Zitronen haben sein Leben komplett verändert. Niels Rodin, kurze Hosen und oranges T-Shirt, stapft entlang kleiner Bäumchen, reibt an den ledrigen, grünen Blättern, riecht daran und lächelt, als sich frischer Zitrusduft entfaltet. Seine Yuzus wachsen draussen zwischen Genfersee und Juragebirge in Borex, oberhalb von Nyon im Waadtland. Yuzus sind eine Kreuzung zwischen zwei verschiedenen Zitrusarten, der Ichang-Zitrone und der Mandarine. «Die Art wird schon seit Tausenden von Jahren in China und Japan angebaut», erzählt der ehemalige Banker.

[IMG 2]

Früher sass der 45-Jährige in Anzug und Krawatte in Seminaren, jettete um die Welt, beriet Kunden. Er erinnert sich, wie er auf Zitruspflanzen kam: «Mein Leben bestand nur noch aus Arbeit, ich wollte mir eine Freude gönnen und kaufte im Supermarkt ein kleines Zitronenbäumchen mit Früchten an den Zweigen.» Die Pflanze entfaltete sich auf dem Balkon seiner Genfer Wohnung. Alles ging gut, bis der Winter kam. «Ich nahm meine Zitrone in die Wohnung.» Es dauerte nicht lange, bis sie ihre Blätter abwarf, serbelte und verstarb. Das war der Beginn von Rodins Leidenschaft. Er tauchte vollständig in die Welt der Zitruspflanzen ein. «Ich wollte wissen, warum die Pflanze einging, suchte im Internet nach Informationen und entdeckte eine unglaubliche Welt.»

«Der Geschmack war sehr exotisch, ich verliebte mich in Yuzus»

Niels Rodin, Experte für Zitruspflanzen, Borex VD

Bald stellte er fest, dass es nicht nur Zitronen, Orangen und Mandarinen gab. Er stiess auf die Yuzu, fragte in einer Japanboutique danach. Die Verkäuferin hat ihm schliesslich eine frische Frucht aus Japan gebracht. «Der Geschmack war unglaublich reichhaltig, sehr exotisch, ich verliebte mich in Yuzus.» In einer Baumschule in Frankreich kaufte er eine Pflanze und pflegte sie erneut auf seinem Balkon. Es blieb nicht dabei.

[IMG 3]

Geduld versus virtuelle Arbeit

Niels Rodin wurde zum Sammler von Zitruspflanzen. Er erzählt von der Fingerlimette, deren Fruchtfleisch wie Kaviar aussehe, und von der Bitter- oder Dreiblättrigen Orange. Sie interessierte ihn besonders, weil sie zu den frosthärtesten Zitruspflanzen gehörte. Bald wurde sein Balkon zu klein. Er zog in eine Wohnung mit einem grossen, kühlen Keller mit Fenster. Gut zur Überwinterung von Zitruspflanzen. Auch dieser Raum platzte rasch aus allen Nähten. Schliesslich fand er in Borex ein leer stehendes Treibhaus, das er mieten konnte. «Ich erhielt viele Absagen. Ein Mann in Anzug, der nach einem Treibhaus sucht, erschien den meisten Bauern wohl als verrückt», erinnert er sich schmunzelnd.

Niels Rodin lernte, wie Zitrusbäume geschnitten werden, welche Pflege sie brauchen. «Aus den Früchten stellte ich einen Limoncello-Likör her, verschenkte ihn Kollegen auf der Bank.» Das schlug ein, bald hatte Niels Rodin viele Anfragen von Interessierten, die den Likör kaufen wollten. Er witterte ein gewisses kommerzielles Potenzial, Ideen begannen zu reifen. «Als ich an einem weiteren Treffen mit lauter dunkel gekleideten Herren sass, wusste ich, dass ich aussteigen wollte», erinnert sich der Schweizer Zitrusbauer, der in Lausanne aufwuchs. Niels Rodin reduzierte seine Arbeit sukzessive, mietete mehr Treibhäuser an, bis er sich ganz aus der Bankenwelt verabschiedete.

[IMG 4]

«Meine Einnahmen heute sind viel geringer, doch arbeite ich für etwas Lebendiges, Reelles. Es wächst, braucht Geduld. Das ändert die Mentalität.» Früher sei alles virtuell und nichts konkret gewesen, der rasche Erfolg habe gezählt. Auf Niels Rodins Feldern wachsen schon lange nicht mehr nur Zitruspflanzen. Er ist zu einem Experten für Beeren und Früchte mutiert, kreuzt verschiedene Sorten, immer in der Hoffnung auf das kulinarisch Optimale und Exklusive. «Hier, Schwarze Hagebutten», sagt er. Ihr Geschmack sei intensiv. An einem weiteren Strauch färben sich im August gelbe Früchte ins Rötliche. «Die Kornelkirsche enthält 30-mal mehr Vitamine als Orangen», schwärmt Niels Rodin, weist auf einen Aronia-Beeren-Hybriden hin, bevor er in ein Treibhaus verschwindet, wo nebst den Zitrusbäumen Papayas, Bananen und die Indianerbanane gedeihen.

Buddhas Hand unterhalb des Juras

«Eine Kreuzung zwischen Mango und Banane, sehr schmackhaft», merkt der Pflanzenzüchter an. Auch bei den Bananenstauden pröbelt er an Sorten, die den Winter überstehen. Winterresistente Granatäpfel hat er bereits gefunden. Sie tragen kleine Früchte und Blüten. «Auf Gebirgszügen in der Türkei und im Iran gibt es Sorten, die heisse Sommer und kalte Winter vertragen», merkt der Frucht- und Beerenspezialist an.

[IMG 6]

Seine Ferme aux agrumes besteht heute aus ganzen 3600 Quadratmetern Gewächshausfläche. Zwischenzeitlich sind sieben Mitarbeiter auf dem Betrieb tätig. Eine Tonne Früchte jährlich werden auf dem Schweizer Zitrusbauernhof geerntet. «Das ist wenig, wir können die Nachfrage nicht decken», sagt Niels Rodin. Er importiere darum Früchte von Betrieben aus Sizilien, die nach den gleichen Prinzipien arbeiten würden wie er. Seine Kunden seien meist Gourmetrestaurants, aber auch lokale Gastrobetriebe.

«Meine Einnahmen sind viel geringer, doch arbeite ich für etwas Lebendiges, Reelles.»

Niels Rodin, Pflanzenzüchter, Borex VD

Auch punkto biologischer Landwirtschaft hat sich der ehemalige Banker und heutige Zitrusbauer mit Beharrlichkeit im Selbststudium weitergebildet. Er erzählt: «Wir haben die Mentalität in der Schweiz, dass es für jedes Problem ein Produkt gibt.» Auch er sei zu Beginn von diesem Denken geprägt gewesen. «Bis ich gelernt habe, zu beobachten und Geduld zu haben.» Niels Rodin lobt die Arbeit der Firma Biocontrol Andermatt. Für jeden Schädling gebe es auch einen Nützling. «Es dauert aber fünf Jahre, bis sich Erfolg einstellt. Dann aber ist er dauerhaft.»

[IMG 7]

Als eine Mäuseplage ein Feld heimsuchte, setzte er sich an den Rand, beobachtete. Er schichtete Steinhaufen für das Hermelin auf, brachte Nistkästen für Falken an und pflanzte Knoblauch zwischen seine Yuzubäumchen. Das half.

Seine Treibhäuser heizt er im Winter auf ungefähr zwei Grad Celsius, nicht mehr mit Öl, sondern mit erneuerbarer Energie. Doch für Zitrus- und tropische Pflanzen ist nicht nur das Klima ausschlaggebend, sondern auch die Bodenbeschaffenheit. «Es gibt Sorten, die eher kalkhaltige Erde vertragen.» Normalerweise mische er unter die Erde Stroh, Kuhmist, Kompost und Hornmehl. «Hier, Buddhas Hand!», ruft Niels Rodin begeistert und zeigt auf eine Zitrone mit Fingern. Eine weitere Kuriosität in seiner Sammlung von etwa 200 Sorten der Zitruspflanzen.

[IMG 8]

 

Begleiter der Menschen
Die Gattung Citrus zählt zu den Rautengewächsen (Rutaceae). Zitrusfrüchte werden seit der Antike gezüchtet. Heute gibt es zahlreiche Hybridformen. Die Ausgangsarten waren vermutlich die Zitronatzitrone, der Mandarinen- und der Pomelobaum. Ursprünglich stammen Zitrusgewächse aus dem tropischen und subtropischen Südostasien. Sie wurden im Mittelmeergebiet akklimatisiert und kultiviert. Der Name der Klementine etwa geht auf Frère Clement zurück, einen französischen Kartäusermönch in Algerien, der für die Gärtnerei eines Waisenhauses zuständig war und Zitrussorten züchtete, die Minusgrade vertrugen. In der Forschung und Zucht von Zitruspflanzen ist Russland durch das Institut Vavilov in St. Petersburg führend. Zitrusfrüchte sind in Russland sehr populär. Hier wachsen mehr Zitrusfrüchte als beispielsweise in Südafrika.