Natur in der Stadt
Die Stadt Zürich wird immer grüner
Wie schafft es eine Stadt wie Zürich, grüner zu werden? Siedeln sich seltene Pflanzen- und Tierarten tatsächlich in der grössten Schweizer Stadt an? Ingitta Scapozza von Grün Stadt Zürich gibt im Interview Auskunft.
Ist Zürich eine grüne Stadt, Frau Scapozza?
Jawohl, sehr sogar. 25 Prozent des Stadtgebiets besteht aus Wald. Den Vorvätern sind schöne historische Grünanlagen rund um das Seebecken zu verdanken. Parkanlagen, Friedhöfe und Hügel in und um die Stadt sind von Bäumen durchsetzt. Doch: Grüner geht immer.
Wie begrünt man eine Stadt, die bereits weitgehend gebaut ist?
Eine Stadt befindet sich in ständiger Transformation. Wir müssen bis 2050 100 000 Personen mehr in der Stadt beherbergen. Das heisst, die Stadt wird weiter gebaut, und zwar von innen heraus. Dabei sind auch zehn weitere öffentliche Parks vorgesehen.
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Wie gross ist die Biodiversität in der Stadt Zürich?
Wir streben 15 Prozent ökologisch wertvolle Flächen an. Derzeit sind wir im Siedlungsraum bei knapp elf Prozent. Die restlichen vier Prozent, zirka 230 Hektaren, sollen bis 2040 ökologisch aufgewertet werden. Die Biodiversität im städtischen Raum ist beachtlich. Die Population von Feldgrillen, Schachbrettfaltern undZittergras konnten wir etwa etablieren und stabilisieren.
Wie steht es um die Stadtbäume?
Da müssen wir Kompromisse eingehen, denn der Untergrund ist beschränkt, der Winterdienst setzt ihnen zu. Wir versuchen Arten zu berücksichtigen, die in südeuropäischen Breiten gut wachsen wie Flaumeichen, Piniengewächse. Es gedeihen auch Platanen und Gleditschien aus Nordamerika in der Stadt. Wir pflanzen keine Alleen mit gleichen Baumarten mehr, sondern mischen sie. Wir können so beobachten, wie sie sich bewähren. Zudem wird bei einem Schädlingsbefall nicht die ganze Allee heimgesucht.
Werden neu gepflanzte Stadtbäume noch alt?
Damit Bäume alt werden, müssen sie ihr Wurzelwerk entfalten können. Ein Baum bräuchte ein gleich grosses Volumen im Erdreich, wie er es in der Luft beansprucht. Das ist in der Stadt kaum noch möglich. Darum und wegen den Werkleitungen werden Strassenbäume kaum mehr als 30 Jahre alt.
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Warum werden alte Bäume gefällt?
Nicht, weil sie unerwünscht sind. Im Auftrag der Stadt Zürich inspizieren Baumpflegespezialisten die Bäume im öffentlichen Raum. Sie müssen gefällt werden, wenn sie unstabil werden und drohen umzustürzen. Wir versuchen aber, jeden Baum zu erhalten und morsche Äste rechtzeitig zu entfernen. Allerdings werden bei manchen privaten Bauvorhaben grosse und viele Bäume gefällt. Darauf hat die Stadt momentan wenig Einfluss. Wir hoffen, dass sich hier die gesetzliche Grundlage künftig verbessert.
Wandern Tiere selbstständig ein?
Flugfähige Arten verbreiten sich schnell. Auf Flächen, die wir für Wildbienen aufgewertet haben, konnten schon nach einer Saison 60 Arten nachgewiesen werden. Die meisten Wildbienenarten nisten im lockeren Untergrund, also im Boden. In Zürich brüten auch verschiedene Vögel an Gebäuden wie Turmfalken, Alpen- und Mauersegler. Auch Fledermäuse haben Nistmöglichkeiten an Gebäuden akzeptiert.
Damit Arten in die Stadt einwandern können, sind Vernetzungskorridore wichtig, wie zum Beispiel Gleisanlagen der Bahn. Beim Hauptbahnhof Zürich leben zwischenzeitlich Mauer- und Zauneidechsen sowie Schlingnattern. Auch Gewässer aus den Hügeln, die in die Stadt fliessen, bilden solche Korridore. Sind sie vorhanden, wandern Tiere ein. Um Igel machen wir uns allerdings grosse Sorgen. Durch die Bautätigkeit und Vernichtung ihrer Lebensräume sind sie in der Stadt gefährdet.
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Obwohl von Klimaerwärmung, Biodiversitätsverlust und grünen Städten die Rede ist, fallen bei der Einfahrt per Zug nach Zürich in erster Linie Hochhäuser aus Glas auf. Bestimmt nicht viel eher das Kapital, wie Zürich aussieht, als Grün Stadt Zürich?
Ich hoffe nicht, dass es immer noch so ist. Doch den Eindruck teile ich. Bei der bahnhofsnahen Stadtentwicklung, die in den letzten Jahren umgesetzt wurde, wurde das Maximum an Margen herausgeholt. Mein persönlicher Eindruck ist, dass in den 2000er-Jahren das Diktat der Urbanität herrschte. Asphalt, Beton, Stahl und Glas dominieren. Ich glaube, dass das heute nicht mehr geht. Den Klimawandel fühlen alle, das Wissen ist da. Erkenntnisse sind dokumentiert und fliessen in Wettbewerbe und Planungsverfahren ein.
Warum denn all die neuen Betonklötze in der Stadt?
Was heute umgesetzt wird, wurde vor 15 bis 20 Jahren geplant. Die Stadt bemüht sich, nachzubessern und zu korrigieren, und schafft gewisse Anreizsysteme, um Bestehendes mit Massnahmen zur Hitzeminderung und Biodiversitätsförderung aufzuwerten.
Gibt es in Zürich grüne Wände?
Ja, wir fördern das speziell durch Beratung und auch durch finanzielle Unterstützung Interessierter. Wir arbeiten mit bodengebundenen Kletterpflanzen oder mit Pflanzen in grossen Trögen. Die Stadt Zürich besitzt das ehemalige Bettenhaus beim Triemlispital. Es wurde mit Pflanztrögen und künstlicher Bewässerung ausgestattet und präsentiert sich heute sehr grün.
Und die Glashochhäuser wie der Prime Tower, werden die auch begrünt?
An bestehenden Gebäuden dieser Bauart ist das kaum möglich. Die Stadt hat wenig gesetzliche Grundlagen, Privaten das vorzuschreiben.
Sind die Architekten gegen das Grün am Gebäude?
Das glaube ich nicht. Die städtebaulichen Rahmenbedingungen führen zu den Aufträgen. Wenn die Architekten zum Einbezug von Grünelementen aufgefordert werden, bin ich sicher, dass ganz tolle Entwürfe kommen. Investoren und Bauherren sind frei, sie müssen den Mehrwert erkennen. Sie schreiben den Wettbewerb aus. Darin können ein Dachgarten und grüne Wände für ein Bürogebäude formuliert werden.
Die Stadt kann definieren, was sie fördern möchte, beispielsweise, dass das aufgefangene Regenwasser nicht kanalisiert, sondern über Pflanzen am Gebäude verdunstet wird. Künftig wird das eine grosse Rolle spielen.
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Wie sieht für Sie die ideale Stadt aus?
Der Anteil Individualverkehr entscheidet darüber, wie viel Flächen frei werden, um grüne Freiräume zu schaffen. Ich kann mir vorstellen, dass es in Wohnquartieren nur noch Einbahnstrassen gibt und dass Parkplätze wegfallen. Das heisst, die Hälfte der Strasse kann begrünt werden. Das schafft enormes Potenzial! Ideal wäre: 50 Prozent weniger Asphalt dank weniger Individualverkehr.
Zur Person
Ingitta Scapozza leitet bei Grün Stadt Zürich die Bereiche Naturförderung und Bildung.
Die Bauingenieurin ist für Biodiversität und Naturschutz in der Stadt zuständig. Sie war vorher 20 Jahre in der Baubranche tätig.
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