Das Kätzchen windet sich im Todeskampf. Eine Schlange hat sich in dem kleinen Körper verbissen und vereint sich mit ihm in der staubigen Grube im Boden zu einem unübersichtlichen Knäuel aus Schuppen und Fell. Auftritt des Helden: Ein Mann hebt das Bündel mit einem Stock aus dem Loch und löst die Schlange von ihrer Beute. Zwei weitere Hände tragen das Reptil aus dem Bild, während der erste Mann den schlaffen Körper des Kätzchens in die Kamera hält. Schnitt. Jemand tröpfelt dem reglosen Tier mit einer Pipette Wasser ins Mäulchen. Schnitt. Das Kätzchen sitzt auf dem Schoss eines Mädchens und wird gestreichelt.

Unter dem Video in den Kanälen der sozialen Medien werden die beiden Männer als Helden gefeiert. Eine mutige Rettung, selbstlos im Angesicht der Gefahr. Toll, dass es dem Kätzchen wieder gut geht! Mehrfach wurde das Video geteilt, unzählige Male wurde es angesehen und kommentiert. Tiervideos stehen auf Youtube, Facebook und Tiktok schon lange hoch im Kurs. Nur eines lieben die Userinnen und User mehr als putzige Kätzchen und Hündchen: Filmchen, in denen süsse Tiere gerettet werden.

In eigener SacheDie TierWelt verzichtet bewusst darauf, in diesem Artikel ein inszeniertes Tierrettungs-Video zu zeigen. Wir wollen damit verhindern, dass solche Videos noch zusätzlich eine Plattform erhalten.

Doch viele der Videos werfen Fragen auf. Wieso wurden die Szenen so ausführlich gefilmt? Warum hilft die filmende Person nicht bei der Rettung? Ist das Ganze als Rettung glaubwürdig? Wie realistisch ist es, dass ein Tier überhaupt in eine solche Situation kommt? Tatsächlich äussern verschiedene Tierschutzorganisationen seit geraumer Zeit Kritik an einem besorgniserregenden Trend: Inszenierte Videos von angeblichen Tierrettungen überschwemmen die sozialen Medien und werden oft kritiklos gelikt und geteilt. Dies bedeutet für die Ersteller nicht nur Reichweite und digitalen Ruhm, sondern kann auch erhebliche finanzielle Vorteile mit sich bringen. Oftmals befinden sich unter den Videos Hinweise dazu, wie für das angeblich gerettete Tier gespendet werden kann.

Zusätzlich können Nutzerinnen und Nutzer mit ihren Videos Geld verdienen, wenn sie sich bei den Plattformen entsprechend registrieren. Dieses Geld wird durch Werbung generiert, welche vor die jeweiligen Videos geschaltet wird. Je mehr Klicks, desto mehr Einnahmen. Und Tiervideos werden gerne angeklickt, umso mehr, wenn sie mit dramatischen Titeln wie «Süsses Kätzchen vor Schlange gerettet!» versehen sind, oft kombiniert mit emotionalen Aufforderungen wie «Versuch nicht zu weinen!» und einem entsprechenden Emoji. Die Ersteller der Videos inszenieren dabei gezielt Tierleid, um dann als Helden gefeiert zu werden und schliesslich direkt davon finanziell profitieren zu können.

Das sagen die Plattformen

Laut den Youtube-Richtlinien sind «Inhalte, die eine inszenierte Tierrettung zeigen, bei der das Tierwohl gefährdet wird» verboten. Bei Facebook und Tiktok findet man keine speziellen Richtlinien, aber auch dort verstossen Darstellungen von Gewalt gegen die Gemeinschaftsstandards. Trotzdem findet man unzählige Videos offensichtlich inszenierter Tierrettungen. Der Eindruck entsteht, dass die Löschung solcher Inhalte selten oder verzögert stattfindet. Letztlich verdienen auch die Plattformen an der geschalteten Werbung; rund die Hälfte der Einnahmen geht direkt an die Betreiber. Ein lukratives Geschäft.

Wir konfrontierten Facebook, Youtube und Tiktok mit bei unseren Recherchen gefundenen Videos. Facebook schickten wir die Links zu dem im Text beschriebenen Video mit der Katze in der Schlangengrube. Zudem fanden wir ein Video, in dem ein Kleinkind offensichtlich dazu ermutigt wird, mit einer Kobra zu spielen, und dabei mehrfach von dem Tier attackiert wird. Zwar keine inszenierte Tierrettung, aber definitiv ein Video, das Empörung hervorrufen sollte. Ein Sprecher des Plattformbetreibers Meta antwortet in einer Mail: «Die Kolleginnen haben die Videos überprüft, sie verstossen nicht gegen unsere Richtlinien. Sie wurden aber mit einer Warnmeldung für sensible Inhalte markiert, damit Nutzerinnen und Nutzer besser entscheiden können, ob sie den Inhalt sehen wollen oder nicht.»

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Der von Google betriebenen Plattform Youtube schicken wir den Link zum ebenfalls auf der Seite zu findenden Video mit der Katze in der Schlangengrube. Ein Sprecher antwortet: «Gewalt oder Missbrauch von Tieren haben auf Youtube keinen Platz. Wir bestätigen, dass das von Ihnen gemeldete Video entfernt wurde.» Youtube verfolge strenge Richtlinien zum Verbot von Inhalten mit Missbrauch von Tieren. Im letzten Jahr seien die Richtlinien zu gewalttätigen und anstössigen Inhalten dahingehend erweitert worden, dass Inhalte, in denen Tieren absichtlich körperliches Leid oder Schaden zugefügt wird, einschliesslich inszenierter Tierrettungen, noch deutlicher untersagt werde.

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 26/2022 vom 29. Dezember 2022. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

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«Allein in diesem Jahr haben wir Hunderttausende von Videos entfernt und Tausende von Kanälen gesperrt aufgrund von Verstössen gegen unsere Richtlinien zu gewalttätigen und anstössigen Inhalten,» berichtet Youtube. Das Unternehmen setze dabei auf eine Kombination von Mensch und Computer, dem sogenannten Machine Learning, bei dem solche Videos zum Teil manuell, zum Teil automatisch erkannt und entfernt würden. Wiederholungstäter würden dabei permanent gesperrt werden. Bei der Flut an täglich hochgeladenen Videos sei die Plattform aber auch auf die Mithilfe der Nutzer-innen und Nutzer angewiesen, die solche Videosmelden. Auch Tiktok schickten wir eine entsprechende Anfrage mit einem Link, erhielten jedoch bis heute keine Antwort.