Durch idyllische Ortschaften und entlang von Weizen- und Rapsfeldern schlängelt sich die Strasse Richtung Waadtländer Jura hinauf. Nach einer engen Kurve am Südeingang des Dorfes Sévery taucht unvermittelt ein kleiner Gebäude-komplex am Strassenrand auf, zusammengesetzt aus historischem Haupthaus und modernen Anbauten. Die Lage direkt am Flüsschen Morges und die Beschriftung «Moulin Huilerie de Sévery» am Haupthaus weisen darauf hin, dass sich hier eine Mühle befindet. Und zwar nicht irgendeine Getreidemühle, sondern die schweizweit älteste handwerklich betriebene Mühle, die ganzjährig in Betrieb ist und sich auf die Produktion von Ölen spezialisiert hat. Seit dem 13. Jahrhundert ist hier am Jurasüdfuss eine Mühle nachgewiesen und bereits im 16. Jahrhundert wurde mit der Nussölproduktion begonnen.

Nüsse mit Tradition

Während heute in Sévery Sesam aus Indien, Haselnüsse aus der Türkei, Pistazien aus dem Iran und Mandeln aus Kalifornien verarbeitet werden, war Baumnussöl über Jahrhunderte das einzige Speiseöl, das die Mühle verliess. «Noch für meinen Vaters war es jeweils ein besonderer Moment, wenn pünktlich vor Ostern in der Mühle das Baumnussöl vom eigenen Baumbestand abgeholt werden konnte», erinnert sich Corinne Pittet, die uns im grosszügigen Verkaufsladen willkommen heisst. Bis vor rund zehn Jahren wurde in der Waadtländer Mühle vorwiegend im Frühjahr Nussöl gepresst. Haupteinnahmequelle waren verschiedene aus Getreide hergestellte Futtermehle für die Landwirtschaft. Dass sich die Mühle neben Getreide auf die Verarbeitung von Baumnüssen spezialisiert hat, kommt nicht von ungefähr. Walnussbäume prägen seit der Römerzeit das Landschaftsbild im Waadtland. Hier befindet sich das weitaus grösste Anbaugebiet für Baumnüsse in der Schweiz. Die Verarbeitung von Nüssen ist auf eine Tradition zurückzuführen, die ihren Anfang nahm, als die Waadt und Genf noch unterfranzösischer Herrschaft standen. Damals gab es in der Westschweiz 70 Mühlen, um Nüsse zu verwerten.

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Dieser Produktionszweig wird in der Moulin de Sévery auch im Jahr 2022 noch gepflegt und dies bereits in siebter Generation von der Familie Bovey. Patron Jean-Luc Bovey steht an der Spitze des Unternehmens, seine zwei Töchter Dessilia und Maveline sind mittlerweile ebenfalls in den Familienbetreib eingestiegen und kümmern sich um die produktionelle respektive administrative Leitung. «Und die achte Generation ist bereits im Anflug», schmunzelt Dessilia mit sichtlich gerundetem Bauch. Dass nicht nur die Familienmitglieder, sondern auch die gut zehn Angestellten mit grossem Engagement bei der Sache sind, zeigt sich bei einer Führung durch die verschiedenen Produktionsbereiche.

SehenswertesDie Ölmühle in Sévery ist von Montag bis Samstag in Betrieb. Eine Führung ist auf Reservation möglich. Der Verkaufsladen und das Bistro sind ebenfalls an sechs Tagen die Woche zugänglich.
moulindesevery.ch

Es gibt noch rund 15 weitere Ölmühlen in der Schweiz, die per Voranmeldung für Privatkunden Nüsse und teils auch Kernen pressen. Hier einige Adressen:
Ölmühle Hardhof in Tegerfelden AG: pflanzenoel.ch
Grabenöli des Ölivereins Lüterswil SO: grabenoele.ch
Nussöli in Olsberg AG: nussoeli.ch
Naturkostbar in Steffisburg BE: naturkostbar.ch
St. Galler Öl in Flawil SG: st.galleroel.ch

Historisches Handwerk mit modernem Antrieb

«Hier ist mein Reich», bemerkt Bogdan Movila voller Stolz, beim Betreten der kleinen Produktionshalle. Zur Demonstration setzt er die Maschine mit etlichen Förderbändern in Gang, die fast den gesamten Raum einnimmt. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten spukt die 2012 erworbene «Énoiseuse» auf der einen Seite grob von der Schale befreite Baumnusskerne und auf der anderen Seite Schalenreste aus. Die Nusskerne werden dann weiter in einen zweiten Schälvorgang befördert, bevor auf einem Fliessband zwei Personen von Hand die letzten Schalenreste und ungeniessbare Kerne auslesen. Während früher das Knacken und Sortieren der Nüsse ausschliesslich in Handarbeit erledigt wurde, steht nun in Sévery sogar noch eine Haselnuss-Knackmaschine im Einsatz.

Auch Privatleute können ihre Nussernte vorbeibringen, um diese einfach nur schälen oder dann auch zu Öl weiterverarbeiten zu lassen. Wenn jemand mit seiner Ernte ankommt, wird sie als erstes gewogen, denn abgerechnet wird nach Nussgewicht und nicht nach Ölertrag. Zum Gewicht wird auch die Herkunft der Nüsse genauestens notiert. Nichts wird vermischt und jeder Kunde kann sicher sein, dass er mit dem Öl seiner Nüsse nach Hause fährt. Ganz wichtig sei, dass die Nüsse gut getrocknet sind, betont Bogdan Movila, ansonsten werde das Öl schneller ranzig. «Die Nussschalen werfen wir übrigens nicht weg, sie werden zum Heizen benutzt und ergeben eine wunderbare Wärme», ergänzt der Produktionsmitarbeiter, bevor wir uns mit den Nusskernen auf den Weg in die Mühle machen.

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Der typisch süsslich-nussige Duft von Sesam, der einem beim Betreten des kleinen Ölproduktionsraums in die Nase steigt, verrät allerdings, dass heute nicht Baumnüsse zum Einsatz kommen. Über unseren Köpfen rattern Lederriemen über Holzrollen – ein Antriebssystem, das die Apparaturen zur Ölherstellung seit 1845 in Gang hält. Die Ohren müssen deshalb gut gespitzt werden, um zu verstehen, wie Ölmeister Pascal Portier erklärt, dass die Energie nicht mehr vom mächtigen Mühlenrad hinter uns, sondern vom Elektromotor im Untergeschoss kommt. «Den Sesam verarbeiten wir heute à l’ancienne, während beispielsweise Raps oder Sonnenblumenkerne jeweils in die Kaltpressung kommen», führt Portier aus.

Welche Arbeitsschritte es braucht, bis sich die weissen Sesamsamen auf traditionelle Weise in Öl verwandelt haben, demonstriert der gut gelaunte junge Herr nun. Als erstes werden die Samen oder auch Nüsse von einem Fleischwolf zu Brei zerkleinert. Die vermicellesförmige Paste wird in einem Holzbottich aufgefangen und umgehend in den 120 Grad heissen Gusseisenkessel eines Sandsteinofens gegeben. «Es dauert 20 bis 30 Minuten, bis die zwischen fünf und zehn Kilogramm wiegende Masse, welche ständig von einem Rührwerk in Bewegung gehalten wird, den richtigen Röstgrad erreicht hat», weiss Pascal Portier aus Erfahrung. Überhaupt wird hier ausschliesslich nach Erfahrungswerten und mit Hilfe der Sinnes-eindrücke gearbeitet. Nicht Uhr oder Thermometer verraten, wann die Ölmasse reif für die Presse ist,sondern ihre Karamellfarbe und die pappige, nicht mehr zu bröckelige Konsistenz. Die Röstung sorgt für ein verdichtetes Aroma, welches die Öle aus Sévery auch für die gehobene Profiküche so interessant machen. Ölmeister Portier füllt die geröstete Sesammasse nun in eine Pressform, das sogenannte Korsett, und packt sie zwischen zwei Tücher, die während des Pressvorgangs als Filter dienen. Nun geht es in die 1982 installierte hydraulische Presse, die mit einem Gewicht von 60 Tonnen das Öl extrahiert. In einem feinen Strahl fliesst das Endprodukt – goldgelbes, noch etwas trübes Sesamöl – in einen Kessel. Die historische Presse,welche mechanisch arbeitete, steht noch mitten im Raum, grosse Spalten im Holz und Metall verdeutlichen aber, weshalb sie nicht mehr im Einsatz ist.

Übrig bleibt nach der Pressung neben dem Öl auch der steinharte Nillon, ein Presskuchen, der gemahlen zum Backen von Nusskuchen oder -broten oder als Futtermittel für Nutztiere Verwendung findet. In Stücke geschnitten kann er auch als eine Art Getreideriegel geknabbert werden, dazu müssen die Beisser aber top in Form sein. Ansonsten riskiert man einen Besuch beim Zahnarzt.

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Während Nussöl lediglich eine Woche ruhen gelassen werden müsse, bis sich die Sedimente zu Boden gesetzt haben, sei beim Sesamöl eine Filterung nötig, bevor es in Flaschen abgefüllt werden könne, erklärt Portier. Auch dies geschieht alles intern. «Manchmal bin ich auch an der Abfüllstation tätig. Wir alle rotieren an unseren Posten, das macht die Arbeit hier so spannend», führt der Mitarbeiter der Ölmühle mit spürbarem Enthusiasmus an.

Überzeugende Nischenprodukte

Die sorgfältig und mit viel Leidenschaft ausgeführten Arbeitsschritte und die über Jahrhunderte weiter-gegebene Verarbeitungsweise sorgen für den unvergleichlichen Geschmack der Sévery-Öle. «Bei uns steht die Qualität ganz klar über der Quantität», sind sich die beiden Angestellten der Mühle einig. So sind es denn auch nicht die Grossverteiler, welche die mittlerweile über 50 verschiedenen Produkte vertreiben. Neben Ölen hat Jean-Luc Bovey nach seiner Übernahme der Mühle im Jahr 2002 das Sortiment stark erweitert um milde Fruchtessige, Senf oder Pesto-Kreationen. Lediglich in den regionalen Migros-Filialen sind drei Produkte aus der Ölmühle im Angebot.Ansonsten kann man die schmackhaften Erzeugnisse in kleineren Dorf- oder Hofläden in der Westschweiz erwerben, via Onlineshop oder natürlich in der hauseigenen Boutique, welche direkt der Mühle angeschlossen ist.

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Zum Einsatz gelangen die hochwertigen Produkte in privaten Küchen und in der Spitzengastronomie. Es sind nicht nur die hauseigenen Produkte, sondern auch die zu feinen Gerichten arrangierten lokalen Zutaten, die dafür sorgen, dass sich zur Mittagszeit der Parkplatz vor der Mühle rasant füllt. Die Gäste für das vor wenigen Wochen eröffnete Bistro sind zahlreich. Das sinnliche Erlebnis lässt in Sévery keine Wünsche offen. Auf dem Rückweg klingt der Besuch dieser historischen Produktionsstätte nach. Der nussige Röstgeruch hängt noch für Stunden in Haaren und Kleidern.