Psychologin im Interview
«Angst vor der Klimakatastrophe ist normal.»
Die Klimakrise löst eine ganze Palette von Emotionen aus. Wie sich das auf die Gesellschaft und jeden Einzelnen auswirkt, untersucht der Verein «Psychologists for Future».
Frau Cuvelier, welche Emotionen entstehen rund um die Klimakrise?
Wenn man mit den positiven anfängt, dann Motivation, sich zu engagieren und etwas zu ändern, oft in Kombination mit Zuversicht, dass wir das auch schaffen. Darin schwingt vielleicht auch Neugierde darauf, was die Zukunft bringt. Leider stehen aufgrund der Situation meist die negativen Emotionen im Vordergrund, wie die Angst vor der Zerstörung der Lebensgrundlagen oder der persönlichen Veränderungen, die mit der Klimakatastrophe einhergehen. Der Verlust der Natur und des gewohnten Lebensstils kann Trauer auslösen. Dazu kommen Hoffnungslosigkeit und Wut, wenn sich trotz des eigenen Engagements nichts ändert oder die Veränderungen nur langsam vonstatten gehen. Auch Schuld- und Schamgefühle bezüglich eigener nicht nachhaltiger Verhaltensweisen kommt häufig vor.
Wie kann man mit der Angst vor den Konsequenzen der Klimakatastrophe am besten umgehen?
Als Erstes muss man wissen, dass die Angst völlig normal ist. Die Krise, in der wir stecken, und die Aussichten auf das, was noch kommt, sind bedrohlich. Den oft verwendeten Begriff «Klimaangst» halte ich daher auch für problematisch, weil es impliziert, dass es sich bei dieser Angst um etwas Pathologisches, Krankhaftes handelt. Solange man handlungsfähig bleibt, kann Angst auch etwas Gutes haben und zum Beispiel zum Handeln animieren. Wer aber vor lauter Sorgen nicht mehr schlafen oder seinen Alltag bewältigen kann, der sollte sich Hilfe suchen. Als Allererstes hilft der Austausch mit Gleichgesinnten, dann sieht man, dass man mit seinen Ängsten nicht alleine ist. Politisches Engagement gibt einem das Gefühl, etwas tun zu können, und hilft der Sache. Wichtig ist aber auch, dass man sich nicht pausenlos mit der Thematik beschäftigt, sondern sich bewusst Auszeiten gönnt. Das Problem, vor dem wir stehen, ist zwar gross, aber man sollte nicht vergessen, sich auch um sich zu kümmern.
Sich um sich selbst zu kümmern, bedeutet auch oft, sich etwas zu gönnen. Und dann kommt das schlechte Gewissen, weil man ja eigentlich Ressourcen sparen sollte. Was dann?
Die Klimakatastrophe überfordert. Man weiss, dass die Lage ernst ist, und hat das Gefühl, gleichzeitig ganz viel machen zu müssen und so wenig beeinflussen zu können. Die Bereiche, die im Alltag meist einen bedeutsamen Beitrag leisten, sind folgende: Mobilität, Ernährung und Wohnen (Energie). Ganz wichtig ist hier: Auch individuelle Beiträge zählen, aber die notwendigen Veränderungen müssen politisch herbeigeführt werden! Deshalb muss man nicht auf alles verzichten, was einem Freude macht.
Also darf man sich durchaus etwas gönnen?
Fragen Sie sich: «Was macht mich wirklich glücklich?» Oft ist es nicht der Konsum, zumindest nicht in dem Ausmass, der uns vorgelebt wird. Aber muss es wirklich jedes Jahr eine neue Winterjacke sein, obwohl die alte noch völlig in Ordnung ist? Wichtig ist es, die eigene Grenze zu erkennen. Zu restriktive Verhaltensweisen können überfordern. Diese Grenzen sind individuell, und man muss mit sich selber gnädig sein. Selbst kleine Veränderungen machen Sinn, und manche machen sogar andere Bereiche des eigenen Lebens etwas besser. Die wenigsten können aber einen ökologisch tadellosen Lebensstil führen. Hier geht es wieder um die Verantwortung der Politik. Selbst wenn wir alle plötzlich nur noch mit dem Rad zur Arbeit fahren und Veganer werden, so liegen viele Probleme tiefer in unserer Gesellschaft und Wirtschaft verankert.
Viele Menschen engagieren sich, zum Teil mit Methoden, die als radikal wahrgenommen werden. Werden junge Menschen verzweifelter?
Tatsächlich beobachten wir, wie die Klimakrise die Menschen zunehmend belastet. Jene, die sich engagieren, sehen, dass nichts oder nur wenig passiert, ihnen teilweise nicht zugehört wird. Die daraus resultierende Verzweiflung und Wut ist eine hohe emotionale Belastung, die dann auch zu extremeren Protestformen führen kann, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das darf man auch kritisch sehen, auch wenn man die Beweggründe dahinter nachvollziehen kann.
Was sind aus psychologischer Sicht die Gründe, dass die Politik scheinbar sehenden Auges in die Katastrophe läuft?
Einerseits sind die Konsequenzen der Klimakrise besonders bei uns noch nicht unmittelbar spürbar. Das macht das Problem abstrakt. Zudem lässt es sich nicht auf einfache Art und Weise lösen, was dazu führen kann, dass es gar nicht erst angegangen wird. Die Klimakatastrophe ist auch nicht etwas, was angenehme Gefühle hervorruft. Da ist die Versuchung gross, das Thema schlicht zu verdrängen. Nicht zuletzt spielen auch die eigenen Werte mit rein. Wer gewohnt ist, viermal im Jahr in den Urlaub zu fliegen oder immer das neuste Auto zu fahren, der sieht unangenehme Konsequenzen auf sich zukommen. Das macht wiederum Angst vor Veränderungen und vor möglichem Verlust.
Wie kann man mit Menschen mit anderen Werten umgehen und sachlich über die Klimakrise reden?
Bei Klimaleugnern muss man sich bewusst sein, dass man diese oft nicht überzeugen kann. Manche gehen beim Stichwort «Klima» auch sofort in Abwehrhaltung. Wenn man das Thema trotzdem diskutieren will, dann am besten mit Zeit und Ruhe. Ideal ist, wenn man trotz der Unterschiede gemeinsame Werte findet. Hat jemand Kinder, so liegt ihm deren Zukunft sicher am Herzen. Oder jemand ist besonders heimatverbunden und möchte deren Natur erhalten. Möglicherweise liegt die ablehnende Haltung aber auch in negativen Gefühlen wie der Angst vor den Konsequenzen. Auch diese Gefühle sind menschlich. Aber manchmal hilft es schon, wenn man das Thema Klimakrise immer wieder ins Bewusstsein holt, um kleine Veränderungen anzustossen. Eine Bekannte von mir berichtete kürzlich, dass ihr Opa nun von Kuh- auf Hafermilch umgestiegen sei. Er hatte sich nach einem ihrer Gespräche durchgerungen, dem «Zeug» eine Chance zu geben. Es sind manchmal die kleinen Dinge, die Hoffnung machen.
Zur Person
Carla Cuvelier (1988) ist Psychologin mit einer Gemeinschaftspraxis in Aachen (Deutschland). Die unter anderem auf Angststörungen, Depressionen und Trauma spezialisierte Therapeutin ist Mitglied des Vereins «Psychologists for Future», der die «Fridays for Future»-Bewegung im Kampf gegen die Klimakrise unterstützt.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren