Es zischt und dämpft aus dem Wok, den Hungrigen in der Warteschlange steigen verführerische Düfte in die Nase. In der Mensa der ETH-Polyterrasse in Zürich herrscht über Mittag stets Hochbetrieb. Im Akkord bereitet Köchin Supranee Geisseler portionenweise ein asiatisches Gericht zu: Gebratenes Gemüse an sämiger Currysauce, wahlweise mit Entenfleisch oder sogenanntem Planted Chicken. Bei letzterem handelt es sich um ein neuartiges Produkt, das sehr ähnlich aussieht und schmeckt wie Pouletgeschnetzeltes, jedoch aus rein pflanzlichen Zutaten besteht.

Die Firma planted foods, welche den Fleischersatz produziert, ist aus derselben Hochschule hervorgegangen und feiert derzeit Erfolge. Erst letztes Jahr haben vier junge Männer das Startup gegründet und ihre ersten Packungen des Fake-Huhns auf den Markt gebracht. Zuvor hatten die Lebensmittelingenieure rund zwei Jahre getüftelt, bis es ihnen gelang, aus den natürlichen Zutaten Gelberbsen-Proteinpulver, Erbsenfasern, Rapsöl und Wasser eine Struktur mit Biss und leicht faseriger Struktur herzustellen. In einem sogenannten Extruder werden die Bestandteile vermischt, erhitzt, geknetet, wieder abgekühlt und danach zu den typisch pouletartigen mundgerechten Stücken geformt. In 100 Gramm sind 25,7 Gramm Protein enthalten, was tierische Pouletbrust (22 Gramm) sogar noch leicht übertrifft. Dem Erbsenprodukt wird zudem Vitamin B12 zugesetzt – ein lebenswichtiger Stoff, der hauptsächlich in tierischen Nahrungsmitteln vorkommt.

Mittlerweile ist Planted Chicken in diversen Restaurants erhältlich und auch Coop führt es im Sortiment. Um die Kapazitäten zu steigern, sind die Jungunternehmer im Juli von Zürich nach Kemptthal bei Winterthur gezogen und haben sich im Firmenkomplex «Valley», auf dem Areal der ehemaligen Maggi-Fabrik, eingerichtet. Hier wollen sie täglich bis zu fünf Tonnen der pflanzlichen Hühnchen herstellen und somit auch günstiger werden. Zurzeit kostet eine 175-Gramm-Schale Planted Chicken bei Coop Fr. 6.95 –etwa doppelt so viel wie konventionelles Pouletgeschnetzeltes, aber etwas weniger als Biohühnchen.

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Satt ohne Fleisch
Für einen Betrieb, der hauptsächlich Studierende mit kleinem Budget verpflegt, ist der Preis an der oberen Grenze. Das ETH-Restaurant bietet das asiatische Gericht für Fr. 12.50 an – egal ob mit Fleischersatz oder mit Ente. Trotzdem ist das vegane Menü an diesem Tag sehr gefragt. Rund die Hälfte der Studierenden, Mitarbeitenden und Externen entscheiden sich dafür. «Ich habe mir vorgenommen, weniger Fleisch zu essen», begründet ein junger Mann seine Wahl.
Dennoch wolle er nicht schon nach zwei Stunden wieder Hunger haben. «Planted Chicken ist ein guter Ersatz», sagt der Student. Es sei zwar etwas weicher als echtes Poulet, doch in diesem Wok-Gericht passe es gut. Auch eine wissenschaftliche Mitarbeiterin lässt sich das Curry mit Reisnudeln schmecken. Sie esse auswärts nie Fleisch, weil sie der Herkunft nicht traue, sagt die junge Frau, und habe deshalb das vegane Menü gewählt. «Zuhause würde ich nicht mit solchen Ersatz-Produkten kochen», betont sie. Schliesslich gebe es genügend vegetarische und vegane Rezepte. «Die Idee, Fleisch aus Pflanzen zu imitieren, scheint mir absurd.»

Wurden in der fleischlosen Küche für lange Zeit hauptsächlich Tofu oder das Pilzerzeugnis Quorn als Protein-Lieferant verwendet, so hat sich das Angebot in den Ladenregalen in den letzten Jahren deutlich vergrössert. Diverse Anbieter übertrumpfen sich gegenseitig mit Burgern, Gehacktem, Geschnetzeltem und Würsten, für die keine Tiere sterben müssen. Eine gewisse Bekanntheit hat zum Beispiel bereits der Beyond Burger des amerikanischen Unternehmens Beyond meat erlangt. Schneidet man das gebratene Plätzchen entzwei, rinnt eine rötliche Flüssigkeit heraus, die an das Blut bei Rindfleischplätzchen erinnert. Es handelt sich um Randensaft. Auch die Migros mischt mit ihrer Produktepalette unter dem Label V-Love kräftig mit im trendigen Geschäft.

Obwohl die Fleischalternativen im Vergleich zum echten Fleisch immer noch einen kleinen Anteil des Marktes ausmachen, zeigt der Trend steil aufwärts. Immer mehr Leute sind sich bewusst, dass der Genuss von Schinken, Filets und Pouletschenkel mit Leiden der Nutztiere sowie Umwelt- und Klimaschäden verbunden ist, und ernähren sich zumindest teilweise vegetarisch oder vegan. Doch eine ausgewogene, vollwertige und schmackhafte fleischlose Küche ist mit Aufwand verbunden und verlangt nach Kreativität.

Forschung geht weiter
Gerade in der Schweiz mit ihren vielen Berggebieten, die sich für die Tierhaltung eignen, hat eine Fleisch- und Milchproduktlastige Küche Tradition. «Fleischgerichte sind unseren Kunden vertraut», weiss Luzia Bachofner, Leiterin des ETH-Betriebs. Mit möglichst ähnlichen Ersatzprodukten könne man deshalb auch Fleischliebhaber für vegetarische oder vegane Menüs gewinnen. Das Restaurant, das von der SV Group geführt wird, hat sich zum Ziel gesetzt, den CO2-Fussabdruck stetig zu reduzieren und das Angebot an vegetarischen und veganen Gerichten auszubauen.

Pouletfleisch belastet das Klima zwar insgesamt weniger stark als Schweine- oder Rindfleisch, weil das Verhältnis zwischen Tierfutter und Fleischertrag bedeutend günstiger ausfällt. Für ein Kilogramm Lebendgewicht, von dem rund 700 Gramm auf Schweizer Tellern landen, braucht es heute noch eineinhalb Kilogramm Futtermittel – dank hocheffizientem Fütterungsplan und einem kurzen Leben von höchsten fünf Wochen. Beim Rind beträgt das Verhältnis etwa 12:1, beim Schwein 3:1. Allerdings stammt das Futter für Masthühnchen hauptsächlich aus dem Ausland, während Kühe mindestens teilweise einheimisches Gras fressen. Gemäss Angaben von Planted foods weist ihr Produkt eine doppelt so gute Ökobilanz wie Pouletfleisch aus.

Mittlerweile hat das ETH-Startup zwei weitere Produkte auf den Markt gebracht: Das vegane Pulled Pork («gezupftes Schwein») sowie einen Kebab-Spiess, der bereits in diversen Döner-Läden seine Runden dreht. Im Fladenbrot, mit Salat und Sauce, sind die imitierten Fleischstücke kaum vom tierischen Erzeugnis zu unterscheiden.