, liess man die Tiere zuerst im Präsidentengarten von Marly frei.

Abgehauen oder ausgesetzt

Später brachte man sie in den Park von Rambouillet, wo einige ihrer Nachkommen während eines Gewitters ausbrachen. Gemäss Veuve dürften alle frei lebenden europäischen Sikahirsche von ihnen abstammen. Und weil das Wild bekannt dafür ist, problemlos grössere Strecken zurücklegen zu können, kommt es längst in fast ganz Frankreich vor.

In anderen Ländern hat man Sikahirsche um 1900 herum eingeführt, als es Mode war, den einheimischen Wildbestand mit fremden Tierarten «anzureichern». Drei der fünf wild lebenden Populationen Deutschlands befinden sich im Norden, die einen setzte man aus, andere Ausbrecherkönige nutzten Schlupflöcher in den Zäunen. Im Sauerland öffnete man nach dem Zweiten Weltkrieg die von Panzer zerstörten Gatter der Gehege im Arnsberger Wald, woraus sich mit 3000 Tieren der grösste Sikawildbestand Mitteleuropas entwickelte.

Die Vorfahren der fünften Population lebten im 1910 gegründeten Gatter Rohrhof bei Küssaberg nahe der Grenze zum Kanton Aargau. Nachdem mehrfach Sikahirsche entwischt waren, löste man das Gehege 1939 vollständig auf – und 400 Tiere erkundeten den Schwarzwald. Nur wenige Jahre später überquerten sie auf ihren Touren erstmals die Grenze. Die wildlebenden Sikahirsche halten sich allerdings in einem kleinen Gebiet von gut 2300 Hektaren im Rafzerfeld im Kanton Zürich und im schaffhausischen Südranden auf. Hier findet die anpassungsfähige Art alles vor, was ihr gefällt: Gräser, Blätter, Knospen, Triebe, Beeren und Eicheln in Wäldern mit dichtem Unterwuchs und Feuchtgebieten.