Was tun, wenn der Boden keine hohen Erträge hergibt? Die Bauern setzten mehr Dünger ein. So auch im Klettgau – mit dem Resultat, dass die Nitratwerte im Trinkwasser stark anstiegen.

«Der Boden hier ist sehr flachgründig», erklärt Dr. Markus Jenny. Der pensionierte Agrarökologe steht am Rand eines Ackers östlich des Dorfs Neunkirch im Klettgau im Kanton Schaffhausen. Es blitzen ebenso viele helle Steine in der nachmittäglichen Sonne auf wie braune Erde. Während des letzten Eiszeitalters sei der Rhein hier durchgeflossen und habe ein Trogtal geschaffen, das später mit Geröll, Sand und Kies aufgefüllt wurde, erzählt Markus Jenny. Den Biologen zieht es immer wieder hierhin. Er arbeitete während 35 Jahren für die Schweizerische Vogelwarte Sempach und bewirkte, auch dank finanzieller Unterstützung des Fonds Landschaft Schweiz (FSL), unter Einbezug der Bauern und lokalen Behörden, dass diese uralte Schweizer Steppenlandschaft erhalten bleibt. Eine Schlüsselrolle spielen alte Getreidearten. Der Weg dazu hört sich an wie eine Kriminalgeschichte.

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«Es ist entscheidend, dass die Landwirtschaft standortangepasst produziert», betont Jenny. Im Fall des Klettgaus lag die Lösung auch im Wiederanbau alter Getreidearten. Markus Jenny: «Hier in der Nähe befand sich eine 7000 Jahre alte Siedlung. Archäologische Forschungen erbrachten Nachweise der alten Getreidearten Emmer und Einkorn.» Die robusten Spelzgetreide seien aus Wildgräsern selektioniert worden. Bei der jungsteinzeitlichen Siedlung handelte es sich wohl um eine der ältesten Gemeinschaften von sesshaften Bauern in der Schweiz. Und mit diesen Getreiden hätten sie auf den Kalkscherbenböden der offenen Landschaft des Klettgaus Erfolg gehabt, erzählt Markus Jenny, im Arm eine Garbe mit Halmen von Emmer und Einkorn.

Widerstandsfähig und robust

Doch wie erweckt man Urgetreide wieder zum Leben, das vor 7000 Jahren angebaut wurde? «Wir konnten nicht einfach Saatgut einkaufen gehen», resümiert er. Dass es Emmer und Einkorn heute noch gebe, sei auch dem Agronomen Peter Züblin zu verdanken. Züblin habe in Buus im Baselland bei einem kauzigen Bauern in den Jahren um 1950 letzte Körner gefunden. «Es war eine ‹Ufwüschete› von schmutzigen Körnern und Mäusedreck», erzählt Jenny, der damit begann, in seinem eigenen Garten kleine Abschnitte mit den beiden Getreidesorten Emmer und Einkorn anzupflanzen. Schliesslich wuchsen zahlreiche Ähren heran, sodass Saatgut gewonnen werden konnte.

Markus Jenny überzeugte Bauern mit Feldern im Gebiet Widen östlich von Neunkirch im Klettgau, den Emmer anzubauen. «Wir konnten dadurch die Landwirtschaft agrarökologisch optimieren», schwärmt Jenny. Emmer und Einkorn seien sehr widerstandsfähig und robust. «Solche Kulturen müssen nicht mit Pestiziden behandelt werden.»

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Da immer mehr Bauern wertvolle Biodiversitätsförderflächen anlegten und die alten Getreidearten anbauten, verbesserte sich die Trinkwasserqualität. Doch nicht nur das. Markus Jenny regte die Landwirte im Sinne des ursprünglichen Ackerbaus an, auf einigen Biodiversitätsförderflächen eine Dreifelderwirtschaft zu praktizieren, so wie sie im Mittelalter gebräuchlich war. Er erklärt: «Früher teilten die Bauern ihre Äcker in drei Teile auf. Auf einem Teil wurde Wintergetreide und auf dem zweiten Sommergetreide angebaut. Der dritte Teil blieb brach.» Die Folge dieser ökologischen Aufwertungen: Die Biodiversität im Klettgau stieg sprunghaft an. Der Bestand des Feldhasen pro Quadratkilometer erhöhte sich im Gebiet Widen von vier bis fünf Individuen auf rund 20. Der Ornithologe Markus Jenny freut sich auch über die Entwicklung des Feldlerchenbestands: «Auf dem fünf Quadratkilometer grossen Gebiet Widen gibt es immer noch rund 130 Feldlerchenreviere. Zum Vergleich: Im Kanton Aargau wurde der Gesamtbestand 2021 auf 150 bis 200 Brutpaare geschätzt.»

Es ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren, dass sich seltene Vogelarten wieder im Klettgau etablierten. Entscheidend sind extensiv bewirtschaftete Wiesen. Wiesenbrüter wie Feldlerchen können dank dem späten Schnitt ihre Bruten aufbringen. Doch auch die Ackerbegleitkräuter sind wichtig, die sich durch den Anbau der alten Getreide entfalteten. «An jeder Ackerwildkrautart leben durchschnittlich rund ein Dutzend spezialisierte Insektenarten», betont Markus Jenny. Sie bilden die Nahrung für bodenbrütende Vogelarten des Kulturlands wie Feldlerchen und Wachteln.

Schweizer Superfood

Das Gebiet liegt im Regenschatten des Schwarzwaldes. Die Trockenheit und die kargen Böden um den Randen, einen Ausläufer des Juras im Schaffhausischen, führen dazu, dass die Landschaft seit Jahrtausenden offen geblieben ist. Die Feldlerche halte 150 Meter Abstand zu Hecken und Bäumen, wenn sie ihr Nest errichte. «So fühlt sie sich beim Brüten sicher.» Sie ist ein typischer Steppenvogel, denn sobald Büsche und Bäume zu engmaschig wachsen, brütet sie nicht mehr. Weitere typische Arten des Gebiets sind Neuntöter, Grau- und Goldammern, Schwarzkehlchen, Dorngrasmücken und Turmfalken.

Nur das Rebhuhn hat sich nicht halten können. «Die Art ist heute in der Schweiz ausgestorben», sagt Markus Jenny. Mit sehr viel Aufwand habe man ab den 1990er-Jahren versucht, die Art im Gebiet wieder anzusiedeln. «Nach anfänglichen Erfolgen ist der Bestand in schweren Wintern eingebrochen.»

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Dafür haben viele andere Zielarten von den Massnahmen profitiert. Das gelang nur, weil der charismatische Naturschützer alle ins Boot holte, vom Bauern bis zum Bäcker, der anschliessend das alte Getreide verarbeitet. Markus Jenny ist überzeugt: «Emmer und Einkorn sind Schweizer Superfood. Sie haben einen hohen Proteinwert und sind hinsichtlich Inhaltsstoffe weitaus wertvoller als moderne Brotweizensorten.»

Er bedauert es sehr, dass es nicht gelang, die alten Schweizer Getreidearten weitherum bekannt zumachen. Dafür wären gross angelegte PR-Massnahmen notwendig. «Konsumenten kennen heute zwar Quinoa, nicht aber Emmer und Einkorn.» Zudem sei der Bioboom, der durch Corona ausgelöst worden sei, wieder eingebrochen. Doch die wertvolle Kultur- und Steppenlandschaft um Neunkirch bleibt erhalten, auch wenn heute nur noch ganz wenig Emmer angebaut werde.

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Heute werden zahlreiche Brachen durch das Planungs- und Naturschutzamt des Kantons Schaffhausen betreut. Es sei wichtig, dass Bauern aber auch eigenverantwortlich arbeiten würden. Ein ressourcenschonender Anbau der Kulturen und ein Anteil von mindestens fünf Prozent wertvoller Biodiversitätsflächen machen das Ökosystem widerstandsfähiger. «Die Erträge gehen etwas zurück, aber es ergibt sich dadurch weniger Stress für die Natur. Es ist eine Erfolgsstory», betont Markus Jenny.

Im Klettgau haben viele Bauern den Sinn agrarökologischer Anbaumethoden erkannt. Dazu haben sicher nicht nur die im Frühling singenden Feldlerchen beigetragen, sondern auch die verbesserte Trinkwasserqualität. Steppen sind selten in der Schweiz. Im Klettgau konnten sie erhalten werden.

Fonds Landschaft SchweizDer Fonds Landschaft Schweiz (FLS) unterstützt Landschaftsprojekte in der ganzen Schweiz. Er wurde 1991 vom Parlament zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft gegründet, um Projekte zur Erhaltung und Aufwertung naturnaher Kulturlandschaften zu fördern. In den 1990er-Jahren unterstützte der FLS das Klettgauer Rebhuhn-Emmer-Projekt. Dadurch ist eine einmalige Kulturlandschaft mit standortgerechter Produktion und ökologischen Ausgleichsflächen entstanden. Die Artenvielfalt bezüglich Pflanzen und Tieren stieg sprunghaft an. 2023 hat nun der FLS erneut den Kanton Schaffhausen bedacht, indem dem Regionalen Naturpark Schaffhausen ein Beitrag an dessen Landschaftsförderungsprojekt gesprochen wurde.