Wie kam es, dass Sie sich auf Themen wie Bodenbeschaffenheit und Bodenqualität spezialisierten, Herr Mühlena?

Eigentlich wollte ich Biologie studieren, interessierte mich aber auch für die Arbeit in der Entwicklungshilfe. Als ich das Agrarwissenschaftliche Gymnasium besuchte, konnte ich beide Interessen miteinander verbinden. An der Universität Hohenheim bei Stuttgart führte ich dieses Fach fort und verliebte mich dort in die Bodenkunde. Bald merkte ich: Alles, was wir benötigen, hat seinen Ursprung im Boden. Mit der Frage, wie wir den Boden nachhaltig nutzen können, beschäftige ich mich intensiv seit meiner Bachelorarbeit in Äthiopien im Jahr 2009.

Was genau befindet sich unter unseren Füssen?

Die Wissenschaft definiert Boden als die Schnittmenge von Lithosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre. Das heisst, dort treffen Gestein, Luft, Wasser und Leben aufeinander.

Was verstehen Sie unter einem guten Boden?

Ein guter Boden begründet seinen Wert damit, was er dem Menschen oder den Organismen, die davon leben, bereitstellen kann. Wir sprechen da von den Ökosystemdienstleistungen, die Böden gratis erbringen. Böden dienen aber auch als Standort für Häuser, als Wasserspeicher oder als Filter für Wasser und Luft. So binden sie etwa Staubpartikel aus der Luft. Böden stellen einen existenziellen Wert dar, denn sie erbringen eine grosse Palette von Dienstleistungen.

Was lebt im Boden?

Die Bodenlebewesen werden auch als Edaphon bezeichnet. Damit ist die Gesamtheit der im Boden lebenden Organismen gemeint. Dazu gehören Einzeller, das tierische und pilzliche Leben. Pflanzen mit ihren Wurzeln gehören nicht dazu. Sie bilden aber das wichtigste Bindeglied. Die Zusammensetzung des Edaphons ist je nach Bodenart verschieden. Grob kann man sagen, etwa 40 Prozent des Bodenlebens besteht aus Bakterien, 40 Prozent aus Pilzen und Algen, 12 Prozent aus Würmern, alles andere, wie Mäuse und Insekten, macht 8 Prozent aus. Springschwänze und Kellerasseln sind ganz wichtige Bestandteile des Bodens. Nager wie Maulwürfe und Hamster spielen etwa in Böden mit Schwarzerde eine entscheidende Rolle. Der König dieses dunklen Reiches ist aber der Regenwurm.

Kellerasseln verarbeiten morsches Holz und Pflanzenteile zu Humus.
Kellerasseln verarbeiten morsches Holz und Pflanzenteile zu Humus.  (Bild: Shutterstock)

Was bewirken diese Bodenlebewesen?

Sie sind der Grund, warum sich Böden überhaupt entwickeln.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Boden besteht immer aus einem Ausgangsgestein wie Granit oder Basalt. Zu Beginn ist er der Witterung ausgesetzt, sodass eine physikalische und chemische Verwitterung stattfindet. Dazu gehört beispielsweise die Frostsprengung. Während dieses Prozesses baut sich gleichzeitig das Bodenleben auf. Zuerst siedeln sich auf der Gesteinsoberfläche Moose und Flechten an. Organische Säuren entstehen, welche die Mineralstrukturen angreifen. Im weiteren Verlauf wird so das Gestein immer kleiner, wird zu Sand und später zu Schluff und Ton. Das ist der Moment, in dem sich im Boden ein gigantisches Universum an Prozessen und Interaktionen eröffnet.

Was spielt sich da genau ab?

Wenn Pflanzenmaterial abstirbt oder lebende Wurzeln Zuckerschleime ausscheiden, werden sie vom Edaphon gefressen und zersetzt. Dabei entsteht Humus. Dieses Kontinuum aus Tonmineralen und toter organischer Substanz wird nun immer weiter von Bakterien und Pilzen als Nahrungsquelle genutzt, die es erneut verändern. Dadurch werden beispielsweise Huminstoffe gebildet. Sie sind das Geheimnis fruchtbarer Böden und bewirken eine dunkle, zuweilen tiefschwarze Färbung.

Bis in welche Tiefe ist der Boden belebt?

Das ist unterschiedlich. Tropische Böden etwa sind erdgeschichtlich sehr alt. Die Verwitterungsprozesse bewirkten, dass sie sehr tonhaltig sind. Man spricht da von lateritischen Böden oder auch Ferralsolen. Die andauernde und starke Verwitterung bewirkt, dass diese immer saurer werden, sodass sogar Aluminium frei wird. Freies Aluminium ist toxisch für Pflanzen. Das sind also sehr unfruchtbare Böden. Sie sind für Regenwaldbäume nur als Verankerungsgrund zu gebrauchen. Nährstoffe ziehen sie aber aus den mächtigen Humusauflagen im Oberboden. Der Regenwald lebt und gedeiht sozusagen auf sich selbst. Das Gegenbeispiel sind Schwarzerden in den kontinentalen Regionen wie in der Prärie in Nordamerika oder auch in Ostdeutschland, Polen und der Ukraine. Diese Böden haben sehr tiefe Einlagerungen von Humus. Schwarzböden sind die fruchtbarsten Böden der Welt und entstanden durch eine günstige Kombination aus mineralreichem Schluff, dem typisch kontinentalen Klima und Bioturbation.

Was ist Schluff und was bedeutet Bioturbation?

Bei Schluff handelt es sich um Feinböden. Die Bodenpartikel sind kleiner als zwei Millimeter. Bioturbation ist die biologische Durchmischung. Wühlende Nager wie Hamster und Feldmäuse bauen ihre Gänge und vermischen ständig Pflanzenmaterial und humusreichen Oberboden in die Tiefe. Stellen Sie sich mal vor, wie viele Tausende Tonnen allein an Wurzeln in diesen Böden wachsen. Ein Festmahl für Wurm und Maulwurf.

Verarmen die Böden ohne die wühlenden Nager?

Nicht unbedingt, denn es spielen auch andere Faktoren rein. Die eben beschriebenen Bedingungen gibt es etwa in der Schweiz nur bedingt. Im alpinen Bereich finden wir oft sehr flachgründige Böden, die nur 30 bis 40 Zentimeter tief sind, dann kommt der nackte Fels. In den Senken, meist unten am Hang, bilden sich fruchtbarere Böden, die auch Kolluvium genannt werden. Es handelt sich dabei um eine Bodenform, die durch Erosionsprozesse tiefgründig und humusreich ist.

Welche Mineralien enthält ein typischer Schweizer Boden und was bewirken sie?

Alle. Die Schweiz ist durch die Alpen mineralisch hervorragend ausgestattet. Mineralien sind im Gestein eingeschlossen und werden durch Verwitterung frei. Beispielsweise enthält Basalt viel Kalium, Olivingestein viel Magnesium. Die Alpen bilden ein unerschöpfliches Mineralienreservoir. Gletschermilch ist reich an Mineralien. Durch die Hobelwirkung der Gletscher wird das Alpengestein zu Geschiebemergel zerkleinert und dann über die Bäche und Flüsse hinausgetragen. Manches bleibt auch liegen, sobald sich Gletscher zurückziehen. Erst durch die Bildung von Geschiebemergel in der Alpenregion und dem Zurückweichen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit wurde die Grundlage für die fruchtbaren Lössböden Mitteleuropas gelegt. Löss ist reich an Mineralien und hat die Korngrösse von Schluff, also zwischen Sand und Ton. Nur Schluff kann vom Wind aufgehoben und tonnenweise als Staub Hunderte Kilometer weit verfrachtet werden. Und genauso war es. Auch die Schweiz selbst wurde mit dieser Fracht aus den Bergen gesegnet und verfügt über frucht-bare Lössböden im Flachland und mineralreiche Schwemmlandböden in weiten Flusstälern.

Welche Rolle spielen Luft, Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO2) bei der Bodenbildung?

Luft ist elementar, denn Lebewesen brauchen Sauerstoff zum Atmen. Wasser ist das wichtigste Lösungsmittel. Damit werden etwa Salze gelöst, die von Mikroorganismen aufgenommen werden können. Wasser ist auch für die physikalische Verwitterung zuständig. Kohlenstoffdioxid im Boden entsteht durch die Atmung der Lebewesen und Wurzeln. Sie verbrauchen Sauerstoff, dabei entsteht CO2. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre beträgt etwa 0,03 Prozent. In 30 Zentimetern Bodentiefe liegt er deutlich höher und kann auch mal auf 0,25 oder sogar 5 Prozent ansteigen. Der Luftaustausch im Boden ist eben sehr langsam. Da weht nur der Wind, wenn der Wurm pupst (lacht).

Wie steht es um die landwirtschaftlichen Böden?

Seit den 60er-Jahren wurde neben Stallmist hauptsächlich mit mineralischem Stickstoff gedüngt. Das war und ist bis heute der Hauptgrund, warum der Humus dahinschmolz. Wo der Anteil früher bei 3 Prozent und höher lag, finden sich heute oft nur noch 0,8 Prozent. Es ist dramatisch. Aber es bringt nichts, den Bauern dafür Vorwürfe zu machen. Sie wollen ihre Lebensgrundlage erhalten, denn fruchtbare Böden sind ihr Kapital. Leider geht das oft systembedingt nicht. Eine Grünbrache bedeutet keine Ernte und weniger Verdienst. Wenn ein Landwirt bodenkonservierend arbeiten möchte und den Pflug weglässt, kann das böse enden. Dazu gehören viel Anwenderwissen und Erfahrung.

Bitte erklären Sie die Wirkung von Kunstdünger.

Kunstdünger sind konzentrierte Nährstoffbomben ohne Kohlenstoff. Über diese Dünger gelangen grosse Mengen an mineralischem Stickstoff und Phosphat in das System. Man kann sich das plakativ so vorstellen: Für jede Einheit mineralischen Stickstoffs verbrauchen sich fünf Einheiten Kohlenstoff. Humus besteht im Wesentlichen aus Kohlenstoff. Daher ist es wichtig, auf das Verhältnis dieser beiden Komponenten zu achten. Wenn im Boden ein gutes Verhältnis von Kohlenstoff und Stickstoff besteht – es sollte nicht unter 10:1 fallen –, stellen sich Bedingungen für Humusaufbau ein. Besteht ein Stickstoffüberschuss, knabbern sich die Bakterien wie wild durch den Humuskomplex und fressen ihn immer weiter auf. Deswegen ist ein Kuhfladen ein so wunderbares Ding. Darin ist alles so zusammengesetzt, wie es ein Boden braucht.

Jeder Boden ist anders. Hier ein Querschnitt durch verschiedene Schichten.
Jeder Boden ist anders. Hier ein Querschnitt durch verschiedene Schichten.  (Bild: Shutterstock)

Ist denn Kunstdünger per se schlecht für den Boden?

Nein, nicht unbedingt. Aber er ist eine scharfe Klinge. Zu viel davon ist schlecht, und es geht auch anders. Ich tue dem Boden keinen Gefallen, wenn ich viel Stickstoff ausbringe und dabei den Kohlenstoff und alles andere vergesse, was ein aktives Bodenleben sonst noch benötigt. Kunstdünger sind die einfachste und schnellste Lösung. Das bedeutet aber nicht, dass sie gut sind. Dreh- und Angelpunkt für einen fruchtbaren Boden ist immer wieder das Bodenleben.

Ist es wichtig, Boden brach zu lassen?

Ja, dem Ackerboden sollte immer wieder Zeit zur Regeneration gegeben werden. Schon in der Bibel ist beschrieben, dass der Boden alle sieben Jahre brach liegen soll. Aus wirtschaftlicher Sicht wird das aber nicht mehr praktiziert, obwohl ich einen Biobauern kenne, der das seinerzeit erfolgreich so gemacht hat.

Was empfehlen Sie?

Bei der Dreifelderwirtschaft sollte die Fruchtfolge so gestaltet werden, dass sich zumindest immer ein Teil des Bodens während eines Jahrs regenerieren kann. Es ist aber auch möglich, den Boden so zu bewirtschaften, dass er keine Brachzeit braucht. Mischkulturen verbessern das Bodenleben. So können etwa Leguminosen zwischen Mais gepflanzt werden. Leguminosen binden den Luftstickstoff im Boden. Viele dieser Praktiken werden schon umgesetzt.

Wie entsteht im Garten wertvoller Boden? Was macht ein Hobbygärtner?

Dem Beet sollte immer wieder hochwertige, organische Substanz mit guten Anteilen an Nährstoffen zugeführt werden. Dies gelingt über den Einsatz von Kompost, Mulchauflagen und Dünger in Form von kompostiertem Stallmist oder auch Hornspänen. Geben Sie Ihrem Boden auch gerne mal ein wenig ungewürzte Fischabfälle ins Pflanzloch. Sie enthalten viel Phosphat und Stickstoff. Ansonsten tut es auch mal ein Biostimulant wie ein Huminstoffkonzentrat mit Aminosäuren. Wer es gerne selber macht, kann auch auf die klassische Brennnesselgülle zurückgreifen. Sie werden staunen, wie ihre Tomaten damit gedeihen. Ausserdem ist es sinnvoll, die Mulchauflage ganz gezielt zu nutzen, um Bodenerosion und unnötige Verdunstung zu minimieren.

Kann aus einer Wüste ein Acker werden?

Ja, wenn man den Kreislauf ins Laufen bringt. In erster Linie ist dies aber abhängig von den Niederschlagsmengen. Je weniger Wasser zur Verfügung steht, desto schwieriger bis unmöglich wird es. Es gibt beispielsweise ein Projekt in China, wo versucht wird, die Wüste zurückzudrängen. Ich denke auch an die grüne Mauer in der Sahelzone, ein weiteres Projekt. Da versucht man durch gezieltes Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern, das Fortkommen der Wüste abzubremsen. Das Ziel ist es, Dünenbewegungen zu stoppen und über Jahrzehnte durch den Vegetationsaufbau das lokale Klima zu beeinflussen. Wald verringert auch den Erosionsprozess, so dass wertvoller Oberboden nicht ins Meer getragen wird. Wenn es gelingt, hat man zum einen eine effektive Bodenbeschattung, sodass das Wasser im Boden bleibt. Zum anderen verdunsten die Bäume dieses Wasser über ihre Blätter. Bei einer kritischen Bewaldungsdichte fördert das die Wolkenbildung und das Abregnen feuchter Luft. Wenn dieser Kreislauf von Verdunstung und Abregnen einmal in Schwung ist, entsteht ein sich selbst tragendes System. So wie auch der Regenwald, der auf sich selbst wächst. Damit einher geht insgesamt eine Abkühlung des Klimas durch Verdunstungskälte. Aber da gibt es auch einen Haken.

Der wäre?

Wenn überall Wald steht, wo soll das Getreide wachsen? Die Weltbevölkerung steigt andauernd und benötigt immer mehr Nahrung. Da stossen wir politisch und wirtschaftlich an Grenzen des Machbaren.

Jan Mühlena.
Jan Mühlena.  (Bild: zVg)

Zur PersonJan Mühlena ist Agrarwissenschaftler und Boden-experte. Der Bonner ist für den Schweizer Substrathersteller Terre Suisse AG aus Altstätten (SG) tätig und führt das Beratungsbüro Lebensgrund Consulting. Im Rahmen dieser selbstständigen Beratungstätigkeit ist er regelmässig in afrikanischen Ländern unterwegs, wo er sich mit der Ernährungssicherheit und Landwirtschaft in klimatisch herausfordernden Regionen beschäftigt. Standortgerechtes Pflanzen und die Bodenqualität sind seine Spezialgebiete. lebensgrund-consulting.de