Beim Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt spielt die Tiefseeforschung eine besondere Rolle. «Die Tiefsee beherbergt ein enormes, noch grösstenteils unbekanntes Artenreservoir. Ihre Spezies sind vor kurzfristigen Umweltkatastrophen, die an Land mitunter verheerende Konsequenzen nach sich ziehen, durch die puffernde Trägheit des Meerwassers geschützt», schreibt Torben Riehl auf der Webseite. Er ist Meeresbiologe bei Senckenberg und lädt zum «Abtauchen!» ein.

So heisst die Sonderausstelltung, die seit dem 3. September gezeigt wird, in Räumen mit dem Namen «Meeresforschung» und «Tiefsee». Sie hat sich zum Ziel gesetzt, den Besucher*innen diesen geheimnisvollen Lebensraum näher zu bringen. Nur wenigen allerdings ist es vergönnt, dieses Habitat wirklich hautnah zu erleben. Zu den Auserwählten gehört das Team, das Anfang November mit dem deutschen Forschungsschiff zu einer Tiefsee-Expedition aufgebrochen ist, unter dem Patronat der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. 

Überraschungen in 6000 Metern Tiefe

Auch wenn es aufgrund der unzähligen Ausstellungen und Publikation anders aussieht: Die Tiefsee ist noch lange nicht erforscht, sondern überrascht die Wissenschaftler*innen immer wieder aufs Neue. Mit Hilfe der «Sonne» wollen sie nun im Nordatlantik bei Grönland in die Tiefe vordringen: bis zu 6000 Metern hinab wollen sie tauchen. Vertreter*innen aus Biologie, Ozeanographie und Geologie mehrerer deutscher Forschungsinstitute arbeiten bei dieser Expedition zusammen. 

Die Mitglieder müssen ganz schön seefest sein, wie ein Blogeintrag von Mitte November zeigt (Link). Nach einer Nacht, in welcher die Crew die Nordlichter bestaunte, schlug das Wetter in der See vor Island plötzlich um. Rau und bedrohlich sei es jetzt, schreibt Besatzungsmitglied Vivien Hartmann am 17. November. Das Schiff kämpfe sich tapfer vor, zur ersten Station der Reise.

Sie liegt in die Nähe Islands. Doch das Reisen sei aufgrund von Wellen und Sturm gar nicht so einfach. Am letzten Donnerstag dann hatte sich die Lage beruhigt. Forscherin Stephanie Kaiser von der University of Lodz in Polen konnte an Bord wieder ihrer Arbeit nachgehen. Nun bestimmte eine andere Herausforderung ihr Programm: Die Tiefseekreaturen, die sie aus den grössten Tiefen fischten, seien teils in schlechtem Zustand, bemängelt sie im Expeditions-Blog. Mitunter sei es deshalb schwer, sie zu bestimmen. Oft würden Spezies anderen zum Verwechseln ähnlich aussehen, und nur eine DNA-Analyse gebe Gewissheit.

 

Videos von einem derForschungs-U-Boote der «Sonne»

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Invasive Krebse aus der Tiefe

Etwa darüber, dass es sich beim aktuell untersuchten Krebstier (Crustacea) um eine Krebsart handelt, auf welche die Besatzung in diesen Tagen immer wieder stösst und deren Verbreitung und Artenvielfalt Aufschluss über Veränderungen in der Tiefe geben. Über ihre Forschung schreibt die Wissenschaftlerin im Blog: «Wir leben in einer Zeit erheblicher Umweltveränderungen, die auch in die Tiefen der Ozeane hineinreichen, und wir wollen wissen, welche Folgen das für die ansässige Tierwelt hat.» Um dies herauszufinden, wolle sie herausfinden, welche Crustacea-Arten wo in den weiten Tiefen leben. Es gebe unter ihnen invasive Arten, die sich aufgrund der Klimaveränderung ausbreiten.

Mia Schumacher indes untersucht ein anderes Tiefsee-Phänomen, wie sie am Wochenende schreibt. Die Tiefsee sei kein ruhiger Ort: «Erdbeben, Plattentektonik, sich bewegende Gletscher, unterseeische Erdrutsche und Unterwasser-Vulkanausbrüche bilden eine konstante Basslinie, während mittlere und hohe regionale Klänge der Artenvielfalt, die durch die erstaunlichen Variationen der Tierkommunikation erzeugt werden, die schönen Unterwassermelodien singen.» 

So tönt die Tiefsee

Einige Regionen im Ozean seien lauter als andere, stellt die Forscherin fest und verweist auf einen Livestream: Dank ihm können Interessierte in Echtzeit in die Tiefe lauschen. Die Abyssal-Ebene, ein flaches und spärlich bewohntes Meeresbodengebiet, das 3000 bis 6000 Meter unterhalb des Meeresspiegels liegt und in der Regel an einen Kontinent angrenzt, sei zwar eher ruhig. Hin und wieder werde die Stille einzig von wandernden Arten wie Walen, Delfinen oder Schildkröten unterbrochen.

Im Expeditionsblog erklärt Schumacher, dass es auch geräuschvolle Orte unter Wasser gibt. Schnappende Krebse können tatsächlich die lautesten von allen sein – sie seien sogar so laut, dass U-Boote der Marine ganze «Krabbenwolken» nutzen, um sich darin akustisch zu verstecken. Aber auch schnatternde Fische oder nach Nahrung suchende Delfine, die ihre Beute per Echo orten, würden einen bemerkenswerten Beitrag zu dieser natürlichen Geräuschkulisse des Ozeans leisten.

Mit einer Geschwindigkeit von 1500 Metern pro Sekunde sei der Schall im Wasser fast viermal so schnell wie in der Luft. Daher kann er enorme Entfernungen überwinden. Je nach den physikalischen Eigenschaften wie Temperatur und Druck können besonders niedrige Frequenzen mehrere tausend Kilometer weit zu hören sein. In 800 bis 1000 Metern Tiefe gibt es eine besondere Schicht, in der die Schallgeschwindigkeit am geringsten ist, so dass niedrige Frequenzen fast den ganzen Globus umkreisen können. Er ist als SOFAR-Kanal (Sonar Fixing And Ranging) bekannt, und wandernde Tiere wie Wale nutzen ihn für die Kommunikation mit anderen weit entfernten Artgenossen.

Infoveranstaltung von Senckenberg zur Tiefsee-Expedition

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Von der Herausforderung der Tiefseeforschung

Und weiter geht die Reise, welche die Teilnehmenden wohl nie vergessen werden. Expeditionsmitglied Vivien Hartmann beschreibt sie mit den Worten: «Wir dampfen also über den rauen Nordatlantik, durchqueren insgesamt fünf Zeitzonen und über ein Jahrhundert Meeresforschung bis zum Ursprungsgebiet in der Davisstrasse. Die Fortsetzung ihrer grundlegenden Arbeit mit den modernsten Techniken der Biologie, Geographie und Hydrographie – Zeitreise vom Feinsten!» 

Die Naturgewalten, die sie auf dieser Reise erleben, hätten den Wissenschftler*innen vor allem eines mehr als deutlich gemacht: Tiefseeforschung ist mit grossem Aufwand und Engagement verbunden, logistisch komplex und nur möglich, wenn alle an Bord, Crew und Wissenschaftler, an einem Strang ziehen.